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DomgeschichteWie der Dicke Pitter auf kölsche Art vor dem Einschmelzen gerettet wurde

Lesezeit 6 Minuten
060417 Dicke Pitter

Der „Decke Pitter“ schlägt sein tiefes C. (Archivbild)

Köln – „Wenn am Himmel die Stääne danze, un dr Dom sing Jlocke spillt“, singen die „Klüngelköpp“ in einem Karnevalslied als schlagendes Indiz für einen echten Kölner, dass er „doheim“ ist. Ich kann das auch als Imi gut nachvollziehen. Die Vollendung des Heimatgefühls ist es dann wohl, wenn der „Dicke Pitter“ mit seinem einmalig wuchtigen, bis in die Magengrube gehenden tiefen C schlägt. Vom „Dicken Pitter“, offizieller Name: Petersglocke, möchte ich Ihnen zu Pfingsten erzählen. Dann schlägt sie nämlich wieder einmal.

Eines verrate ich Ihnen gleich zu Beginn: Die am meisten bewunderte Glocke des Doms war, lange vor dem „Dicken Pitter“, die 1448 gegossene „Pretiosa“ („Die Kostbare“). Wegen ihres Wohlklangs in ganz Europa gerühmt, soll ihr Schlagen noch in der Residenz der Kölner Erzbischofe zu Brühl vernehmbar gewesen sein. Sie können die Pretiosa an bestimmten Tagen sehr leicht erkennen: Beim Domgeläut ohne den Dicken Pitter zu halbhohen kirchlichen Festen wie dem zweiten Weihnachtstag (26. Dezember), Gründonnerstag, Pfingstmontag, Maria Himmelfahrt (15. August) oder Christkönig (Ende November) macht die 10,5 Tonnen schwere Pretiosa den Anfang.

So kam die „Kaiserglocke“ nach Köln

Während der Fertigstellung des Doms im 19. Jahrhundert kam der Wunsch nach einer noch größeren Glocke auf. Der Zentrale Dombauverein bat den damaligen preußischen König und späteren Kaiser Wilhelm I. (1797 bis 1888) zur Zeit des Kriegs gegen Frankreich 1870/71, er möge doch nach dem Sieg über den Feind erbeutete Kanonen für den Guss schicken. Nun, schrieb Wilhelm zurück, dafür müsse man den Krieg ja erst einmal gewinnen. Was bekanntlich klappte. So bekamen die Kölner 1875 ihre „Kaiserglocke“. Sie war größer und schwerer war als die heutige Petersglocke, klang aber nicht gut.

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1918 wurde sie ihrerseits zur Herstellung von Kriegsgerät eingeschmolzen, nicht ohne einen freundlichen Brief an den Kaiser, inzwischen Wilhelm II. (1859 bis 1941), man werde eine neue Glocke zu seinen Ehren gießen – nach dem Sieg. Was bekanntlich nicht klappte. Trotzdem bekamen die Kölner auf Betreiben das damaligen Oberbürgermeisters Konrad Adenauer (1867 bis 1976) und des Erzbischofs Kardinal Karl Joseph Schulte (1871 bis 1941) im Jahr 1924 Ersatz: eben die 1922 im thüringischen Apolda gegossene Petersglocke. Mit 24 Tonnen Gewicht und 3,22 Meter Durchmesser ist sie bis heute die tontiefste freischwingende Glocke der Welt.

Der Einbau dauerte drei Wochen, weil man das Riesending mit Hilfe hydraulischer Pressen der Reichsbahn ganz langsam, Meter für Meter, auf die Höhe des Glockenstuhls bringen musste. Zuvor hatte man am Hauptportal des Doms eigens den Mittelpfeiler mit der Marienstatue demontieren müssen, weil die Glocke sonst nicht hindurch gepasst hätte.

Die Seelstange, die Aufhängung des Klöppels, war – wie wir erst vor wenigen Jahren feststellen konnten – übrigens aus der Achse einer Schiffsschraube gefertigt. Ein besonders seltener Fall von direkt recyceltem Militär-Schrott. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin klang die Petersglocke ganz wunderbar und läutete sich sofort in die Herzen der Kölner.

