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Erster WeltkriegBefehl der Engländer: In Köln gehen die Uhren anders

Lesezeit 7 Minuten
Gewöhnungsbedürftiger Anblick: Englische und schottische Soldaten (im Kilt) ziehen unter Dudelsackmusik durch die Stadt.

Gewöhnungsbedürftiger Anblick: Englische und schottische Soldaten (im Kilt) ziehen unter Dudelsackmusik durch die Stadt.

Köln – „Es war ein nasser, ein trauriger Tag.“ So schildert ein Beobachter jenen 6. Dezember 1918, als die ersten englischen Verbände in Köln eintreffen. Köln gehört zu den drei linksrheinischen Zonen, die nach den Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens von den Alliierten besetzt werden sollen. „Ein Hauch von ungewisser Erwartung liegt über der Stadt – etwas wird passieren, und den Bewohnern ist deutlich unbehaglich. Die Hohe Straße ruht fast ganz verlassen.“

Auf der Aachener Straße werden erste britische Kavallerieeinheiten gesichtet, „sie kommen direkt von den Schlachtfeldern Nordfrankreichs und Belgiens, sie tragen noch die Blechhelme, Bajonette und Gasmasken, die sie in den Schützengräben erhalten haben, aber sie kommen ohne den Rest von Schlamm, ohne Dreck und Läuse“.

Mensch und Tier in bestem Zustand

Viele Kölner wagen lediglich aus den Fenstern einen Blick auf die Briten. Besonders „die Hochländer mit ihren bunten Röckchen und die Dudelsackmusik“ fallen den Zuschauern auf; es dauert fast fünf Tage, bis sämtliche Besatzungstruppen ihre Standorte bezogen haben. Und die Kölner sind über den Feind erstaunt: „Der Eindruck der Truppe ist vorzüglich, Mensch und Tier in bestem Zustand, saubere Kleidung und Ausrüstung, hervorragende Disziplin“, notiert ein weiterer Augenzeuge.

Alles zum Thema Bläck Fööss

Der britische Militärgouverneur, General Charles Ferguson, nimmt im Hotel Monopol am Wallrafplatz Quartier, wo er am 12. Dezember den Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer empfängt – die freundliche Atmosphäre des Gesprächs sollte beispielhaft werden für das Verhältnis zwischen OB und den englischen Besatzungsbehörden.

Anfangs steht die Kölner Bevölkerung den Besatzungstruppen allerdings mit äußerster Ablehnung gegenüber, zumal es im Dezember zu einigen Ausschreitungen und Gewalttaten von Soldaten kommt. Die Anordnungen der Militärbehörden bedeuten zudem schwere Eingriffe in das Alltagsleben der Kölner.

„Als Zeichen für den Beginn einer neuen Zeit wurden im gesamten Besatzungsgebiet in der Nacht zum 15. Dezember alle öffentlichen Uhren um eine Stunde auf westeuropäische Zeit zurückgestellt“, sagt die Historikerin Iris Limburger. Köln gehört einer anderen Zeitzone an als das übrige Deutschland.

Des Weiteren beschränken die Besatzer die Presse- und Versammlungsfreiheit, es wird eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Viele Familien müssen Unterkünfte für englische Soldaten bereitstellen, entgegen dem Wortlaut des Waffenstillstandsabkommens besteht der Militärgouverneur darauf, dass nicht nur Offiziere, sondern auch Mannschaften mit Familienanschluss in standesgemäßen zivilen Wohnungen untergebracht werden; aufgrund der ohnehin großen Wohnungsnot beginnen Besatzungs- und Hochbauamt im Jahr 1920 mit dem Bau spezieller Neubauwohnungen und -siedlungen. Noch heute erinnern „very british“ gestaltete Bauten in der Nordstadt, in Riehl und Bayenthal an die Besatzungszeit.

Im Jahr 1986 veröffentlichten die Bläck Fööss auf dem Album „Zweierlei Fööss“ ihr Friedens-Lied „Ungerm Adler“, zu dem sie das Denkmal inspiriert hatte. „Der Adler ist das Symbol der deutschen Soldaten“, so Erry Stocklosa. „Hoffen wir, dass er nie wieder losfliegt. Immer wenn er losgeflogen ist, hat er Hunger, Not und Elend über die Menschen gebracht.“ (NR)

Besonders bedrückend empfinden viele Kölner eine Verordnung, der zufolge alle männlichen Einwohner die Besatzungsoffiziere grüßen müssen. Und noch schlimmer: Der Karneval bleibt verboten.

Gouverneur Ferguson lässt im übrigen bald wissen, dass nur die „legale kommunale Verwaltung“ als Verhandlungspartner für die Briten infrage komme. Damit war das Schicksal des Arbeiter- und Soldatenrats besiegelt, er wird im März 1919 aufgelöst.

Das Verhältnis der Kölner zu den Soldaten seiner Majestät wird sich mit den Jahren immer unverkrampfter gestalten, man schätzt das korrekte Verhalten und die Großzügigkeit der Briten. Angesichts des brutalen Vorgehens der Franzosen im Verlauf des Ruhrkampfes im Jahr 1923 wird die britische Zone um Köln herum „Insel der Seligen“ genannt.

Als die Briten Anfang des Jahres 1926 abziehen, scheidet man in gegenseitigem Respekt. Adenauer fasst die Stimmung am Tag der „Befreiungsfeier“ am 31. Januar so zusammen: „Wir wollen gerecht sein, trotz allem, was uns widerfahren ist. Wir wollen anerkennen, dass der geschiedene Gegner auf politischem Gebiet gerechtes Spiel hat walten lassen.“

Gegner hat gerechtes Spiel walten lassen

Erst mit dem Abzug der Briten endet in gewisser Weise der Erste Weltkrieg für Köln. Was erinnert heute noch an diese Zeit, was ist davon geblieben? Um ehrlich zu sein: nur wenig. Die britische Besatzungszeit, die Inflation, die Weltwirtschaftskrise, NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg „überlagerten“ gewissermaßen Schicht für Schicht die Erinnerung an einen Krieg, in dem zwar 15 000 Kölner ihr Leben gelassen und die meisten Kölner schwere Entbehrungen erlebt hatten, der aber außerhalb Deutschlands geführt worden war.

