Diskussion mit Corona-Skeptikern„Ich empfinde die Quarantäne als Freiheitsberaubung“

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Köln Maske

Die Stadt Köln hat große Masken-Symbole auf den Untergrund sprayen lassen, um die Menschen an die geltende Maskenpflicht zu erinnern. 

  • Kritiker der Schutzmaßnahmen und zwei führende Mediziner der Kölner Uniklinik diskutieren über den Sinn der Maske, Risiken von Impfstoffen und Todesstatistiken.
  • Dabei beantworten die Mediziner viele Fragen rund um das Virus.
  • Eine Geschichte aus unserem Archiv von November 2020.

Frau Rickelt, Herr Babaoglu-Marx, Sie wollten über Ihre Bedenken und Vorbehalte gegen die Corona-Schutzmaßnahmen sprechen. Was bewegt Sie besonders? Alparslan Babaoglu-Marx: Wir haben erst einmal viele Fragen. Stimmt es zum Beispiel, dass bei starken Symptomen einer Covid-19-Erkrankung die Viruslast entsprechend höher und die damit auch die Ansteckungsgefahr für andere Menschen entsprechend größer ist?

Gerd Fätkenheuer: Nein, diesen Zusammenhang kann man so nicht herstellen. Im Gegenteil: Die Viruslast ist am höchsten, kurz bevor die Patienten erste Symptome zeigen. Umgekehrt haben die Patienten auf den Intensivstationen häufig gar keine nachweisbare Viruslast mehr und sind trotzdem schwer krank. Ob die Schwere der Erkrankung damit zusammenhängt, welcher Viruslast der Patient bei seiner Infektion ausgesetzt war, ist bislang unklar. Wir vermuten einen Zusammenhang, halten ihn aber für nicht sehr stark.

Die diskutierenden Personen

Michael Hallek

Professor Michael Hallek, geb. 1959, leitet die Klinik I für Innere Medizin der Uniklinik Köln. Er koordiniert zurzeit den S3-Stab zur Pandemie-Bekämpfung an der Uniklinik Köln.

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Alparslan Babaoglu-Marx

Alparslan Babaoglu-Marx, geb. 1964, ist Kabarettist und Unternehmer. Er hat eine Petition für eine Studie zu Auswirkungen der Masken auf Kinder und Jugendliche initiiert, die bisher mehr als 4000 Unterstützer gefunden hat.

Aygüzel Rickelt

Aygüzel Rickelt, geboren 1970, ist Studynurse.

Gerd Fätkenheuer

Professor Gerd Fätkenheuer, geb. 1955, leitet die Infektiologie der Uniklinik Köln. Er gehört zum Corona-Expertenrat des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Aygüzel Rickert: Aber die WHO hat erklärt, dass Corona-Infizierte ohne Symptome nicht ansteckend sind.

Michael Hallek: Am Anfang der Pandemie war das tatsächlich eine Vermutung, die auch von der WHO so verbreitet wurde. Das wurde aber sehr schnell widerlegt – beginnend mit dem ersten deutschen Patienten in München. Kurz: Corona-infizierte Menschen ohne Beschwerden können andere anstecken. Genau das macht diese Pandemie ja so tückisch und erschwert die Bekämpfung. Man merkt vielen Menschen nicht an, ob sie Überträger des Virus sind oder nicht.

Fäktenheuer: Aus Modellrechnungen geht hervor, dass diejenigen Infizierten, die erst später Symptome zeigen, tatsächlich den höchsten Anteil an den Übertragungen haben, wobei die Ansteckungsrate ein bis zwei Tage vor Symptombeginn am höchsten ist. Das verstärkt noch einmal den Effekt, den Herr Hallek eben beschrieben hat. Und auch bei den Infizierten, die überhaupt nie Symptome entwickeln, kommt es zu Übertragungen, aber in einem sehr viel geringeren Ausmaß. Wir schätzen, dass der Anteil bei zehn Prozent liegt.

Babaoglu-Marx: Aber Sie verstehen, wie verwirrend es ist, wenn eine Institution wie die WHO mal dies, mal das erklärt. Woran soll man sich denn halten? Wem kann man noch glauben?

