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Direktor der Kölner Kliniken„Im Juni werden wir das Schlimmste überstanden haben“

Lesezeit 7 Minuten
Intensivstation Symbol

Die Lage auf den Intensivstationen ist wegen der Corona-Pandemie nach wie vor angespannt.

  • Die Infektionszahlen in Köln sinken, doch die Situation auf den Intensivstationen ist nach wie vor angespannt.
  • „Die Anspannung für die Mitarbeiter ist unverändert sehr, sehr hoch“, sagt Prof. Dr. Horst Kierdorf, Ärztliche Direktor der städtischen Kliniken.
  • Im Interview spricht er über die aktuellen Covid-Patienten, die Verschiebung von Operationen und seine Hoffnungen für Juni.

Herr Prof. Kierdorf, vor etwas mehr als zwei Wochen sagten Sie, auf den Intensivstationen seien kaum noch Kapazitäten frei. Die Hoffnung war zu diesem Zeitpunkt, dass es nicht noch mehr wird. Hat sich diese Hoffnung mit Blick auf die sinkenden Inzidenzwerte erfüllt? Die Situation vor zweieinhalb Wochen war tatsächlich die schlimmste, die wir seit Beginn der Pandemie hatten. Es ist anschließend glücklicherweise besser geworden, wenn auch nur in ganz kleinen Schritten. Wir haben nach wie vor eine sehr hohe Belegung. Aber der Druck, den wir zuletzt noch hatten, weil wir nachts wirklich in drei bis vier Stunden versuchen mussten, die weniger kranken Patienten zu verlegen, ist deutlich zurückgegangen. Wir schaffen es mittlerweile, möglichst zehn Prozent für noch akut kommende Patienten freizuhalten. Das war mal eine Vorgabe des Ministeriums. In der aktuellen Situation haben wir tagsüber sogar elf bis zwölf Prozent der Betten frei. Am Abend sind es dann in der Regel weniger.

Wenn Sie selber durch die Intensivstation gehen – wie nehmen Sie aktuell die Atmosphäre bei den Mitarbeitenden, Patienten und Angehörigen wahr?

Die Anspannung für die Mitarbeiter ist unverändert sehr, sehr hoch. Man darf nicht vergessen, dass der Mai der Monat mit den geringsten Arbeitsstunden ist. Das heißt, wir müssen sehr viele Feiertage kompensieren. Wo andere Menschen tatsächlich frei haben, müssen unsere Mitarbeiter Sonderschichten fahren – und das bei einer unverändert hohen Arbeitsbelastung. Denn es gibt immer noch viele Menschen, die behandelt werden müssen.

Wo wir hingegen das Gefühl haben, dass der Druck weniger geworden ist, ist auf Seite der Besucher. Dass sich einige nicht an die Besuchsverbote halten wollten, hat bei uns insbesondere um die Weihnachtszeit dazu geführt, dass wir den Sicherheitsdienst massiv verstärken mussten. Das Problem ist nicht mehr so präsent. Grundsätzlich ermöglichen wir bei Schwerstkranken den Zugang, so wie es machbar ist. Bei Covid-Patienten auf der Intensivstation müssen wir natürlich auch die Angehörigen schützen. Bei anderen Patienten hat sich die Vorgehensweise so eingelebt, dass Menschen, die nicht länger als fünf oder sechs Tage im Krankenhaus liegen, in der Regel keinen Besuch bekommen. Das sehen die Angehörigen aber auch ein.

Welche Covid-Patienten liegen aktuell auf den Intensivstationen?

Bezogen auf das Alter hat es in den vergangenen zwei Monaten eine deutliche Veränderung gegeben. Die Patienten sind jetzt im Schnitt mindestens zehn Jahre jünger als noch vor vier Wochen. Das Durchschnittsalter liegt aktuell unter 60 Jahren. Das bedeutet, dass eben auch 40-Jährige auf den Intensivstationen behandelt werden. Das ist ein Faktum – bei uns, aber auch allgemein. Zudem betrifft die Krankheit deutlich mehr Männer als Frauen. Das hat sich schon in der ersten Welle gezeigt und ist auch noch jetzt der Fall. Aktuell sind es mindestens 60 Prozent, eher sogar zwei Drittel.

Außerdem kommen deutlich mehr Menschen, die in Bereichen mit hohen Inzidenzen leben, irgendwann auf die Intensivstation. Das ist völlig logisch. Diese Bereiche bei uns in Köln sind Stadtteile, in denen auch sehr viele Menschen mit einem Migrationshintergrund leben. Aber es ist nicht der Hintergrund der Menschen, sondern die Tatsache, dass sie vielleicht mit sechs Leuten auf 32 Quadratmetern zusammenleben müssen. Im Übrigen ist der hoffnungslos überarbeiteten Pflegekraft auf der Intensivstation die Herkunft ihrer Patienten völlig egal. Wir erfassen nicht, ob Patientinnen oder Patienten einen Migrationshintergrund haben.

Wie beurteilen Sie die von der Stadt Köln gestartete Impf-Initiative in Vierteln mit hoher Inzidenz?

