Unter den OpernpassagenDas „Bierdorf“, Kölns unterirdische Partystadt

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Der Bierbrunnen unter künstlichem Grün war der Mittelpunkt des unterirdischen Dorfes.

Der Bierbrunnen unter künstlichem Grün war der Mittelpunkt des unterirdischen Dorfes.

Ihre Erinnerungen an das „Bierdorf“ bezeichnen die meisten Kölner als „dunkel“. Das bescheibt nicht nur die Qualität der Erinnerungen, sondern schlichtweg auch das eher schwach beleuchtete Ambiente der Kneipenansammlung mit dem einprägsamen Namen „Colon“ im Keller der damaligen Kölner Ladenstadt, heute Opernpassagen.

Das „Bierdorf“, wie es von den Kölnern meist bezeichnet wurde, hatte weder Einwohner noch einen Bürgermeister oder einen Pfarrer. Eigentlich gab es nur einen Berufsstand: Wirte. Bei seiner Eröffnung hatte der damals neuartige Vergnügungstempel 17 Kneipen, Imbissbuden und Cafés sowie eine Diskothek.

Colon-Thaler als eigene Währung

Im Oktober 1982 wurde auf dem idyllischen gepflasterten Dorfplatz das erste Fass angeschlagen. Unter einer mächtigen Baumkrone konnten sich die Gäste niederlassen und sich der Folklore-Illusion aus Plastik, Rigips und Resopal hingeben – immer gut versorgt mit Gerstensaft, der hier in Strömen floss.

Die Zeche konnte nur mit der dorfeigenen Währung, dem Colon-Thaler bezahlt werden – Umrechnungskurs 1:2, also zwei Mark für einen Thaler. Die Messingmünzen werden gelegentlich noch im Internet zur Versteigerung angeboten.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Warum das Bierdorf dicht machen musste und was aus den Räumlichkeiten wurde.

Die Vorstellung, dass ausgerechnet das Kellergeschoss der Ladenstadt für mehr als ein Jahrzehnt zum Anziehungspunkt der Kneipenbummler und Nachtschwärmer werden sollte, mutet aus heutiger Sicht seltsam an. Und doch war genau dies das Erfolgsrezept der Inhaber Joachim und Manuel Tietsch – Vater und Sohn.

In Hannover eröffneten sie schon 1973 den Prototyp der ersten unterirdischen Bierlandschaft. 1975 machte das „Ku-Dorf“ in Berlin nahe dem Kurfürstendamm auf. 1979 folgte das Hamburger „Posemuckel“.

Erfolg wurde zum Problem

Das Colon war anfangs ein Publikumsmagnet. Nach gut einem Dreivierteljahr wurden bereits 500.000 Besucher gezählt. Zur Jubiläumsparty rockte Jürgen Zeltinger die Katakomben der Ladenstadt.

Doch der Erfolg wurde rasch zum Problem: Schon kurz nach der Eröffnung hagelte es Beschwerden aus der Nachbarschaft. Lärm, Unrat, Wildpinkler, Gestank und zugeparkte Straßen, sogar Überfälle wurden angeprangert. Später wurde sogar der unterirdische Zugang zugemauert, durch den das Dorf einen U-Bahn-Anschluss hatte.

Den Passanten und Fahrgästen – unter ihnen Besucher von Oper, Schauspielhaus und Theater am Dom – stank es gewaltig, dass sich Bierdorfbesucher regelmäßig im Tunnel danebenbenahmen. Die Betreiber beteuerten indes, dass im Dorf Ruhe und Ordnung herrschten. Dafür habe man sogar extra Personal eingestellt. Die Mitarbeiter hätten aber keinen Einfluss auf das, was vor der Tür passiere.

Erste Auftritte der Höhner

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Den Hauptzugang zum Bierdorf an der Breite Straße gibt es heute nicht mehr. Die tiefer gelegte Kneipenkultur mit ihren Licht- und Schattenseiten hielt sich bis in die 1990er Jahre. Manuel Tietsch betrieb das Colon bis 1990. „Das Colon war ganz anders als unsere Betriebe in den anderen Städten. Schon allein wegen des Karnevals“, erinnert sich der frühere Großgastronom, der den Höhnern im Bierdorf erste Auftritte ermöglichte.

Es gab regelmäßig Promi-Treffs und Misswahlen und sogar Kölns ersten „Tuntenball“. Tietsch lebt heute auf Mallorca.

Seine Nachfolger hatten weniger Glück. Ein Brand zerstörte 1991 das Dorf. Wiederaufgebaut hielt es sich nur kurz, ebenso wie die 1996 anstelle des Colon eröffnete Homosexuellen-Disco Lulu. In der Folgezeit nutzte das in den Passagen ansässige Klavier-Unternehmen Bechstein einen Teil des Kellers für gelegentliche Konzertabende. Auch das ist Vergangenheit.

Vor einem Jahr eröffnete eine Rewe-Filiale, die sich über das Erd- und Tiefgeschoss erstreckt. Im früheren Bierdorf-Keller gibt es nun erlesene Weine.

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