Hallek: Zunächst ist es normal, dass Institutionen wie die WHO oder das Robert-Koch-Institut (RKI) dazu lernen und ihre Empfehlungen anpassen, wenn es neue Erkenntnisse gibt. Dies ist das Wesen des wissenschaftlichen Arbeitens. Aber Sie benennen dabei einen sehr wichtigen Punkt, den auch ich für ein Kernproblem der Pandemiebekämpfung in Deutschland halte. Die Menschen hören eine teilweise verwirrende Vielfalt von unterschiedlichen Meinungen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass selbst Fachleute nicht wissen, was man tun soll. Über ständig neue oder gar widersprüchliche Empfehlungen verlieren die Menschen dann das Vertrauen, dass es überhaupt verlässliche Empfehlungen gibt. Die Empfehlungen müssen folglich klar, einfach und für jeden nachvollziehbar sein. In meiner Wahrnehmung nehmen viele Bürger daran Anstoß, dass die Empfehlungen oft nicht kohärent sind oder nicht kohärent umgesetzt werden. 

Woran denken Sie zum Beispiel?

Hallek: Im derzeitigen Teil-Lockdown ist es untersagt, abends im Restaurant zu sitzen. Was ich übrigens für richtig halte. Aber gleichzeitig wird zu wenig dafür getan, das Abstandsgebot oder die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr schlüssig und ganz konsequent umzusetzen. Das passt nicht zusammen.

Wenn Sie einen Mangel an Kohärenz beklagen, ist das auch ein Vorwurf an die Politik? Gehört eine Pluralität der Positionen nicht einfach zum Wesen Demokratie – und übrigens auch der Wissenschaft?

Hallek: Es gibt demokratische Staaten, die den Konsens besser hinbekommen haben als wir in Deutschland. Dort war die Pandemie wesentlich schneller und besser unter Kontrolle – mit einem Bruchteil tödlicher Erkrankungen. Wenn eine Gesellschaft als ganze entschlossen handelt, kann sie mit dem Coronavirus fertigwerden. Dass uns dies bislang nicht gelungen ist, hat sicher mit einer gewissen Inkohärenz der politischen Entscheidungen zu tun, aber auch mit der erwähnten Inkohärenz der Experten.

Wir, die Gemeinschaft der Ärzte und Wissenschaftler, schaffen es nicht, als Gruppe im Konsens der Bevölkerung klare Ratschläge zu geben. Wir machen da gerade keinen guten Job. Es verwirrt nicht nur, sondern untergräbt das Vertrauen, wenn in jeder Talkshow ein anderer Experte seine persönliche Teilmeinung vertritt. Das ist – bei aller Bedeutung des offenen Diskurses – in der gegenwärtigen Bedrohungslage kontraproduktiv. Das Recht der freien Meinungsäußerung kommt an seine Grenzen, wenn eine zu große Vielfalt der Meinungen das Vertrauen der Menschen in die Medizin untergräbt. Ich setze mich daher dafür ein, dass die Ärzte und Experten sich besser abstimmen, bevor sie Empfehlungen abgeben. Und nicht, wie zurzeit, jede Fachdiskussion, und sei sie noch so unbedeutend, in der Öffentlichkeit austragen.

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Fätkenheuer: Unterschiedliche Expertenmeinungen kommen auch sonst im Leben, gerade auch in der Medizin häufig vor. Sie alle kennen es, dass unterschiedliche Ärzte Ihnen abweichende Therapievorschläge machen. Dann stellt sich die sehr berechtigte Frage, wem Sie letztlich vertrauen. Ein guter Indikator ist, ob der jeweilige Experte eine kritische Distanz zu sich selbst hat. Wer sich Ihnen gegenüber als unfehlbar gibt, dem sollten Sie mit einer Portion Skepsis begegnen.