Zu Ende der 1920er Jahren verfasste der Lehrer Heinrich Reuther „im dienstlichen Auftrag der Stadtverwaltung“ (so der Untertitel) ein Kriegstagebuch, das aus sechs maschinenschriftlich erstellten Bänden mit über 1450 Seiten besteht (es wird im Kölner Stadtarchiv verwahrt und ist heute zugänglich); das chronologisch angelegte Manuskript stützt sich hauptsächlich auf Berichte städtischer Dienststellen und behandelt acht Themen, etwa Kriegswirtschaft und Lebensmittelorganisation, Volksstimmung und geistiges Leben. „Doch als es 1931 fertig war“, sagt die Historikerin Gabriele Oepen-Domschky, die sich ausführlich mit dem Reuther-Text beschäftigt hat, „wurde es angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation nicht veröffentlicht; und die Nazis haben es ins Stadtarchiv gegeben – für sie hatte das Manuskript offensichtlich keinen Wert.“

Auf dem Südfriedhof in Zollstock befindet sich ein englischer Soldatenfriedhof (Cologne War Cemetery), der bis heute in britischem Eigentum ist. Er wurde 1922 für die gefallenen Soldaten der Commonwealth-Staaten angelegt; die meisten der mehreren Tausend Beigesetzten starben im Januar 1919 an der Spanischen Grippe.

Erst im Jahr 1927 – nach dem Abzug der Briten – wurde in den Parkanlagen um das ehemalige Fort I (am Agrippinaufer) ein Denkmal für die im Krieg gefallenen Soldaten eingeweiht. Der gewaltige Bronzeadler, der hoch über der Anlage thront, ist das Wahrzeichen des ausnehmend schönen, von Gartendirektor Fritz Encke angelegten Parks; ursprünglich namenlos, wurde er 1927 Hindenburgpark benannt, seit 1985 heißt er Friedenspark. In ihrem kaum bekannten Lied „Ungerm Adler“ erinnern die Bläck Fööss daran, wofür der Adler im Wortsinne auch „steht“ – für die Forderung: Nie wieder Krieg. Leider werden die am Sockel angebrachten Bronzetafeln immer wieder beschmiert.

Die Stadt Köln verdankt im Übrigen einen Großteil ihrer Grünanlagen dem Versailler Vertrag – dessen Bestimmungen sahen die Zerstörung aller Festungsanlagen im westlichen Deutschland vor; und so konnte Gartendirektor Encke – nach Plänen des Hamburger Oberbaudirektors Fritz Schumacher, den Adenauer für zwei Jahre nach Köln holte – beispielsweise den Festungsbereich an der Militärringstraße zum Äußeren Grüngürtel umgestalten. Auch heute noch sind die Kölner stolz auf ihre „grünen Forts“.

Ein Letztes: Die Wirren der ersten Nachkriegsmonate nutzte die Stadt Köln zu einem „revolutionären“ Schritt: Im offiziellen Schriftverkehr wurde Köln – laut Weisung der preußischen Regierung – mit „C“ geschrieben, die meisten Kölner, auch die Zeitungen hielten sich indessen nicht daran, so kam es zu einem verwirrenden Durcheinander – Köln mal mit K, mal mit C.

Die Stadt verkündete Ende Januar 1919 lapidar, Köln werde nun auch im amtlichen Schriftverkehr wieder mit K geschrieben – eine äußerst weise Entscheidung.

                 ENDE

Eine Reihe der genannten Titel, vor allem ältere, ist im Buchhandel nicht mehr erhältlich, sondern lediglich in Bibliotheken einseh- bzw. ausleihbar:

Volker Standt: Köln im Ersten Weltkrieg (Optimus Verlag Göttingen, 2014)

Heinrich Dreidoppel u. a.: Mars – Kriegsnachrichten aus der Familie (Klartext Verlag Essen, 2014)

1914 – Mitten in Europa. Die Rhein-Ruhr-Region und der Erste Weltkrieg (Ausstellungskatalog Essen, Klartext Verlag Essen, 2014)

Thomas Deres u. a.: Köln im Kaiserreich (sh Verlag Köln, 2010)

Ulrich Soénius: Man hat hier so manches erlebt. Die Kölner Funken-Infanterie im Ersten Weltkrieg, in: Vom Stadtsoldaten zum Roten Funken (Greven Verlag Köln, 2005)

Volker Frielingsdorf: Auf den Spuren Konrad Adenauers durch Köln (Editon Gesowip Basel, 2000)

Manfred Faust: Sozialer Burgfrieden im Ersten Weltkrieg. Sozialistische und christliche Arbeiterbewegung in Köln (Klartext, 1992)

Everhard Kleinertz: Konrad Adenauer als Beigeordneter der Stadt Köln, in: Konrad Adenauer. Oberbürgermeister von Köln, hrg. von Hugo Stehkämper (Stadt Köln, 1976)

Bernhard Neidiger: „Von Köln aus kann der Sozialismus nicht proklamiert werden!“ Der Kölner Arbeiter- und Soldatenrat 1918 (dme Verlag Köln, 1985)

Im Internet abrufbar:

Victoria Daniella Lorenz: Die Spanische Grippe von 1918/1919 in Köln (Dissertation Köln, 2011)

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