Es gibt kein einziges Foto von ihrWer war die berühmte Kölnerin Anna Schneider?

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Ein Straßenschild kündigt den Anna-Schneider-Steig an

  • In der Serie „Frauen Voran“ stellt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Frauen vor, die in der Geschichte der Stadt eine besondere Rolle gespielt haben.
  • Viele von ihnen sind heutzutage in Vergessenheit geraten, obwohl sie zu ihrer Zeit Pionierarbeit geleistet haben in Bereichen, die bis dahin allein von Männern beansprucht wurden. Die Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Kölner Frauengeschichtsverein.
  • In dieser Folge geht es um Anna Schneider. Sie gründete 1892 den ersten Bildungsverein für Frauen und Mädchen in Köln. Weil sich Frauen damals nicht organisieren durften, geriet sie schnell ins Visier der Polizei.

Köln – Gleich im ersten Jahr des Bestehens des Frauen- und Mädchen-Bildungsvereins gab es einen Eklat. Bei einer Versammlung von ein paar Dutzend Frauen und einigen Männern im Jahr 1892 in einem Lokal am Mühlenbach stellte eine Referentin namens Rieger einen kritischen Vortrag zum Thema „Das Problem der Ehe nach Tolstoi und Fourier“ vor, als es zur Konfrontation mit der Polizei kam und die Diskussion abgebrochen werden musste. Der Text war zuvor in der SPD-Zeitung „Neue Zeit“ erschienen. „Während des Vortrags erhob sich plötzlich der überwachende Polizeikommissar und beschlagnahmte die Broschüre wegen ihres unsittlichen Inhaltes“, schrieb die Rheinische Zeitung damals. Gegen die Referentin und die Vorsitzende Anna Schneider wurde Strafanzeige erstattet.

Nur gut 20 Jahre nachdem das Deutsche Reich unter Bismarck gegründet worden war, gab sich das Land dem wirtschaftlichen Aufschwung hin, war der Nationalismus auf einem ersten Höhepunkt angelangt. Deutschland unterwarf sich Kolonien, wurde imperiale Macht. Innenpolitisch war das Klima aber auch von Restriktionen geprägt. Zwar gab es ein Parlament, durch das Dreiklassenwahlrecht in Preußen waren aber die Stimmen der Arbeiter nur viel weniger wert als die Stimmen der bürgerlichen Wähler.

Frauen durften sich nicht politisch äußern

Die Sozialistengesetze (1878 bis 1890) untersagten sozialistische, sozialdemokratische, kommunistische Vereine, Versammlungen und Schriften. Frauen waren nicht nur vom Wahlrecht ausgenommen, sondern durften sich nicht einmal politisch öffentlich äußern oder engagieren. Das war im Vereinsgesetz vom 11. März 1850 so festgelegt worden und galt 1892 immer noch. Politische Treffen, wie sie Anna Schneider mit dem Mädchen- und Frauenbildungsverein durchführten, waren für den autoritären Obrigkeitsstaat eine Ungeheuerlichkeit.

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Über das Leben von Anna Schneider vor 1892 ist fast nichts bekannt, es gibt kein einziges Foto. Dass überhaupt etwas über die Frauenrechtlerin und Sozialistin überliefert wurde, ist der Autorin Angela Jaitner, dem Kölner Frauengeschichtsverein und dem ehemaligen Schulpflegschaftsvorsitzenden Reinhold Goss zu verdanken.

Angela Jaitner veröffentlichte einen Text über Schneider, auf Vorschlag des Frauengeschichtsverein wurde 2005 im Rheinauhafen ein zentraler Weg nach Anna Schneider benannt, der Anna-Schneider-Steig. Nachdem sich Goss und die Gründerin des Frauengeschichtsvereins Irene Franken ein weiteres Mal einsetzten, soll das Straßenschild in wenigen Wochen um eine Zusatzplakette ergänzt werden, die auf das Wirken Schneiders hinweist.