Rickelt: Aber der Vielstimmigkeit der Experten steht dann leider eine sehr eindeutige Praxis gegenüber. Polizei und Ordnungsamt greifen bei Verstößen gegen die Maskenpflicht durch, obwohl längst nicht alle das Tragen von Masken für sinnvoll halten, schon gar nicht immer und überall. Eine ähnliche Situation haben wir beim Mindestabstand. Der wurde mit 1,50 Meter festgelegt – aber was soll das, wenn die Leute gleichzeitig Maske tragen und sich womöglich auch noch im Freien bewegen? Wir haben einen Wust von Regelungen, die uns bevormunden. Und wer sie anzweifelt, bekommt zu hören, „es erhöht die Sicherheit“. Ich finde das alles viel zu vage – gemessen an den massiven Eingriffen in Grund- und Freiheitsrechte.

Fätkenheuer: Der „Wust“ – ich würde sagen: die Mehrzahl – von Schutzbestimmungen hat damit zu tun, dass keine von ihnen allein perfekt ist. Wir brauchen ein Ineinandergreifen verschiedener Maßnahmen für den größtmöglichen Schutz.

Hallek: Masken verringern das Ansteckungsrisiko um 80-90 Prozent. Das steht inzwischen fest. Jede Maßnahme, auch das ist klar, hat eigene Risiken und Nebenwirkungen. Die sind bei den Masken aber so gering, dass es allein schon eine Geste der Rücksicht auf andere ist, die Maske zu tragen. Natürlich variieren die Umstände. An der frischen Luft ist die Schutzwirkung von geringerer Bedeutung als bei Begegnungen in geschlossenen Räumen. Ich plädiere aber für möglichst einfache, klare und einheitliche Regeln, die dann auch jeder einhalten kann – auch wenn er gerade keinen Zollstock dabei hat, um einen Abstand von exakt 1,50 Meter bestimmen zu können.

Babaoglu-Marx: Als klar denkende, vernünftige Menschen brauchen wir die von Ihnen als „einfach“ bezeichneten, in Wahrheit aber unnötig einengenden Regeln nicht. Wenn in einem Zimmer eine Steckdose ist, bedeutet das ja auch nicht, dass ich diesen Raum dann nicht mehr betreten darf, damit ich bloß nicht in die Steckdose fasse und einen tödlichen Stromschlag kriege. Ich will damit sagen: Wir brauchen keine unsinnig rigorosen Vorschriften, sondern vernünftige Vorgaben.

Rickelt: Wer sagt eigentlich, dass die Masken unschädlich sind? Sie behaupten das zwar, aber gibt es dazu überhaupt gesicherte Erkenntnisse?

Hallek: Im Gesundheitswesen sind Masken von jeher eine Selbstverständlichkeit. Im Operationssaal, wo oft über Stunden Schwerstarbeit geleistet wird, tragen alle Akteure eine Maske, um den Patienten vor Infektionen zu schützen vor Infektionen. Mir ist kein Fall bekannt, in dem jemand dadurch Schaden genommen hätte.

Rickelt: Aber das sind alles Erwachsene. Was ist mit Kindern, die noch im Wachstum sind? Was ist mit den Beeinträchtigungen im Schulalltag, mit möglichen Hemmungen im Unterricht und nachfolgend schlechten Benotungen?

Hallek: Wir sind im Moment in einer hochgefährlichen Lage und müssen alles tun, um der Bedrohung für Leib und Leben einer ganzen Gesellschaft Herr zu werden. Wir kämpfen in der Uniklinik täglich um das Leben von Covid-19-Patienten. Dabei tragen wir Masken – und es hat sich bisher bei uns so gut wie niemand angesteckt. Das ist für mich das beste Argument für diese Maßnahme. Ich diskutiere gern darüber, ob kleine Kinder sich unter der Maske möglicherweise unwohl fühlen, und ich nehme Ihren Hinweis ernst, dass das auch untersucht werden sollte. Aber in der Abwägung der Relevanz ist das im Moment nachrangig. Ich vergleiche das einmal mit der Anschnallpflicht im Auto: Es mag sein, dass Ihre Kinder den Gurt als beengend empfinden oder Beklemmungen bekommen. Aber dennoch schnallen Sie Ihre Kinder im Auto an, um sie vor den Folgen eines Aufpralls bei einem Unfall zu schützen.

