Nach Umbau für MillionenKölner Gymnasien steigen aus Inklusionsprojekt aus

Lesezeit 4 Minuten
Inklusiven Unterricht an Kölner Gymnasium wird es in Zukunft kaum mehr geben.

Inklusiven Unterricht an Kölner Gymnasium wird es in Zukunft kaum mehr geben.

Köln – Die Kölner Gymnasien machen nicht mehr mit. Nachdem das Land die Vorgaben für den gemeinsamen Unterricht von Behinderten und Nicht-Behinderten geändert hat, haben sich die Gymnasien der Stadt von der „zieldifferenten Förderung“ verabschiedet. Die Inklusion – verstanden als Idee, dass keiner irgendwo ausgeschlossen werden darf – findet an Kölns Gymnasien nicht mehr statt.

Die Integration einzelner Schüler, etwa mit Hör-, Seh- oder anderen körperlichen Behinderungen soll weiter möglich sein. Auch Autisten mit Gymnasialempfehlungen sind willkommen. Für Kinder mit Behinderungen, bei denen man annehmen kann, dass sie das Abitur nicht erreichen können, ist aber kein Platz mehr. „Wir bedauern das“, sagt Ulrike Heuer vom städtischen Amt für Schulentwicklung. Inklusion sei eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, an der sich alle beteiligen sollten.

Anbau für 17 Millionen Euro

Die Werbung unter Gymnasien, sich an der Inklusion zu beteiligen, war immer mühsam. Lange verweigerten sich Schulleitungen und Schulkonferenzen sogar in Fällen, wo zuvor aufwendig umgebaut wurde. Mit dem Albertus-Magnus-Gymnasium (AMG) in Neuehrenfeld verabschiedet sich nun nach neun Jahren als letztes Kölner Gymnasium eine Schule von der Inklusion, die erst vor kurzem für sehr viel Geld dafür fit gemacht wurde. Für 17 Millionen Euro entstand ein Erweiterungsbau, der auch über spezielle Räume für Gemeinsames Lernen verfügt. Das AMG galt unter Gymnasien als Vorreiterschule: Individuelle Förderung, kleinere Klassen, teils Unterricht durch zwei Lehrkräfte gleichzeitig, die Beschäftigung von Sonderpädagogen – mit diesen Vorzügen warb die Schule im Internet.

Der Ausstieg war intern umstritten, der entsprechende Schulkonferenzbeschluss mit zehn zu acht Stimmen äußerst knapp. In einem Brief der Schulleitung an die Eltern ist zu lesen, dass man sich den Entschluss nicht leicht gemacht habe. Nach den „Entscheidungen der Landesregierung im Neuausrichtungsprozess der Inklusion“ sei sie aber „notwendig geworden“. Die Rede ist von einem „richtungsweisenden Meilenstein“, der einen prägenden Schulentwicklungsprozess stoppe.

7237 Inklusions-Kinder an Regelschulen

Rund acht Prozent der Kölner Schüler in den Klassen 1 bis 10 haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Rund die Hälfte von ihnen werden in Förderschulen unterrichtet, die andere Hälfte geht in Regelschulen, also in Haupt-, Real- oder Gesamtschulen sowie in Gymnasien. Im Schuljahr 2017/18 waren das insgesamt 7237 Schüler. Die meisten – 5390 – waren sogenannte LES-Kinder mit einer Schwäche im Bereich Lernen, Sprache oder emotionale und soziale Entwicklung. Sie ins Regelschulsystem zu integrieren, setzt eine personalintensive Förderung und Begleitung voraus. Geht es um die Integration von Kindern mit den Förderschwerpunkten Lernen oder geistige Entwicklung muss diese in der Regel immer zieldifferent erfolgen. Das gilt nicht nur für Gymnasien, sondern für alle Schulformen. Wie aktuelle Zahlen belegen, ist bei den meisten dieser Kinder nicht davon auszugehen, dass sie innerhalb von zehn Schuljahren einen Hauptschulabschluss schaffen. (fra, jac)

Vor dem AMG hatten bereits das Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium in Sülz, das Apostelgymnasium in Lindenthal, das Genoveva-Gymnasium in Mülheim und das Maximilian-Kolbe-Gymnasium in Porz den Ausstieg aus der zieldifferenten Förderung beschlossen. Auch hier ist zu hören, dass man weiter einzelne Schüler mit bestimmten Behinderungen integrieren wolle, wenn das Abitur ein realistisches Ziel ist.

Was das in der Praxis für Familien bedeutet, die Schulplätze für das gemeinsame Lernen an Regelschulen suchen, ist noch nicht ganz klar. Nach Angaben des Stadtverwaltung hatten sich pro Jahr nicht mehr als rund 20 Familien für einen Gymnasialplatz entschieden, deren behinderte Kinder keine Empfehlung für diese Schulform hatten. Doch die Nachfrage nach Plätzen im Gemeinsamen Unterricht steigt, die Verteilung der Kinder auf Haupt-, Real- und Gesamtschulen ist nicht einfach.

In der Bildungspolitik wird nach verschiedenen Förderschwerpunkten unterschieden. Die größten Gruppen machen Kinder mit Lernbehinderungen und geistiger Behinderung aus. Sie ins Regelschulsystem zu integrieren gilt als weitaus größere Herausforderungen als die Inklusion von Kindern mit körperlichen Behinderungen. Auch für diese Kinder gilt das Recht auf die freie Wahl der Schulform. Diese ist nun durch den Ausstieg der Gymnasien faktisch abgeschafft.

Druck auf andere Schulen steigt

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat den Gymnasien im vorigen Oktober diese Ausnahmestellung ermöglicht. An Gymnasien soll die sonderpädagogische Förderung ab dem kommenden Schuljahr nur noch „zielgleich“ erfolgen. Für alle gilt das Abitur als Ziel. Gymnasien, die weiterhin zieldifferente Inklusion anbieten wollen, hätten laut Minister-Erlass eigens einen entsprechenden Schulkonferenz-Beschluss fassen müssen. Dazu konnte sich kein Kölner Gymnasium entschließen. Lehrer aller Schulformen verweisen seit längerem auf die hohe zusätzliche Belastung durch die Inklusion und die mangelhafte Unterstützung durch das Land. Die Rahmenbedingungen seien zu schlecht, die individuelle, auf die speziellen Bedürfnisse abgestimmte Förderung der Kinder nicht ausreichend.

„Die Bereitschaft der Gymnasien, einen entsprechenden Förderaufwand zu betreiben“ sei schon vor dem Minister-Erlass „eher gering ausgeprägt“, sagt Ralf Radke, Vorsitzender der Landeselternschaft der integrativen Schulen NRW. „Wir rechnen damit, dass sich nahezu alle Gymnasien in NRW vom Gemeinsamen Lernen verabschieden.“ In der Folge werde sich der Druck auf die anderen weiterführenden Schulen erhöhen, mehr Inklusionskinder aufzunehmen. Der Kölner Elternverein „Mittendrin“ übt denn auch scharfe Kritik an der Neuausrichtung: „Man kann als Landesregierung nicht sagen, man wolle ein inklusives Schulsystem entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention und dann nahezu die Hälfte der weiterführenden Schulen raus nehmen“, so Sprecherin Eva Thoms.

KStA abonnieren