Anna Schneider wurde 1845 in Köln geboren

Klar ist, dass Schneider am 12. Dezember 1845 in Köln geboren wurde. „Vermutlich ist sie im proletarischen Milieu aufgewachsen“, vermutet Franken. Man kann sich vorstellen, wie das Leben als Mädchen und junge Frau ausgesehen haben mag. Die Mietskasernen, in denen die Arbeiter während der Industriellen Revolution untergebracht waren, waren meist eng. „Es gab weder Toiletten noch Bademöglichkeiten“, sagt Franken.

Auch an Bildung für Frauen wurde kaum gedacht. Meist absolvierten sie nur wenige Jahre die Volksschule. Während bürgerliche Mädchen auf die Ehe vorbereitet wurden, mussten junge Frauen aus dem Arbeitermilieu sich als Dienstmädchen verdingen oder in Fabriken schuften. Dort verdienten sie in der Regel nur den halben Lohn der männlichen Kollegen, wie man etwa aus der Kölner Fabrik Brügelmann weiß. „Es war eine Zeit des gesellschaftlichen Stillstands, Mehltau lag über Deutschland“, sagt Franken. Frauen seien doppelt unterdrückt worden: als Frauen und Arbeiterinnen.

1873 heiratet Anna Schneider den Sozialdemokraten Ernst Schneider. Ob sie sich durch die Ehe politisierte, weiß man nicht. Franken hält es für wahrscheinlich, dass Schneider die Schriften von August Bebel kannte, dem Gründer der Sozialdemokratie, der sich mit der Frauenfrage in seinem Buch „Die Frau und der Sozialismus“ (1879) beschäftigt hatte. Der in Deutz geborene Bebel sieht in der sozialen Unterdrückung der Frau die Grundlage ihrer ökonomischen Abhängigkeit. Vielleicht gab es auch andere Impulse: 1865 entstand in Leipzig der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF) unter Leitung von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt. Diese Gründung trat eine Lawine los, in den nächsten Jahrzehnten wuchs die Frauenbewegung reichsweit an. Die Themen der Zeit reichten von Bildungsforderungen bis zum Kampf um das Frauenwahlrecht.

Schneider veröffentlicht Anzeige in Kölner Arbeiter-Zeitung

In Köln ist Anna Schneider eine Vorreiterin. Am 6. Januar 1892 lässt sie in der Kölner Arbeiter-Zeitung eine Anzeige veröffentlichen, wie Angela Jaitner in ihrem Bericht über „Die Anfänge der sozialistischen Frauenbewegung am Beispiel des Kölner Frauen- und Mädchen-Bildungsvereins (1892-1894)“ schreibt: „Mittwoch der 13. Jan 1892, Abends 8 1/2 Uhr im Lokale des Herrn Langenberg, Mühlenbach 4: Frauen-Versammlung. Tagesordnung: Gründung eines Frauen- und Mädchen-Bildungsvereins. Das provisorische Comitee.“ Es meldeten sich 35 Frauen und 20 Männer, die erste Frauenorganisation der Kölner Arbeiterbewegung war geboren. Schneider wurde zur Vorsitzenden gewählt, Mitglieder zahlten einen wöchentlichen Beitrag von fünf Pfennigen.

Jeden Mittwoch trafen sich 75 bis 100 Mitglieder zuerst im Vereinslokal am Mühlenbach, später im Lokal Rodenbach und dann bei Mebus in der Kämmergasse. Der Vereinszweck, die Förderung der geistigen und wirtschaftlichen Interessen der Frauen, wurde durch wissenschaftliche und praktische Vorträge vorangetrieben. Bildung galt als Schlüssel, um Vorurteile gegenüber den Frauen zu überwinden und die soziale Lage zu verbessern. Schneider forderte, dass Frauen wirtschaftlich unabhängiger werden sollten. So gab es Diskussionsabende, die Titel trugen wie „Die Ursache der gegenwärtigen Frauenlage“, „Die traurige Lage der Frau eines Arbeiters“ oder „Die Dienstmädchen, Sklavinnen der Herrschaft“. Schneider setzte sich dafür ein, dass Frauen das Wahlrecht und Zugang zu Bildungseinrichtungen erhielten und später als Richterin oder Ärztin arbeiten konnten. Es gab aber auch gesellige Abende, zum Beispiel mit Theateraufführungen.