Babaoglu-Marx:: Die jetzt hochgepriesene Maske galt am Beginn der Pandemie als nutzlos, wenn nicht schädlich. Das hat sogar das Robert-Koch-Institut (RKI) gesagt. Wo war denn dann da der Denkfehler? Oder was war die bahnbrechende Erkenntnis, sich irgendwann doch anders zu entscheiden?

Hallek: Erstens ist Covid-19 eine neue Krankheit, das Coronavirus hat Eigenschaften, die wir von vergleichbaren Viren nicht kannten. Zweitens hatten wir in Europa seit langem keine Pandemie von solcher Dimension. In dieser Situation musste die Wissenschaft erst einmal lernen – auch was den Nutzen von Masken betrifft. Ich habe schon sehr früh und auch öffentlich darauf hingewiesen, dass in Asien – wo die Menschen seit Jahrzehnten an Masken gewöhnt sind – die Infektionsketten weit erfolgreicher unterbrochen werden konnten. Das war zunächst nur eine Vermutung. In Studien hat sie sich dann aber sehr schnell bestätigt.

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Herr Babaoglu-Marx, wenn Sie die beiden Ärzte über die dramatische Lage in den Kliniken reden hören, wie erklären Sie es sich da eigentlich, dass Tausende auf die Straße gehen, Corona für ein Hirngespinst halten und alles ablehnen, was im Kampf gegen die Pandemie unternommen wird?

Babaoglu-Marx: Gegenfrage: Die „Dramatik der Lage“ wird ja vor allem an den Todeszahlen verdeutlicht. Aber woher wissen wir überhaupt, wie viele Patienten wirklich an Corona sterben – und wie viele bloß mit Corona?

Fätkenheuer: Wenn jemand eine andere schwere Erkrankung hat, sich mit Corona infiziert und stirbt, hat das Virus dazu zumindest einen Beitrag geleistet. Im Einzelfall ist es für uns Ärzte oft ganz schwierig bis unmöglich zu sagen, welche von mehreren Erkrankungen den Tod unmittelbar ausgelöst hat, auch völlig unabhängig von Corona. Aber spielt das eine Rolle? Klar ist doch, dass die Patienten ohne die Corona-Infektion noch Lebenszeit vor sich gehabt hätten – seien es Wochen, Monate oder Jahre. Wir sehen in den Todesstatistiken inzwischen eindeutig, dass die Sterblichkeit in direktem Zusammenhang mit der Corona-Epidemie ansteigt. Am klarsten ist das natürlich dort erkennbar, wo es die höchsten Infektionsraten gibt. Aber auch für Deutschland ist der Zusammenhang inzwischen nachgewiesen. Damit ist die Antwort auf die Frage klar: Man stirbt am Coronavirus.

Rickelt: Sie fragten ja eben nach den Corona-Leugnern. Wissen Sie, Sie als Medienvertreter stürzen sich immer gern auf die Leute mit den abstrusesten Theorien. Damit haben wir beide zum Beispiel nichts im Sinne, und ich glaube, das gilt auch für sehr viele andere.

Babaoglu-Marx: Ich war in Berlin und habe mir die Demos gegen die Corona-Politik angeschaut. In der großen Mehrheit waren das Leute wie Frau Rickelt und ich. Leute, die verunsichert und beunruhigt sind. Und das hat genau mit dem zu tun, was wir eben beim Thema Maske verdeutlichen wollten: Es bleiben zu viele Fragen offen. Oder die Antwort von heute ist das Gegenteil der Antwort von gestern. Das macht unzufrieden. Aber wenn man das sagt und Fragen stellt, wird man ganz schnell zum Verschwörungstheoretiker gestempelt. Ich zum Beispiel habe gar keine Theorie. Und das Letzte, was ich will, ist, dass die Wissenschaft oder auch die Politik unglaubwürdig werden. Wir brauchen Instanzen und Institutionen, die glaubwürdig sind. Ich versuche lediglich, selbstständig zu denken.

