DJ Cem über Kölns Partyszene„Wir standen jede Woche in der Schlange vom Rose-Club“

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DJ Cem

Cem Yilmaz kam vor 25 Jahren wegen eines Konzertangebots nach Köln – und blieb.

  • Kaum einer kennt die Kölner Partyszene so gut wie der Kölner DJ Cem Yilmaz.
  • Im Gespräch mit uns spricht der Erfinder der Hip-Hop-Partyreihe „Beatpackers“ über den Wandel in Köln, die Solidarität unter den Club-Betreibern – und seine unangenehmste Angewohnheit.

Seit 1997 sind Sie DJ in Köln und seit 2002 gibt es Ihre Partyreihe „Beatpackers“. Wird Ihnen das Auflegen nach 20 Jahren nicht allmählich langweilig?

Eigentlich gar nicht. Es ist meine Leidenschaft, für die ich die Arbeitswelt und das Studium hinter mir gelassen habe. Und die mir viel Stress mit meinen Eltern bereitet hat, die es für unseriös hielten, dass ich mir nachts stundenlang die Beine in den Bauch stehe. Ehrlicherweise gibt es auch Momente, in denen ich denke: Das war heute langweilig aufgelegt. Wie in einer Beziehung gibt es nicht nur die tollen Tage, aber sie sollten überwiegen... Und mit der Musik ist das für mich absolut so.

Ist denn ein Ende in Sicht?

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Ich habe tatsächlich mal überlegt, ob ich mit fünfzig Jahren aufhören soll. Mein Idol ist Hans Nieswandt (Kölner Techno-DJ und Buchautor, geb. 1964, Anmerk. d. Red.), mit ihm habe ich vor neun Jahren zusammen im Goethe-Institut in Ankara aufgelegt. Für mich ist er die coolste Socke, die keinem Hype hinterherrennt. So wie er das macht, könnte ich mir das aber auch noch bis sechzig vorstellen.

Das ist DJ Cem

Cem Yilmaz (46) kommt aus Hilden. Mit 21 Jahren ist er wegen des Konzertangebots nach Köln gezogen. Er brach sein Pädagogik-Studium ab, um 1997 als DJ anzufangen. Seit 2002 existiert seine Party- und Konzertreihe „Beatpackers“. In diesem Rahmen lud DJ Cem Künstler wie De La Soul, Moop Mama und Jamaram ein. Die Marke „Beatpackers“ ist eng an die Person von Yilmaz geknüpft: Das Logo ist seine Frisur.

Jeden Donnerstag legt Yilmaz im Club Subway in der Aachener Straße auf und spielt auch regelmäßig in weiteren Kölner Clubs wie Club Bahnhof Ehrenfeld, Studio 672 oder Gloria. 2014 eröffnete er den Kulturbedarfsladen „Greatlive“ auf der Luxemburger Straße neben dem ehemaligen Rose-Club, heute Veedel Club, den er 2016 ebenfalls übernahm. Seit 2014 betreibt er auch die Eck-Kneipe „Litte Lui“ . 

Was macht den Beatpackers-Sound aus?

Ich gehe über den Tellerrand und habe mich nie als reinen Hip-Hop-DJ gesehen. Zum Rap bin ich über Funk und Soul gekommen. Ende der Neunziger waren reine Funk-Partys noch möglich, als Künstler wie Jamiroquai oder Mojo Club groß waren. Der erste Rap-DJ, Kool Herc aus New York, war Jamaikaner. Diese Assoziationen zwischen Reggae, Dancehall, Funk und Soul versuche ich auch herzustellen. Wichtig ist mir, dass ich keinem Trend hinterher bin. 2002 kam gerade der Gangster-Deutschrap aus Berlin groß heraus: Aggro Berlin mit Sido und Bushido. Ich war der einzige, der das im Club nicht gespielt hat und die Gäste waren dementsprechend enttäuscht.

Wie hat sich der DJ-Beruf in den letzten Jahren verändert?

Durch die Digitalisierung hat er sich sehr verändert. Es gibt mehr DJs, weil die Musik digital verfügbar ist. Davor war es viel relevanter, welche Platten man gekauft hat: Im Plattenladen abhängen, über Mailorder, dem Ottokatalog für Musiker schauen, was es Neues gibt. Damals kannte ich nicht viele DJs, heute kenne ich vielleicht zehn Personen, die keine sind. Jeder kann mit seinem Rechner und einer Gratissoftware mixen. Ich will das aber nicht verteufeln. Mit 14 hätte ich mich auch darüber gefreut, denn für mein erstes Mischpult und die Platten habe ich tausende Mark ausgegeben. Bei Star-DJs sehe ich heute die Entwicklung, dass die Show die eigentliche Show ist und nicht die Musik. Bei den Großen wie David Guetta oder Felix Jaehn haben die Bühnentechniker die größte Arbeit. Sie erhalten Wochen im Voraus einen USB-Stick und stimmen Effekte und Licht genau auf die Musik ab.

Die beiden stammen aus der Elektronik-Szene, die seit Jahren im Vormarsch ist. Elektro-Partys beherrschen die Clubs. Wie beeinflusst das einen DJ, der Oldschool-Rap spielt?