So wurde auf kölsche Art der Pitter gerettet

Wie sie den Dicken Pitter im Zweiten Weltkrieg vor dem Einschmelzen retteten, wurde mir von meinem Vorgänger Arnold Wolff glaubhaft überliefert. Die Geschichte ist auf eine Art kölsch, die überhaupt nicht mehr steigerungsfähig ist. Zunächst einmal unterliefen die Kölner die Aufforderung zur Herausgabe der Petersglocke, indem sie die entsprechenden Briefe einfach liegen ließen. Als aber das Drängen des NS-Regimes massiver wurde, antwortete man, also das mit dem Einschmelzen, das gehe ja auf gar keinen Fall. Der Dicke Pitter werde schließlich gebraucht für das Einläuten des Endsiegs. Danach war Ruhe.

Anfang der 50er Jahre bekam die Glocke einen Riss, wohl weil der Klöppel zu groß dimensioniert war. Sie wurde an Ort und Stelle geschweißt und dann ein Stück gedreht, damit der Klöppel künftig nicht mehr direkt auf die nach wie vor deutlich sichtbare geflickte Stelle träfe. Beim Einbau eines neuen, kleineren, aber immer noch 800 Kilogramm schweren Klöppels wurde etwas gepfuscht. Schlamperei aber rächt sich immer.

Als der Klöppel riss und ein Beben auslöste

In diesem Fall dauerte es 60 Jahre. Dann riss am Dreikönigstag 2011 der Klöppel und die im Dom installierten Sensoren der Erdbeben-Messstation Bensberg schlugen deutlich aus. Beim Aufprall selbst bewährte es sich, dass wir den zwischenzeitlich eingezogenen Betonboden wieder durch Dielen ersetzt hatten, wie sie im 19. Jahrhundert beim Turmbau verwendet worden waren. Die acht Zentimeter dicken Holzbretter federten das Gewicht des Klöppels ab. Wären noch die Betonplatten dagewesen, hätte er diese garantiert durchschlagen und wäre 50 Meter weiter unten in die Turmhalle gekracht. Die mögliche Katastrophe mag ich mir gar nicht ausmalen.

Im Herbst des gleichen Jahres wurde ein neuer Klöppel geschmiedet. Er ist eine Spende der Badener Schmiede Edelstahl Rosswag und der Edelstahlhütte Boschgotthardshütte aus Siegen. Es war eine dieser beeindruckenden Gesten, mit denen Menschen ihre Wertschätzung und Bewunderung für den Dom dokumentieren.

Die Anlässe, zu denen die Petersglocke schlägt, sind in der Läuteordnung des Doms genau festgelegt. Die höchsten christlichen Feiertage zählen dazu wie  das Pfingstfest, der Beginn des neuen Jahres sowie Tod und Wahl des Papstes und des Kölner Erzbischofs. An den kirchlichen Hochfesten gibt es jeweils ein Einläuten am Vorabend um 19.30 Uhr sowie am Festtag selbst das Läuten vor dem 10-Uhr-Hochamt.

Dicke Pitter nur zu besonderen Anlässen zu hören

Ausnahmen sind mir nur drei bekannt. So schlug der Dicke Pitter 1967 zu Ehren des verstorbenen ehemaligen Kölner OB und Bundeskanzlers Adenauer. Dann gab es einmal europaweit ein gemeinsames Läuten aller Glocken, die von der Firma Ulrich in Apolda gegossen worden waren. Auch das war ein im Grunde betrüblicher symbolischer Akt. Denn der international renommierte Betrieb hatte nach der Wende Konkurs anmelden müssen. Eine weitere Konzession machte schließlich der frühere Dompropst Norbert Feldhoff für die Klöppelschmiede Rosswag, die ja unentgeltlich gearbeitet hatte. Als die Belegschaft einmal nach Köln reiste, bekam sie als Zeichen des Dankes ihren Klöppel in Aktion zu hören.

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Eine kleine Anekdote steht für die emotionale Verbundenheit der Kölner mit dem Dicken Pitter: Als ich einmal an Weihnachten vor der Christmette zum Dom hinüber ging, stand eine ganze Reihe von Feuerwehrautos davor. Das jagte mir einen gehörigen Schrecken ein. Ich suchte den Einsatzleiter und fragte ihn, was um Himmels willen denn los sei. „Nichts. Wir wollten nur an Heiligabend den Dicken Pitter hören.“ Wegen der erhöhten Alarmbereitschaft an Weihnachten – brennende Christbäume, Sie wissen schon – waren die Besatzungen gleich mit ihren Einsatzwagen und in voller Montur vor den Dom gefahren.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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