Fätkenheuer: Aber haben Sie bei dem, was Herr Hallek oder ich jetzt sagen, auch das Gefühl, unsere Antworten seien vage und unbefriedigend?

Rickelt: Was Sie sagen, finde ich durchaus überzeugend. Es wird ja auch überall gebetsmühlenartig wiederholt. Aber wenn Sie doch selbst zugeben, dass Sie für bestimmte Fragen – wie eben die schädliche Wirkung der Maske für Kinder – keine durch Studien gesicherten Erkenntnisse haben, dann dürfen Sie sich über Skepsis nicht wundern. Ich nenne ein weiteres Beispiel, bei dem es noch deutlicher ist: das Thema Impfstoff. Da werden jetzt Entwicklungen in einem Jahr durchgepeitscht, die sonst zehn Jahre dauern. Das macht Angst.

Fätkenheuer: Im Verfahren ist nichts anders gelaufen als sonst auch. Alle Regeln, die für Impf-Studien gelten, sind ausnahmslos befolgt worden. Das Besondere und vielleicht schwer Verständliche ist, dass das alles gerade in einem rasanten Tempo passiert. Die Situation drängt medizinisch aber auch in einem beispiellosen Maß – aus diesem Grund fließt viel Energie und viel Geld in die Impfstoff-Entwicklung. Es arbeiten derzeit unglaublich viele Wissenschaftler gleichzeitig an Corona-Impfstoffen. Aber dass die Beschleunigung zu weniger Sorgfalt geführt hätte – dieser Vorwurf stimmt einfach nicht.

Babaoglu-Marx: Aber es stimmt schon, dass wir keinerlei Erfahrungen mit RNA-Impfstoffen haben?

Hallek: Absolut. Und ich kann die Sorge nachvollziehen, dass etwas Neues prinzipiell Gefahren birgt. Doch wurden in den bisherigen Studien bereits Zehntausende geimpft – und die Ergebnisse sind eindeutig. Relevante Nebenwirkungen sind nicht aufgetreten. Ich persönlich sehe bisher kein großes Risiko und würde mich auf Grundlage der dann öffentlich vorliegenden Daten definitiv impfen lassen, dasselbe empfehle ich meiner Familie und meinen Patienten.

Rickelt: Über die Langzeitfolgen wissen wir rein gar nichts. Es reicht mir nicht, blind zu vertrauen. Ich verlange Belege.

Fätkenheuer: Langzeitwirkungen können naturgemäß nur über lange Zeit beobachtet werden. In ersten Studien ist das nicht möglich. Es müssen viele, viele Menschen geimpft und über Jahrzehnte beobachtet werden. Da macht es dann keinen Unterschied, ob die Entwicklung des Impfstoffes ein Jahr oder zehn Jahre gedauert hat. Aber eines wissen wir schon jetzt sicher: Die theoretisch möglichen Langzeitwirkungen einer Impfung sind längst nicht so gefährlich wie die einer Corona-Infektion. Der Nutzen übersteigt die Risiken um ein Vielfaches.

Rickelt: Es beunruhigt mich, dass kommerzielle Interessen hinter der Entwicklung steht und dass die Aktien der Firmen durch die Decke gehen. Gibt es auch nicht-kommerzielle Forschung an Impfstoffen?

Hallek: Ja, die gibt es. Die Impfung der Firma AstraZeneca, die diese Woche erfolgreiche Ergebnisse vermeldete, wurde ursprünglich an der Universität Oxford entwickelt. In Deutschland forscht ein nationales Corona-Programm der Universitätsmedizin, das vom Bund finanziert wird, an neuen Medikamenten und Erkenntnissen. Dort wird Covid-19 in großen Umfang untersucht – übrigens auch die Frage, ob die Corona-Regeln an Schulen mithilfe ausgeweiteter Tests gelockert werden können. Die Impfstoff-Entwicklung ist im Übrigen sehr aufwendig und verlangt die industrielle Produktion der entwickelten Mittel. Das kann die öffentliche Hand allein in keinem Land der Welt effizient leisten.

