Debatte um Kölner MuezzinrufStart noch unsicher – Das sagt die Ditib

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Moschee

Die Zentralmoschee in Ehrenfeld.

  • Vor einem Jahr hatte Oberbürgermeisterin Henriette Reker das Pilotprojekt zum Muezzinruf ins Leben gerufen.
  • Die Ditib steht kurz vor der Premiere an der Zentralmoschee in Ehrenfeld.
  • Die Evangelische Kirche teilt mit: „Natürlich halten wir es umgekehrt auch für geboten, wenn die Religionsfreiheit, die in Deutschland selbstverständlich gewährt wird, auch in der Türkei für die christlichen Gemeinden endlich Wirklichkeit würde."

Köln – Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) hat am Dienstag offen gelassen, ob tatsächlich am 14. Oktober in der Ehrenfelder Zentralmoschee zum ersten Mal der Muezzin-Ruf zum Freitagsgebet ertönt. Laut einer Sprecherin befinde sich die Ditib noch in der Abstimmung mit der Stadtverwaltung.

Zuvor hatte die Verwaltung den 14. Oktober als möglichen Termin für die Premiere genannt, weil nur noch Kleinigkeiten beim nötigen Schallgutachten nachgebessert werden müssten.

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Vor allem ist interessant, wie weit der Ruf zum Freitagsgebet zu hören sein wird. Die Sprecherin sagt dazu: „Der Ruf wird nicht weit hinaus zu hören sein.“ Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ soll der Ruf über die bisher verwendeten Lautsprecher für andere Durchsagen zu hören sein und demnach nur bis zum Fußweg vor der Moschee. Auch bislang ruft der Muezzin laut der Sprecherin zum Gebet, das sei aber nur auf dem höher gelegenen Plateau vor der Moschee zu hören.

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Vertragsabschluss steht kurz bevor

In den nächsten Tagen wollen Stadt und Ditib den Vertrag unterzeichnen, ab diesem Zeitpunkt startet die zweijährige Probephase in der Moschee an der Ecke Venloer Straße/Innere Kanalstraße. Konkret geht es dabei um fünf Minuten einmal die Woche freitags zwischen 12 und 15 Uhr, der Zeitpunkt des Freitagsgebets variiert je nach Jahreszeit.

Jede Gemeinde, die einen Antrag bei der Stadt stellt, muss andere Verpflichtungen erfüllen, vor allem zählt, wie viel Lärm am jeweiligen Standort erlaubt ist. Zehn lose Anfragen liegen der Stadt derzeit vor, die Ditib als größte Moschee in Köln mit rund 1200 Plätzen macht als einzige konkret den Anfang – obwohl Stadt und Ditib beim Bau vor vielen Jahren vereinbart hatten, auf den Ruf zu verzichten.

Die Kölner Zentralmoschee

2009 wurde am 7. November der Grundstein gelegt für die neue Moschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib). Das Grundstück befindet sich an der Ecke Venloer Straße/Innere Kanalstraße, rund 300 Meter vom Fernsehturm Colonius entfernt. Stehende Ovationen gab es seinerzeit für Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU), der den Bau gegen Kritik aus den eigenen Reihen verteidigt hatte. Etwa 85 Aktivisten nahmen an einer Demo der rechtsgerichteten Organisation „Pro Köln“ teil.

2011 kündigte die Ditib dem Kölner Architekten Paul Böhm, der das Haus entworfen hat. Sie wirft ihm Mängel bei der Ausführung vor, Böhm widerspricht, im Jahr darauf einigen sie sich auf Vermittlung von Schramma, dass Böhm weitermacht. Trotzdem: Der Eröffnungstermin 2012 für das einst angedachte Vorzeigeprojekt ist damit hinfällig – es wird Jahre dauern.

2017 nimmt die Ditib die Moschee in Betrieb, die Kuppel ist 36,5 Meter hoch, die zwei Minarette jeweils 55 Meter. Der Gebetssaal hat Platz für 1200 Gläubige.

2018 eröffnet schließlich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Moschee. Es wird ein denkwürdiger Tag, der nichts mit der Hoffnung der Stadt zu tun hat auf ein Fest der Integration, der Transparenz. Noch kurz davor gibt es massive Bedenken wegen des Sicherheitskonzeptes, es fällt durch. Vertreter von Stadt, Land und Bund fehlen. Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) hatte zuvor angekündigt, nur teilzunehmen, wenn sie eine Rede halten dürfe. Auch der damalige Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte ab. Erdogan sprach vor 500 geladenen Gäste und nannte „Kommunikationsprobleme“ als Grund für Reker uns Laschets Fehlen. Schramma sagt: „Da ist eine Riesen-Chance vertan worden.“

2021 Die Ditib kündigt im November an, den Muezzinruf bei der Stadt zu beantragen. (mhe)

Ditib-Generalsekretär Abdurrahman Atasoy hat laut einer Ditib-Mitteilung beim Tag der Offenen Moschee am Montag gesagt: „Dies ist Ausdruck der Beheimatung der Muslime, die bereits seit Generationen in Deutschland als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft leben.“ In anderen Städten sei der öffentliche Ruf zum Freitagsgebet möglich und unproblematisch. Die Entscheidung in Köln reihe sich somit in eine Kette gegenseitiger Toleranz und Akzeptanz ein.

