Drogenszene am Kölner Neumarkt„Frustration darf nicht zu Hilfslosigkeit werden“

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Drogenszene Neumarkt5 gepixelt

Ein Mann wird am Neumarkt in Gewahrsam genommen. 

Herr Lotz, wie bewerten Sie die Situation auf dem Neumarkt?

Lotz: Das ist keine neue Situation, die hat sich in den letzten Jahren konstant gehalten. Der Neumarkt ist ein Platz, an dem harte Drogen gehandelt werden, Heroin, Kokain, aber auch Marihuana. Es treffen sich dort Drogendealer, Abhängige, auch Obdachlose. Wir haben es mit einer Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls, aber auch mit Vermüllung zu tun.

Was konkret tut die Polizei dagegen?

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Allein in den vergangenen vier Wochen haben wir auf dem Platz 151 Maßnahmen getroffen, zum Beispiel Personenkontrollen. Wir haben 44 Strafanzeigen mit Rauschgiftbezug vorgelegt, 29 Platzverweise ausgesprochen und elf Menschen festgenommen. Wir observieren die Leute auch mit verdeckten Kräften, um an die Hintermänner zu gelangen. Da will ich jetzt nicht näher drauf eingehen, aber das ist ein sehr langer und personalintensiver Weg.

Wir hatten bei unserer Recherche das Gefühl, die Dealer fühlen sich auf dem Neumarkt zu Hause – als gehörte ihnen der Platz. Wie kann das sein?

Es mag sein, dass die Dealer zuletzt dreister geworden sind. Gleichwohl sind unsere Maßnahmen konstant. Nur kommen auch wir an unsere Grenzen. Bei der Menge müssten Sie dort eigentlich ohne Ende tätig sein. Das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Die Leute sind schneller wieder da, als wir sie wegsperren können. Zudem ist unsere Handhabe begrenzt. Wir haben es auf dem Neumarkt mit Kleinstdealern zu tun, das reicht in der Regel nicht aus, die hinter Schloss und Riegel zu bringen.

Sie hissen die weiße Fahne?

Nein. Aber unsere Maßnahmen wirken nicht so, wie man sich das vielleicht wünscht – dass nämlich dadurch keine Drogenkriminalität mehr am Neumarkt stattfindet. Dazu bedarf es weiterer Maßnahmen, langfristiger Hilfen für Drogenabhängige etwa und Streetworker, die sich um die Obdachlosen kümmern. Im Moment ist der Neumarkt eine relativ wenig genutzte Verkehrsfläche, wo Drogen vertickt werden.

Die Gesellschaft muss sich den Neumarkt zurückerobern, den Platz anders nutzen, Begegnungsmöglichkeiten schaffen, Festivitäten, Veranstaltungen. Was man auch sehen muss: Irgendwo findet das immer statt in einer Großstadt. Es gibt ungefähr 5000 Drogenabhängige in Köln. Die hören nicht von heute auf morgen auf. Es  gibt eine Nachfrage, und die will befriedigt werden.

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Viele Anwohner und Geschäftsleute wünschen sich eine mobile Polizeiwache auf dem Neumarkt. Kommt das für Sie infrage?

Klares Nein! Wir brauchen Menschen auf der Straße und keine Gebäude. Denn das macht Dealern sicher keine Angst. Ich weiß, dass das erst einmal ein gutes Gefühl gibt, wenn da ein Polizeischild hängt und da sitzen zwei Polizisten. Aber das bringt nichts. Eine Wache bindet Personal, das auf der Straße fehlt.

Was Sie auf dem Neumarkt brauchen, ist nichts anderes als ein Streifenwagen, ein Fahrzeug mit zwei Polizeibeamten, die vor Ort tätig werden können. Dafür gibt es die 110, dafür kann man uns anrufen, und dafür gibt es auch rund um den Neumarkt immer Streifenwagen, die schnell da sind.

Zur Person

Martin Lotz ist Leitender Polizeidirektor, Chef der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz und somit verantwortlich für den Wach- und Wechseldienst der Polizei in Köln.

Aber nochmal: Wir waren zehnmal da zuletzt, und jedes Mal waren auch Dealer da, die dreist und offen gedealt haben und von den Maßnahmen der Polizei offenbar überhaupt nicht beeindruckt sind. Wie erklären Sie sich das?

Viele, die da Drogen verkaufen, sind selbst abhängig. Sie stehen unter dem Druck, Geld einnehmen zu müssen, um sich den eigenen Konsum leisten zu können. Das erklärt diese Dreistigkeit ein Stück weit. Die Angst, entdeckt zu werden und im Gefängnis zu landen, ist außerdem recht überschaubar, denn wegen so etwas kommen sie nicht gleich hinter Gitter.

Die werden einmal erwischt, zweimal – und bevor sie sich ein drittes Mal erwischen lassen, verticken sie eben woanders, möglicherweise auch in anderen Städten. Sie tragen meist nur Kleinstmengen bei sich und behaupten, das sei für den Eigenbedarf – sie sind also in dem Sinne keine gewerbsmäßigen Händler, und die Strafe fällt entsprechend mild aus.

Gibt es eine Struktur, nach der sich die Dealer absprechen und organisieren – etwa nach Tageszeiten?