Rickelt: Das verstehe ich nicht. Wir können es uns leisten, die Impfstoffe zu bezahlen, aber nicht, sie zu produzieren?

Hallek: Das ist nicht primär eine Frage des Geldes, es ist eine Frage von Infrastruktur. Auch ich stehe der pharmazeutischen Industrie an einigen Stellen kritisch gegenüber. Doch es gibt keinen Grund anzunehmen, dass eine staatliche Produktion sicherer oder effizienter wäre als eine industrielle Produktion unter starker Kontrolle von Behörden. Wer das ändern will, diskutiert über eine völlig andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Über eine solche Diskussion kämen wir der Bewältigung dieser Pandemie in absehbarer Zeit aber kaum näher.

Fätkenheuer: Ich nehme an, dass Sie sich schon einmal in ein Auto gesetzt haben. Ein Auto ist gefährlich, deutlich gefährlicher sogar als ein zugelassener Impfstoff. Und es wurde von einem Unternehmen gebaut, das Gewinne machen will. Sie vertrauen dennoch darauf, dass das Auto so fährt, wie es fahren soll – nicht zuletzt weil der TÜV es darauf hin geprüft hat. Dieser Zusammenhang entspricht der Impfstoff-Entwicklung.

Impfungen wirken nur dann effektiv, wenn sich ein großer Teil der Bevölkerung impfen lässt. Könnte es am Ende doch auf eine Impfpflicht hinauslaufen, wenn die Bereitschaft zu freiwilligen Impfungen geringer ausfällt als erhofft?

Hallek: Ich weiß aus den aktuellen Diskussionen im Umfeld der Regierung, dass niemand, wirklich niemand daran denkt, eine Impfpflicht einzuführen. Man will die Impfung unbedingt als freiwillige Maßnahme durchsetzen. Ich finde das sehr gut. Ich gehe aber davon aus, dass sich ein großer Teil der Menschen impfen lassen möchte – um sich und ihre Familie zu schützen.

Babaoglu-Marx: Die geplante Impf-Strategie halte ich für falsch. Alte Menschen, die der Risikogruppe angehören, sollen schnell geimpft werden – doch diese Menschen könnten von möglichen Nebenwirkungen besonders hart getroffen werden.

Hallek: Das ist ein wichtiger Punkt, ja. Aber: Wer sich in hohem Alter infiziert, hat aktuellen Daten zufolge ein Risiko zwischen zehn und 20 Prozent, an Covid-19 zu sterben. Schwächere Immunsysteme sind logischerweise besonders anfällig für mögliche Nebenwirkungen, diese sind aber – analog zur Gesamtbevölkerung – längst nicht so gefährlich wie das Virus. Insofern würde ich im Zweifel auch älteren Patienten zur Impfung raten. Eines muss man sich klar machen: In der Medizin gibt es keine Maßnahmen ohne Nebenwirkungen. Es geht immer um Abwägung zwischen Nutzen und Risiko.

Fätkenheuer: Ich arbeite vor allem mit Patienten, die Immundefekte haben. Diese Patienten haben bei vielen Krankheiten ein besonders hohes Risiko, schwer zu erkranken. Die Frage, ob und wann eine Impfung sinnvoll ist, findet in fast jeder Sprechstunde statt. So wird es auch mit der Corona-Impfung sein. Wir werden es ohne Impfpflicht schaffen, eine breite Immunität herzustellen – davon bin ich fest überzeugt.

Die Fragen nach der Sicherheit von RNA-Impfstoffen, nach möglichen Langzeitfolgen und Nebenwirkungen bei älteren Patienten wurden in den vergangenen Wochen intensiv diskutiert – auch in dieser Zeitung. Viele impfskeptische Menschen fühlen sich dennoch mit ihren Bedenken alleine gelassen. Woran liegt das?