Rolle der Ditib wird kritisch gesehen

Doch bei aller Toleranz – in Köln sehen viele vor allem die Rolle der Ditib kritisch. Sie untersteht der Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei (Diyanet), die wiederum dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unterstellt ist. Die Kölner Linken-Fraktionssprecherin Güldane Tokyürek sagt: „Deshalb haben wir gerade schon ein großes Störgefühl. Wir müssen kritisch beobachten, wie die Ditib sich weiter verhält.“ Und FDP-Fraktionschef Ralph Sterck sagt: „Wir sind enttäuscht, dass sich die Ditib in Sachen Unabhängigkeit nicht gut entwickelt hat.“

Rekers überraschende Pläne

Es bleiben also Fragen, die sich einige Beteiligte schon vor fast exakt einem Jahr gestellt haben, als Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) am 7. Oktober 2021 überraschend den Probelauf zum Muezzinruf per Pressemitteilung verkündet hatte, damals sagte sie: „Muslim*innen, viele von ihnen hier geboren, sind fester Teil der Kölner Stadtgesellschaft. Wer das anzweifelt, stellt die Kölner Identität und unser friedliches Zusammenleben infrage. Wenn wir in unserer Stadt neben dem Kirchengeläut auch den Ruf des Muezzins hören, zeigt das, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt wird.“ Am Dienstag will  Reker sich auf Anfrage nicht äußern.

Gerrit Krupp, ordnungspolitischer Sprecher der SPD, sagt: „Es wäre politisch klug von der Verwaltung gewesen, die Stadtgesellschaft und ihre Vertreter einzubinden, statt einsam zu agieren.“

CDU sieht das Vorhaben kritisch

Die Fragen sind heute wie damals im Wesentlichen: Warum kommt das Pilotprojekt zu diesem Zeitpunkt in Köln, zumal beim Bau vereinbart worden war, auf den nach außen hörbaren Muezzinruf zu verzichten? Darauf weist CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau hin: „Die CDU sieht den Muezzin-Ruf an der Zentralmoschee unverändert kritisch. Zum Bau der Moschee gab es das Gentlemen’s Agreement, dass auf einen Muezzin-Ruf dauerhaft verzichtet wird. Daher wurden die Minarette auch nur stilisiert und nicht ausgebaut. Der Verzicht auf den Ruf war und ist ein wichtiger Baustein für die Akzeptanz der Moschee in der Öffentlichkeit.“

Und: Warum darf die Ditib in der Zentralmoschee den Muezzin rufen lassen? Die Eröffnung der Zentralmoschee 2018 lief ohne städtische Vertreter ab, die Stadt Köln war brüskiert, die Ditib feierte eine geschlossene Party mit Stargast Erdogan.

Grüne kritisieren verpatzte Eröffnung

Die Ditib hat damals viel Vertrauen verspielt, Grünen-Fraktionschefin Christiane Martin spricht am Dienstag von „unsensiblen Eröffnungsfeierlichkeiten“, von einer „belasteten Kommunikation“. Sie sagt aber auch: „Wenn in manchen Teilen Kölns künftig, unter klaren Auflagen, der Muezzinruf zu hören sein wird, ist das ein Zeichen der gesellschaftlichen Vielfalt unserer Stadt, die uns alle bereichert.“

Reker hatte seinerzeit ein Signal der Integration von der Ditib gefordert – ist das gekommen? Sterck sagt: „Trotzdem müssen die Regeln für alle Moscheen gleich gelten.“

Die freie Religionsausübung ist per Grundgesetz garantiert, in Artikel vier, Absatz zwei, heißt es: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Darauf verweisen am Dienstag alle Gesprächspartner des „Kölner Stadt-Anzeiger“, unter anderem sagt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime: „Die Erlaubnis zum Muezzinruf ist folgerichtig und eine Selbstverständlichkeit, wenn Städte und Kommunen es ernst meinen mit der Religionsfreiheit.“

Evangelische Kirche fordert gleiches Recht in der Türkei

Die Religionsfreiheit in der Türkei thematisiert dagegen Markus Zimmermann, Vize-Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, er sagt: „Natürlich halten wir es umgekehrt auch für geboten, wenn die Religionsfreiheit, die in Deutschland selbstverständlich gewährt wird, auch in der Türkei für die christlichen Gemeinden endlich Wirklichkeit würde." Das Erzbistum Köln teilt angesichts der öffentlichen Diskussionen mit: „In der aktuell kontrovers geführten gesellschaftlichen Debatte kann die Kirche zur Entemotionalisierung und Versachlichung beitragen.“

Anmerkung: In einer vorherigen Version des Textes hatten wir geschrieben, die Grünen hätten die Kommunikation mit der Ditib als gestört bezeichnet. Fraktionschefin Christiane Martin sprach aber von einer belasteten Kommunikation. Wir haben die Stelle angepasst. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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