Man kann darüber streiten, aber ich persönlich halte es für die richtige Strategie, weil die räumlichen Verhältnisse dieser Menschen so schnell nicht geändert werden können. Außerdem bin ich mir vor dem Hintergrund der Zahlen, was uns an Impfdosen in den nächsten Wochen und Monaten zur Verfügung stehen wird, relativ sicher, dass wir im Juni nicht mehr über Priorisierung sprechen müssen. Ich gehe davon aus, dass die Impfkampagne nun zügig vorangeht, auch weil die Priorisierung für den Impfstoff von Astrazeneca aufgehoben ist. Da wird es nur noch darum gehen, genügend Impfstoff zu den Betriebsärzten, ins Impfzentrum und vor allem zu den Hausärzten zu bringen.

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Im April mussten sehr viele Operationen verschoben werden, um auf den Intensivstation Platz zu schaffen. Können diese OPs inzwischen nachgeholt werden?

Dafür haben wir an dieser Stelle noch kaum Möglichkeiten. Wenn wir die Operationen jetzt nachholen würden, würden wir ja genau die Menschen, die gerade ein ganz klein bisschen zu Atem kommen, wieder zusätzlich belasten. Trotzdem haben wir mit den leitenden Ärzten schon in der vergangenen Woche überlegt, wie wir diese Eingriffe tatsächlich nachholen können. Denn unsere Hoffnung ist, dass sich die Situation in den kommenden 14 Tagen weiter entspannt und wir das Personal zurückholen können. Sie müssen sich vorstellen, dass viele derjenigen, die sonst Operationen begleiten, seien es Anästhesisten oder OP-Schwestern, aktuell in der Betreuung der Schwerkranken auf den Intensivstationen eingesetzt werden. Wir hoffen, das in Kürze rückgängig machen zu können. Ein Normalbetrieb ist aber noch in weiter Ferne.

Es deutet sich ein Abflachen der dritten Welle an. Gehen Sie davon aus, dass dann das Schlimmste überstanden ist und man durch die Impfungen nicht noch einmal in eine Situation wie im April kommen wird?

Nach dem, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, und nach dem, was man unter medizinisch-wissenschaftlichen Aspekten sagen kann, spricht alles dafür, dass es tatsächlich zu einer deutlichen Abflachung der Fallzahlen und einer Beherrschung der Situation kommt. Ob das jetzt schon in drei Wochen der Fall ist, weiß ich nicht. Aber ich denke, dass wir im Juni mit Sicherheit das Schlimmste überstanden haben.

Was halten Sie davon, dass vollständig Geimpfte nun mehr Freiheiten zurückbekommen sollen?

Das ist aus juristischer Sicht nachvollziehbar. Und ein Antrieb für diejenigen, die heute beim Impfen noch zögern. Nach wie vor wollen sich 30 Prozent der Menschen nicht impfen lassen. Aus medizinischer Sicht ist das absurd, wir müssen dringend noch mehr Menschen finden, die sich impfen lassen möchten. Ich persönlich würde dennoch sagen, dass es eine gewisse Solidarität braucht. Möglicherweise in Form eines Kompromisses, dass Erleichterungen für vollständig Geimpfte und Genesene geschaffen werden, die andere aber auch bekommen können, wenn sie negativ per Schnelltest getestet sind. Wenn alle auch weiterhin Maske tragen und eine gewisse Gruppengröße nicht überschreiten. Das wäre ein vernünftiger Kompromiss, weil davon niemand grundsätzlich ausgeschlossen wird.

Was haben Sie als Klinischer Direktor im vergangenen Jahr gelernt?

Sicher eines: Dass es erforderlich ist, wieder sehr viel stärker im Team zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Pflege hat im Rahmen des Pflegenotstands gelitten, weil das Verhältnis einfach nicht mehr gestimmt hat. Ärzte waren nicht zu viele da, aber grundsätzlich vorhanden – Pflegende fehlten. Da ist es zu einem Auseinanderdriften gekommen. Jedem Arzt ist klargeworden, wie wichtig es ist, die Pflegenden zu haben und mit ihnen professionell zusammenzuarbeiten. Ohne sie hätte das hier in Köln auch ganz anders ausgehen können.

Vieles liegt auch nicht in Ihrer Hand. Welche Lehren muss die Gesundheitspolitik aus der Pandemie ziehen?

Das Wesentliche ist die Attraktivitätserhöhung. Die schafft man natürlich über die Bezahlung, aber auch, wenn Mindestvoraussetzungen geschaffen werden. Man muss den Menschen eine Ausbildung in der Pflege schmackhaft machen und verdeutlichen, dass sich der Beruf – wenn ihn genug ausüben – auch gut mit dem Privatleben verbinden lässt. Dass man neben Nachtdiensten in Zukunft nicht auch noch an drei Wochenenden im Monat arbeiten muss. Wir müssen gesunde Strukturen schaffen und mehr Menschen in die Pflege bringen. Das ist das A und O. Da nützt es nichts, wenn man sich auf den Balkon stellt und klatscht, die Pflege braucht konkrete Verbesserungen.  

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