Babaoglu-Marx: Das stimmt, auch ich habe diese Diskussionen wahrgenommen. Doch sie gehen aus meiner Sicht durch die Fülle einer eher unkritischen Berichterstattung in Deutschland oft unter. Denselben Eindruck habe ich, wenn es um Medikamente geht: Wir wissen, dass Remdesivir gegen Covid-19 wirkt. Warum also setzen wir Remdesivir nicht öfter ein, um Infizierten zu helfen – statt Gesunde rigoros und schnell zu impfen?

Fätkenheuer: Die Frage ist aus meiner Sicht falsch gestellt. Wir sprechen hier von zwei unterschiedlichen Strategien, die wir beide unbedingt brauchen. Ich kenne keinen Mediziner, der nicht sagen würde: Wir brauchen beides. Selbst mit besten Medikamenten gibt es viele Patienten, die auf Intensivstationen landen und dort sterben. Das möchten Sie nicht, das möchte ich nicht, das möchte niemand. Wir wollen verhindern, in diese Situationen zu kommen. Wenn es dann doch passiert – wie wir es seit Monaten sehen –, dann brauchen wir dringend Medikamente. Auch diese Forschung läuft an den unterschiedlichsten Stellen auf Hochtouren, auch bei uns in der Uniklinik Köln.

Rickelt: Derzeit kann kein Corona-Test mit Sicherheit sagen, ob ich infiziert bin oder nicht. Es gibt viele falsch-positive Testergebnisse – und damit auch viele Menschen, die ihre Wohnung nicht verlassen dürfen, obwohl sie gesund sind. Ich empfinde das als Freiheitsberaubung.

Hallek: Das Wort Freiheitsberaubung hat einen Unterton, mit dem ich nichts anfangen kann: Es geht bei allem, was wir machen, darum, Schaden von der Gemeinschaft abzuwehren. Zu diesem Zweck darf der Staat auch Regeln einführen. Daran muss man sich dann halten. Dies gilt nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch für den Straßenverkehr, für die Wirtschaft, also eigentlich für alle Bereiche des Lebens. Perfekte Maßnahmen gibt es nicht, perfekte Tests ebenso wenig, aber wir haben sehr gute Tests, die wir im medizinischen Alltag je nach Situation gezielt einsetzen können. Bei PCR-Test sind positive Tests mit einer minimalen Fehlerquote möglich. Bei Antigen-Tests, die etwas unpräziser sind, können mit einer etwas höheren Quote infizierte Personen negativ getestet werden. Wer eine hohe Viruslast hat und damit akut ansteckend ist, wird auch von Antigen-Tests als positiv ausgewiesen.

Fätkenheuer: Die Fehlerquote bei den PCR-Tests liegt bei weit unter einem Prozent. Denn niemand gilt nach einem positiven Test gleich als infiziert: Es folgen weitere Tests zur Validierung, es folgen Untersuchungen. Ein Ziel dieser Nachforschungen ist es, genau die von Ihnen beschriebene Situation zu vermeiden. Mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen lässt sie sich nicht, da haben Sie recht – aber sie ist extrem selten.

Rickelt: Aber wir hätten doch auch als Infizierte viele Möglichkeiten, die eigene Wohnung ohne jedes Infektionsrisiko für andere zu verlassen: Wir können mit FFP-Masken im Wald spazieren gehen und Abstand halten. Wo ist denn da noch die Gefahr? Ich halte die häusliche Quarantäne daher für überzogen. Ich müsste Einschränkungen in Kauf nehmen, weil andere nicht in der Lage sind, sich vernünftig zu verhalten.

Wo Kölner einen Corona-Test machen können

Corona-Teststellen in Köln

Personen mit Covid-19-Symptomen sollen ihren Hausarzt oder den ärztlichen Bereitschaftsdienst (Nummer: 116117) kontaktieren. Wer akute Atemnot hat, soll sofort den Notruf 112 wählen.

Bei Hausärzten kann sich jeder testen lassen, ob man nun zur Risikogruppe gehört, aus einem Risikogebiet eingereist ist, eine rote Warnung über die Corona-App erhalten hat oder sich ohne triftigen Grund auf das Coronavirus untersuchen lassen möchte. Es gelten die Öffnungszeiten des jeweiligen Arzts.