Ich mag House und Techno. Wir haben gute Leute in Köln wie Marcus Worgull, der auch international gebucht wird. Ende der Neunziger habe ich neben Funk auch etwa drei Jahre House-Musik aufgelegt. Damit habe ich aber aufgehört, weil ich währenddessen zu viel Alkohol getrunken habe. Mir war langweilig, weil ein Song bis zu acht Minuten dauern kann. Beim Rap hingegen kommen die Wechsel nach zwei bis vier Minuten. Da wusste ich nicht, wohin mit meinen Händen. Rap ist die bessere Musik für mich. Ich bin froh, dass Leute das nach einer Generation immer noch annehmen. Die Elektronik-Szene stört mich also nicht. Sie sorgt dafür, dass Köln überregional in Sachen Musik einen guten Stellenwert hat. Davon haben wir alle etwas.

Wie hat sich das Kölner Nachtleben in den letzten zwei Jahrzehnten verändert?

Es gab eine größere Auswahl an alternativen Locations wie das Bel Air: ein alter Zirkuswagen, wo alles nur halb legal lief. Solche Läden wurden mit den Jahren platt gemacht. Es gab mehr Anarchie in Köln. Andererseits erzählen mir jüngere Leute, dass sie in einem stillgelegten Parkhaus in Deutz auf drei Etagen eine Techno-Party veranstaltet haben. Ich bekomme das altersbedingt also auch weniger mit. Eines hat sich jedoch maßgeblich verändert: Im Rose-Club war ich 2004 sehr oft feiern. Dienstags, mittwochs, donnerstags war der Eintritt frei, das Bier kostete ein Euro. Wir standen jede Woche in einer Schlange an, die bis zum Stereo Wonderland reichte. Das gibt es heute nicht mehr.

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Was waren die absoluten Hotspots in Köln, als Sie angefangen haben?

Zum Beispiel das Studio 672. Das lag am Booker. Jeder Laden, der etwas auf sich hielt, hatte einen externen Kulturattaché, der dem Laden ein Gesicht verpasste. Damals war es Ralph Christoph, der mittlerweile beim c/o Pop-Festival ist. Den habe ich sehr bewundert, weil er coole Künstler wie die Garage-Band Two Step oder die britische R&B-Band Artful Dodger gebucht hat. Die elektronische Partreihe „Total Confusion“, das wahrscheinlich wichtigste Kölner Techno-Label, hatte hier ihre erste Party. Aus dem Laden ist die Szene entstanden. Und mich gäbe es vielleicht auch nicht, denn ich hatte meine erste erfolgreiche Veranstaltung im Studio. Für Punkrock und Hardcore war das Underground für mich der beste Laden.

Stehen Sie mit den Kneipen und Bars wie dem Luxor, Blue Shell oder Stereo Wonderland im Kontakt? Welches Verhältnis haben Sie zu den Betreibern im Veedel?

Wir kennen uns und haben einen guten Draht zueinander. Das Luxor hat mir schon ausgeholfen, als mir etwas fehlte und auch das Stereo Wonderland. Die Jungs vom Stereo treffe ich manchmal und dann quatschen wir zum Beispiel über das Geschäft. Als an Karneval das Bier aus war, bin ich zum Kiez kurz vor der Zülpicher Straße gegangen. Der Betreiber hat uns ein Pittermännchen geliehen. Das macht Köln für mich aus: Wenn man Teil der kölschen Familie ist, dann hilft sie einem. Das ist einer der Gründe, weshalb ich hier lebe, auch wenn die Stadt nicht so schön ist.

Wie konnten Sie sich als DJ finanziell über Wasser halten, bevor Sie die Läden „Veedel Club“, „Greatlive“ und die angrenzende Kneipe „Little Lui“ übernommen haben?

Das erste Mal, als die Bude voll war, habe ich in den Umschlag geschaut und gedacht: Davon kann ich einen Monat leben. Ich hatte das große Glück, dass die „Beatpackers“ sehr gut liefen. Jeden Donnerstag standen zwischen 500 und 800 Leute vor dem Subway, die Hälfte musste weggeschickt werden. Zum Fünfjährigen hat die Polizei die Aachener Straße gesperrt. Das kam dann in die türkische Zeitung „Hürriyet“. Mein Vater hat fast geweint. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Sohn in der deutschen Ausgabe einer türkischen Zeitung erscheint. Noch letztes Wochenende war der Club Bahnhof Ehrenfeld brechend voll. Und das im achtzehnten Jahr. Da bin ich einfach privilegiert. #bigimage

Man kennt das ja: Ingenieure denken über mathematische Formeln nach, wenn sie eine Brücke sehen, Psychologen analysieren im Alltag ihre Mitmenschen: Wie ist das bei Ihnen, wenn Sie eine Party besuchen – können Sie da abschalten?

Seit ich Veranstalter bin, kann ich nicht mehr auf eine Party gehen, ohne zu schauen, wie das Licht hängt, der Ton klingt, die Eingangssituation geregelt ist... Es ist unangenehm. Ich komme mir vor wie der Technokrat Homo Faber. Das ist tatsächlich auch das Traurige an meinem Beruf, dass mir das kindliche Auge verloren gegangen ist. Auf dem Kanye West und Jay-Z Konzert in der Lanxess Arena habe ich die ganze Zeit darüber nachgedacht, wie man den Sound hätte besser machen können.

Welchen Rausschmeißer-Song spielen Sie gerne?

„Oba, Lá Vem Ela“ des Brasilianers Jorge Ben Jor und „Du lässt mich gehen“ von Charles Aznavour, einem französischen Chansonnier, der kein Deutsch spricht, aber ein deutschsprachiges Album gemacht hat. 

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