Auftakt in Missbrauchsprozess25-Jährigen in Köln-Ehrenfeld wie Sklaven gehalten

Lesezeit 4 Minuten
Drei der sieben Angeklagten sitzen vor Beginn des Prozessauftakts im Landgericht. Die Angeklagten sollen einen behinderten Mann eingesperrt und zu „sklavenähnlichen Arbeiten“ gezwungen haben.

Drei der sieben Angeklagten sitzen vor Beginn des Prozessauftakts im Landgericht. Die Angeklagten sollen einen behinderten Mann eingesperrt und zu „sklavenähnlichen Arbeiten“ gezwungen haben.

Köln – Sie zogen alle Register, um ihre Opfer zu quälen, zu demütigen und der Lächerlichkeit preiszugeben. Vier junge Männer und drei Frauen – die jüngste 16, der älteste 34 Jahre alt – haben Anfang des Jahres einen 25-jährigen Mann fünf Tage lang in einer Wohnung an der Liebigstraße in Ehrenfeld eingesperrt, um ihn als „Sklaven“ zu halten, wie es in der Anklageschrift heißt. Am Dienstag war Prozessauftakt wegen Freiheitsberaubung, Nötigung, Diebstahl, Bedrohung und Körperverletzung.

Als Marvin R. den Zeugenstand betritt, hat die Clique die Anklage bereits abgenickt und die Vorwürfe „im Großen und Ganzen“ zugegeben. Alle haben noch die Anklage im Ohr, die den Epileptiker R. als „geistig leicht behindert“ einstuft. Er arbeitet in einer Behindertenwerkstatt und lebt in einer Einrichtung für betreutes Wohnen.

„Mann muss verzeihen können“

Doch R. beeindruckt die Anwesenden mit seiner besonnenen Art. Seine Worte kommen zögerlich, aber sein Denken ist klar strukturiert, keine seiner Antworten hinterlassen Fragen oder gar Zweifel. Und er zeigt Größe, als er vom Richter auf die Möglichkeit angesprochen wird, eine Entschuldigung der Angeklagten zu akzeptieren: „Man muss verzeihen können, auch wenn etwas ganz Schlimmes passiert ist.“

Als sich die Hauptangeklagte später an ihn wenden will, schüttelt er aber nur den Kopf, will nichts mehr hören: „Alles kommt wieder hoch.“ Seit dem Geschehen schlafe er nie vor 3 Uhr ein, habe regelmäßig Alpträume, sagt R. Details seines Martyriums will er nicht wiederholen, beispielsweise, dass er einen Bikini anziehen und einen Slip auf dem Kopf tragen musste, dazu gezwungen wurde, in High Heels fast nackt zu putzen, die Wäsche zu machen, den Müll zu sortieren. Weigerte er sich und begann zu weinen, setzte es immer weiter Schläge: „Mit der Faust, der flachen Hand, Tritte in die Rippen.“

An Stuhl gefesselt und geknebelt

Es ist nicht zuletzt der fürsorglichen, einfühlsamen Verhandlungsführung von Richter Jan Orth zu verdanken, dass R. nach einer kurzen Pause, in der er kurz vor einem epileptischen Anfall zu stehen scheint, dennoch bereit ist, sich die Bilder in den Akten anzusehen, die seine Leiden dokumentieren. Etwa die völlig zugemüllt Küche, in der R. in einer Ecke schlafen musste. Wenn die Peiniger ihn tagsüber allein ließen, um beispielsweise Einkaufen zu gehen, wurde er an einen Stuhl gefesselt und geknebelt, die Zimmertür wurde abgeschlossen.

„Mal gucken, vielleicht kannst du dich befreien“, habe er sich am fünften Tag gedacht, als es ihm gelungen sei, die Fesseln abzustreifen. Dann schob er einen Bogen Papier unter die Tür, fand eine Brille, mit deren Bügel er den außen steckenden Schlüssel herausdrückte und ihn mit dem Papierbogen zu sich hineinzog. „Sehr clever“, entfährt es dem Richter, der die anschließende Flucht so beschreibt: „Das war filmreif und gefährlich.“R. hatte zwei Decken aneinandergeknotet und sich aus dem zweiten Stock abgeseilt. Dann nahm er die S-Bahn bis zum Hauptbahnhof, ging zur Bundespolizei, die ihn in die Uniklinik brachte.

„Ich brauchte Ablenkung“

Bereits zwei Tage später war er wieder an seinem Arbeitsplatz: „Das gibt mir Struktur, ich brauchte die Ablenkung“, sagt er. Seit der Tat belege er Tai-Chi-Kurse, „das beruhigt mich“. Auch habe er inzwischen seiner Freundin von dem Geschehen berichtet, denn er war es, der der Hauptangeklagten Sarah S. (30) auf Facebook eine Freundschaftsanzeige schickte und so in die Fänge der Clique geriet. Überhaupt waren es in erster Linie die Frauen und weniger die Männer („Die waren eher nett zu mir“), die ihn quälten und demütigten.

Wie die überwiegend obdachlosen Angeklagten überhaupt auf den Gedanken kamen, derart zu handeln, wird wohl erst in den kommenden Verhandlungstagen ein Thema. Die 16-Jährige geht noch zur Schule, die 20-Jährige ist im achten Monat schwanger und die 20-Jährige offensichtlich so schwer zuckerkrank, dass sie sich regelmäßig Insulin spritzen muss. Was die vier Männer und drei Frauen, die offensichtlich alle auch Drogen konsumierten, dazu veranlasste, Marvin R. als Sklaven zu halten, werden sie auf der Anklagebank erklären müssen.

KStA abonnieren