Im Infektionsschutzzentrum Uniklinik können sich montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr Einreisende aus Risikogebieten, Angehörige einer Risikogruppe und Menschen mit roter App-Meldung testen lassen.

Im Infektionsschutzzentrum Neumarkt (Gesundheitsamt) können sich montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr Einreisende aus Risikogebieten und Menschen mit einer roten App-Warnung testen lassen. 

Am Hauptbahnhof können sich täglich von 7 bis 23 Uhr Einreisende aus Risikogebieten und Menschen mit einer roten App-Warnung testen lassen. Ein Test ohne konkreten Anlass kostet 59 Euro.

Am Flughafen können sich jeden Tag 24 Stunden lang Einreisende aus Risikogebieten und Menschen mit einer roten App-Warnung testen lassen. Ein Test ohne konkreten Anlass kostet 59 Euro.

Mein Corona-Schnelltest in der Lintgasse 14 bietet Antigen-Schnelltests an. Das Angebot kostet 35,90 Euro, online muss ein Termin vereinbart werden. Menschen mit Symptomen dürfen nicht kommen.

Den „Corona Walk-in in der Bonner Straße 178 kann man ohne Termin aufsuchen. Der Test kostet 75 Euro.

Die Firma Medicare Logistic, bietet im Josef-Haubrich-Hof 5 Antigen-Schnelltests für 39,90 Euro einen mobilen Testservice für Unternehmen, Schulen und sonstige Einrichtungen an. Online-Termin erforderlich.

In der Schildergasse 24 hat die Firma Smart-med-Test ein Zentrum eröffnet. Antigen-Schnelltests kosten 37,80 Euro, PCR-Tests 87,98 Euro, Antikörpertests, mit denen eine durchgemachte Corona-Infektion nachgewiesen werden sollen, kosten 47,80 Euro. Online-Termin erforderlich.

In medizinischen Laboren können sich Einreisende aus Risikogebieten oder Angehörige einer Risikogruppe testen lassen – mit einer ärztlichen Überweisung oder als Selbstzahler (die Kosten variieren). Die Labore raten jedoch davon ab, direkt dort hin zu gehen, da die Einrichtungen derzeit stark überlastet sind.

In Rodenkirchen ist Anfang Dezember ein neues PCR-Testzentrum in der Ringstraße 44 eröffnet worden. Ein Test kostet 81 Euro, der Befund soll nach 24 Stunden vorliegen. (og)

Fätkenheuer: Natürlich ist die individuelle Freiheit ein sehr, sehr hohes Gut. Wo immer möglich, möchte auch ich meine Freiheit ausleben. Aber wir wissen, dass die Infektionszahlen ohne Quarantäne-Regeln deutlich höher liegen würden. Der Nutzen ist also sehr hoch. Im Zweifel müssen wir die Isolation eben aushalten. Das gilt analog auch für die Masken, von denen wir zu Beginn sprachen: Ich persönlich empfinde sie im Alltag als störend. Aber ich weiß, dass ich damit vor allem andere schützen kann– und deshalb beschwere ich mich nicht.

Hallek: Ich bin überzeugter Europäer. Als solcher schmerzt es mich sehr, dass wir es nicht schaffen, besser mit der Situation fertig zu werden – medizinisch, wirtschaftlich und politisch. Auch ich habe als Mensch keine Lust, meinen Kindern ständig Dinge zu verbieten und den ganzen Tag lang AHA-Regeln zu beachten. Aber unsere Demokratie wird es nicht ohne weiteres verkraften, wenn Millionen von Arbeitsplätzen durch die Pandemie wegfallen. Die Lage sehr ernst. Umso mehr sollten wir uns darauf besinnen, die Basisregeln, mit denen sich der Schaden begrenzen lässt, zu befolgen. Wir müssen weiter versuchen, die Pandemie zu kontrollieren. Und nicht umgekehrt alle Aspekte des normalen Lebens durch die Corona-Pandemie zerstören zu lassen. Ich hoffe, dass wir dieses Ziel alle gemeinsam verfolgen und dass dieses Gespräch dazu beiträgt.

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