Ob die ein Schichtsystem haben, weiß ich nicht. Aber die Nachfrage bestimmt das Angebot. Und bei den vielen Drogenkonsumenten in Köln gibt es viele Zwischenhändler und Großverdiener, die sich einen Teil des Kuchens abschneiden. Die Konsumenten kommen meist nicht von weit her zum Neumarkt. Viele kaufen sozusagen by the way im Berufsverkehr.

Viele Deals finden direkt vor den Linsen der fest installierten Videokameras statt, also buchstäblich vor den Augen der Polizei. Wie reagieren Sie darauf?

Das ist auf den Kameras tatsächlich zu sehen, und dann werden wir auch tätig. Das geschieht aber nicht sofort offen, sondern wir führen Einsatzkräfte heran und machen die Kontrollen dann ein Stück abgesetzt. Und die Videoaufnahmen dienen als Beweismittel im Strafverfahren.

Viele Deals werden auf den Treppen zur U-Bahn abgewickelt, warum hängen da keine Kameras?

Zunächst einmal: Ihre Beobachtung stimmt. Die Dealer schauen natürlich ganz genau, wo die einsehbaren Bereiche unserer Videobeobachtung sind. Darauf stellen die sich ein, überlegen, wie sie sich abschotten können. Oder auch, wie sie möglichst schnell und ungesehen an ihre Drogenbunker gelangen. Denn die Dealer führen in der Regel nur das Allernötigste mit. Und sie wollen auch ihre Kunden nicht gefährden. Wenn ihnen das Risiko zu groß ist, suchen die sich ja einen anderen Händler. Wir haben die Kameras allerdings aus Gründen der Gefahrenabwehr nach dem Polizeigesetz aufgestellt, die Videobeobachtung ist also nicht hauptsächlich darauf ausgerichtet, die BTM-Kriminalität aufzuklären, sondern um die Straßen- und Schwerkriminalität zu verhindern: Körperverletzungen, Tötungsdelikte, Raub, aber auch Taschendiebstahl. Die Kamerastandorte sind so gewählt, dass sie möglichst den ganzen Platz abdecken. Bestimmte Abgänge sind auch gar nicht erlaubt, weil wir da nicht mehr im öffentlichen Raum sind, sondern im privaten Bereich der KVB.

Wieviel Personal setzt die Polizei auf dem Neumarkt ein?

Wir haben natürlich den normalen Streifendienst. Der kann immer in kürzester Zeit dort tätig werden, wenn ein Bürger etwas mitteilt oder wir in der Videobeobachtung eine Gefährdungslage erkennen. In der Regel sind das immer doppelt besetzte Streifenwagen. Darüber hinaus gibt es noch den Bezirksdienst, quasi den Polizisten an der Ecke. Und dann gibt es den „Einsatztrupp Präsenz“, der in der Innenstadt angesiedelt ist. Das sind 15 Leute, die die Aufgabe haben, sich um die Brennpunkte in der gesamten Stadt zu kümmern. Die werden sehr häufig auch an den Plätzen in der Innenstadt eingesetzt. Kümmern sich neben den Drogenhändlern beispielsweise aber auch um die Obdachlosen. Und zudem gibt es noch Zivilfahnder. Das ist alles in allem schon eine Menge, 30 bis 40 Beamtinnen und Beamte. Aber die kümmern sich nicht nur um den Neumarkt. Die machen zum Beispiel auch den Ebertplatz, das Zülpicher Viertel, die Ringe am Wochenende und noch vieles mehr.

Ist es schwierig, gerade die Kolleginnen und Kollegen zu motivieren, die es auf der Straße oft immer wieder mit denselben Dealern zu tun haben?

Es ist nicht einfach, sie dazu zu motivieren, jeden Tag aufs Neue gegen etwas zu kämpfen, wo man am Ende weiß: Letztlich werde ich nichts ändern, ich werde immer nur an den Symptomen arbeiten. Die Frustration, nichts bewirken zu können, nicht dagegen anzukommen, darf dann nicht in Hilflosigkeit münden.

Nimmt die Stadt das Problem ernst?

Ich glaube, dass die Stadt gerade dabei ist, sich da erneut für die Situation zu sensibilisieren. Auch wenn sich Bürgerinitiativen, etwa die der Anwohner, zu Wort melden, sind das Entwicklungen, die dazu beitragen, die Mitwirkungsbereitschaft bei der Stadt und anderen Verantwortungsträgern zu wecken. Die Stadt hat ja auch schon reagiert und eine „AG Neumarkt“ eingerichtet, die sich mit den Problemen beschäftigt. Ich bin guter Hoffnung, dass man eine Veränderung erreichen kann. Aber man muss den Ball ständig spielen, permanent dranbleiben. So etwas erfordert Zeit und Geduld.

Sie sagten, die Stadt sei dabei, sich erneut für die Situation am Neumarkt zu sensibilisieren. Und das ist aus Ihrer Sicht auch dringend nötig?

Ja. Wir wissen alle, dass es am Neumarkt einen Handlungsbedarf gibt. Bringen wir es doch mal auf den Punkt: Polizeieinsätze sind Medizin, die Symptome lindern. Ursachen von Drogenkonsum lassen sich damit aber nicht beeinflussen.

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