ZwangsräumungProtest und Tränen – Kölner Familie muss Wohnung verlassen

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Familie W. steht während einer Protestkundgebung vor dem Kölner Rathaus.

Familie W. musste nach einer Zwangsräumung in eine Obdachlosenunterkunft umziehen.

Auch der Protest konnte nichts ändern: Die Wohnung von Familie W. aus Köln wurde zwangsgeräumt. Sie fühlt sich im Stich gelassen.

Es ist noch dunkel, als sich im Kölner Stadtteil Gremberghoven am frühen Dienstagmorgen (17. Januar) rund 25 Menschen versammeln. Sie stehen um kurz nach 7 Uhr vor einem Mehrfamilienhaus an der Straße Frankenplatz, um zu verhindern, dass Jacqueline W. (34) mit ihren fünf Kindern ihre Wohnung verlassen muss.

Denn für 8 Uhr hat sich eine Gerichtsvollzieherin angekündigt. Die Wohnung von Familie Winands soll zwangsgeräumt werden. Ein Termin, der schon rund ein Jahr feststeht.

Bereits im Januar 2022 wurde Jacqueline W. gekündigt. Die Stadt Köln nennt in einer Pressemitteilung am Abend „nicht bezahlte Mietschulden und auch wiederkehrende Polizeieinsätze“ als Gründe. Deshalb habe man auch keine angemessene Wohnung in der Zwischenzeit für die sechsköpfige Familie finden können. Zuvor wurde die Wohnung schon mal beschlagnahmt, um die Zwangsräumung zu verhindern.

Die Stadt Köln will die 34-Jährige und ihre fünf Kinder im Alter von zwei bis zehn nun in einer Obdachlosenunterkunft unterbringen. In Ehrenfeld. Am anderen Ende der Stadt. Weit entfernt von den Kitas und Schulen der fünf Kinder. 

Für die Mutter ist das unzumutbar. Deshalb hat sie sich zusammen mit der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim, einer ehrenamtlichen, juristischen Beratungsstelle, an das Kölner Verwaltungsgericht gewandt. Per Eilverfahren wurde dort am Freitag entschieden, dass der Familie „angemessene und menschenwürdige Unterkunft“ zur Verfügung gestellt werden muss. Die Unterkunft in Ehrenfeld entspräche nicht diesen Kriterien.

Jacqueline W. hatte deshalb bis zum Dienstagmorgen die Hoffnung, dass ihr Telefon klingelt und die Stadt Köln Alternativen anbietet. Dazu kam es aber nicht.

17.01.2023, Köln: Protestkundgebung gegen Zwangsräumung von sechsköpfiger Familie in Gremberghoven. Foto: Uwe Weiser

Gegen die Zwangsräumung wurde am Dienstagmorgen protestiert. Mit dabei war auch Reentje Streuter (3. v. r.) von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim, der Familie W. unterstützt.

Um 7.50 Uhr steht die Gerichtsvollzieherin mit der Polizei vor ihrer Wohnung im Laubengang des ersten Stockwerks am Frankenplatz.

Die rund 25 Protestierenden beobachten das Geschehen vom Innenhof aus kritisch. „Wir fordern sie auf, sich an das Recht zu halten!“, tönt es aus einer Lautsprecheranlage. Immer wieder skandieren sie „Zwangsräumung stoppen“ oder „Wohnraum für alle“.

Als die Gerichtsvollzieherin klopft, bricht alles zusammen

Dann passiert in wenigen Minuten unheimlich viel, vor und hinter den Kulissen. Als die Gerichtsvollzieherin an ihrer Wohnungstür klopft, sei bei Jacqueline W. „alles zusammengebrochen“, wie sie später erzählt.

Der Jurist Reentje Streuter von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim unterstützt die Familie in dem Fall und ist auch vor Ort. Nach einem Telefonat mit der fünffachen Mutter teilt er der Protestgruppe mit, dass Jacqueline W. sich doch dazu entschieden hätte, in die Obdachlosenunterkunft in Ehrenfeld zu ziehen. Aus Mangel an Alternativen. Und um ihre Kinder zu schützen.

Familie W. beim Verlassen ihrer Wohnung

Die Nerven liegen blank: Familie W. muss ihre Wohnung verlassen.

Um 8.07 Uhr verlässt Familie W. die Wohnung. Erst eine vor Fassungslosigkeit kopfschüttelnde und sichtlich aufgelöste Jacqueline W., dann ihre Kinder mit ihrem Partner Salih, der ein Kind auf dem Arm trägt. Einige Kinder der Familie weinen.

Die Nerven liegen blank, besonders bei der Mutter. Mehrfach sagt W., dass ihr „kotzübel“ sei.

Trotz Zwangsräumung will Jacqueline W. weiter kämpfen

Der Protest ist damit aber noch nicht vorbei: Man will die Stadt Köln mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichtes konfrontieren, am liebsten Oberbürgermeisterin Henriette Reker direkt. Es geht zum Rathaus. Auch für Familie W.. Knapp eine Stunde trifft sich die Gruppe zu einer spontanen Kundgebung vor dem Rathaus.

Henriette Reker lässt sich jedoch nicht blicken. Weiter als vor die Eingangstür kommt niemand. Nur ein Verwaltungsmitarbeiter kommt vorbei und verspricht, dass man den Fall prüfen und noch am Dienstag Kontakt zu Familie Winands aufnehmen werde.

Sozialdezernent spricht mit Familie

Gegen 10 Uhr, als die Kundgebung eigentlich gerade vorbei ist, taucht dann der Kölner Sozialdezernent Harald Rau auf. Für die Wut von Jacqueline W. habe er Verständnis, er erkennt an, dass sie einer „familiären Verantwortung“ nachgehe. Die Stadt sei jedoch nicht für die Räumung verantwortlich, sondern der Inhaber Vonovia.

Sozialdezernent Harald Rau

Der Kölner Sozialdezernent Harald Rau hat am Dienstag das Handeln der Stadt verteidigt.

Die Vorwürfe weist er deshalb zurück. Die Stadtverwaltung habe sich nämlich gekümmert. Der Sozialdezernent gesteht ein, dass die Unterkunft in Ehrenfeld zwar weit weg sei, aber dafür auch deutlich größer, als es eigentlich angemessen sei. Außerdem gebe es auch ein Alternativangebot der Stadt – näher an Gremberghoven, dafür allerdings auch nur halb so groß. Rau nennt es einen „kleinen Nachteil“.

Für Reentje Streuter von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim ist nach den Aussagen des Sozialdezernenten klar, dass die Stadt Köln die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes nicht respektiert. Rau habe versucht, sich herauszureden, sagt er. „Die Stadt Köln kommt ihrer Schutzpflicht nicht nach“, so Streuter. Er will die Familie auch zukünftig weiter unterstützen.

Jacqueline W. fühlt sich von der Stadt Köln im Stich gelassen. Schon mehrfach habe sie versucht, ihren Kindern die Situation zu erklären. Immer wieder wird sie jedoch von ihren Kindern nachts geweckt, erzählt W.. „Weil sie Angst haben, weil sie weinen, weil sie Panik kriegen“.

Hinweis: In der ursprünglichen Version des Texts war der Name der Familie ausgeschrieben. Die Redaktion hat sich im Verlaufe der öffentlichen Diskussion über die Umstände der Zwangsräumung entschieden, den Namen nicht mehr zu veröffentlichen.

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