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Im Mai 1892 beteiligte sich Schneider an den Maiumzügen der Sozialdemokraten und forderte „Wir verfolgen dasselbe Ziel wie unsere Männer – Verbesserungen und Verkürzung der Arbeitszeit.“ Schneider machte sich einen Namen, wurde zu Vorträgen in andere Städte im Rheinland und Ruhrgebiet eingeladen und war 1893 eine von drei Kölner Delegierten auf dem SPD-Parteitag in Köln. 

Im Januar 1893 fand das Jahresfest des Vereins im Lokal Karl der Große an der Aachener Straße 64 statt. Geboten wurden Konzert, Gesang und ein Ball unter Mitwirkung des Arbeiter-Gesangvereins Lyra. Am 28. Mai kamen 400 Gäste zu einer Veranstaltung, die sich dem Thema „Die Rechtlosigkeit der Frauen und die Reichstagswahl“ widmete. Im Herbst 1983 sprach die Herausgeberin der Zeitschrift „Die Gleichheit“, Clara Zetkin, zum Thema „Die Frauen des Proletariats und der Militarismus“. „Der Auftritt von Clara Zetkin war sicher ein Höhepunkt in der Vereinsgeschichte“, so Franken. „Zetkin konnte tausende Zuschauer in einen Saal ziehen.“

Die Veranstaltungen wurden als Volksversammlungen und nicht als Vereinsversammlungen angemeldet, die Frauen ja untersagt waren. Dennoch lässt die Polizei schon im Herbst 1893 den Verein verbieten. Im November fand eine Verhandlung vor dem Königlichen Schöffengericht statt. Alle 13 Vorstandsmitglieder wurden angeklagt und schließlich zu einer Geldstrafe von 15 Mark oder einem Tag Gefängnis verurteilt.

30 Mark oder sechs Tage Haft 

Schneider und ihre Mitstreiterinnen erkannten das Urteil nicht an und gingen in Berufung. Im März 1894 wurden acht Mitglieder des Vorstands freigesprochen. Schneider aber konnte wählen zwischen einer Geldstrafe in Höhe von 30 Mark oder sechs Tagen Haft. Sie legte Revision ein, die im Mai zurückgewiesen wurde.

Mit dem Urteil verschwand Anna Schneider aus der Geschichte. Bekannt ist nur, dass sie 1935 im Bürgerhospital im Alter von 89 Jahren verstarb. „Sie war eine mutige Frau, die keine Rollenvorbilder hatte“, sagt Irene Franken. „Sie ist eine Pionierin, die es aus eigener Kraft geschafft hat.“ Ob sie sich nach 1894 politisch engagiert hat, ist offen. Ob sie aufgrund der Restriktion resigniert hat, wer weiß.

Sicher wird sie verfolgt haben, dass es in den folgenden Jahren einige emanzipatorische Fortschritte gegeben hat. Seit 1903 konnten Mädchen ein Gymnasium besuchen, 1908 fiel das Vereinsgesetz, das Frauen ausschloss, und ab 1919 durften sie an Wahlen teilnehmen. 

Schneider aber wurde vergessen, der erste emanzipatorische Frauenverein Kölns ebenfalls. Nur der Anna-Schneider-Steig erinnert an die Vorkämpferin. Am Donnerstag, 16. Juli, 11.30 Uhr, wird nicht nur das Zusatzschild am Steig vorgestellt, sondern auch Schilder zu vier weiteren Frauen, nach denen Straßen im Rheinauhafen benannt sind. 

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