Farm in Ehrenfelder KellerKölner züchten Gourmetpilze auf Kaffeesatz

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Trevor Weiss und Christian Vetter aus Köln haben ein Start-Up-Unternehmen gegründet. Sie züchten Bio-Pilze im Keller auf Kaffeesatz.

Köln – Dichter Nebel hängt über Kölns erster urbaner Pilzfarm. Wer in den riesigen Keller des leer stehenden Autohauses in Ehrenfeld hinabsteigt, den umfängt die fast geheimnisvolle Atmosphäre eines Verlieses. Bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit wachsen hier im dunklen Dunst Edelpilze wie Kräuterseitlinge, Austernpilze und Shiitake wie von Zauberhand als korallenartige Gebilde in den Nebel hinein. Die beiden Kölner Trevor Weiss und Christian Vetter haben mit ihrem Start-Up „Pilzling“ ein Experiment gewagt: Mitten in der Stadt erzeugen sie für die Städter Gourmetpilze als Lebensmittel - schadstofffrei und unter ökologischen Bedingungen.

Konzept Kreislaufwirtschaft

In dem Keller wurden ideale Wachstumsbedingungen geschaffen. Wasser in einem Bottich wird über Ultraschallvibration zu Dampf und über Rohre in den beiden „Kinderzimmern“ wie sie es nennen verteilt, in denen die Pilzkulturen in Regalen lagern. Den beiden Studenten geht es aber nicht nur um Urban Farming.

„Ein wichtiger Ansatz ist das Konzept der Kreislaufwirtschaft: Alles, was hier für den Anbau genutzt wird, entstammt der Natur und wird auch wieder an diese zurückgegeben“, erläutert Christian Vetter. Denn die ästhetisch faszinierenden Gebilde wachsen auf einem Abfallprodukt: Kaffeesatz ist das Gold der beiden Kölner Pilzzüchter. Den holen die beiden Jungunternehmer mit einem Lastenrad regelmäßig bei zehn Ehrenfelder Partner-Cafés und Kaffeeröstereien ab, die das Startup mit dem kostbaren Produkt versorgen.

„Bislang 1700 Kilo Kaffeesatz konnte so quasi gerettet werden.“ Denn Kaffee wird selbst während der Pandemie genug getrunken, um Unmengen der faszinierenden Gebilde züchten zu können. „Wir haben eine Leidenschaft für Nachhaltigkeit und möchten, Ressourcen nutzen, die oft als Abfall betrachtet werden“, sagt Trevor Weiß, der hier in Köln Natural Resources Management studiert mit Schwerpunkt urbane Landwirtschaft. „Der verbrauchte Kaffeesatz war für den Müll bestimmt, aber jetzt werden köstliche Pilze daraus gezüchtet.“ In einem ersten Schritt wird der Kaffeesatz mit gehäckseltem Stroh gemischt. Die Mischung wird dann in spezielle Pilzbeutel gefüllt und pasteurisiert, um Schimmel und Bakterien abzutöten. Anschließend werden die Beutel mit Pilzbrut in Bioqualität geimpft, wie das in der Fachsprache heißt.

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Das so genannte Pilzmyzil verdaut dann die Materialien in dem Beutel und entwickelt dabei die Pilze. „Fünf Wochen dauert es ab diesem Zeitpunkt, bis wir frische Pilze haben“, erläutert Trevor. 800 solcher Pilzbags lagern bereits in den Regalen und wollen gepflegt werden. Wenn die erste Pilzernte eingefahren ist, wächst aus demselben Pilzbeutel ein zweiter Ansatz neue Pilze.

Pilze als faszinierender Kosmos

Die Idee mit der Pilzfarm ist übrigens ein echtes Corona-Projekt. Eigentlich wollte Trevor seine Masterarbeit in einem Entwicklungsland über ein Landwirtschaftsprojekt schreiben. Mit der Schließung der Grenzen musste er „regional kreativ“ werden und kam auf die Idee mit den Kölner Pilzen. Für die beiden Studenten sind Pilze nämlich nicht einfach Lebensmittel, sondern ein faszinierender Kosmos. „Sie sind nicht Tiere, nicht Pflanzen – und halten doch als wichtiger Organismus den Kosmos zusammen. „Ohne Pilze würde das Leben auf der Erde so nicht existieren.“

Die kleinen Wunderwerke der Evolution schließen die Lücke zwischen Leben und Tod und sind essenziell sind für die Kreislaufwirtschaft. Der kunstvolle Fruchtkörper ist nur der oberirdische Teil des Pilzes. Der eigentliche Organismus liegt verborgen im Erdreich – entweder im Holz eines Baumes oder eben in dem Substrat im Beutel. Ein mehrzelliger Pilz bildet ein Geflecht aus winzigen Pilzfäden, den Hyphen, die riesige unterirdische Flächen bedecken können. Pilze ernähren sich von anderen organischen Substanzen, um zu überleben. Sie zerlegen wie Bakterien organisches Material – wie tote Lebewesen oder Laub und führen die einzelnen Bestandteile in den Kreislauf des Lebens zurück. Aus organischem Abfall bilden sie Humus, die Grundlage für jedes Pflanzenwachstum.

Im November gab es die erste Ernte. Seither steigert sich der Ertrag jeden Monat. Inzwischen ernten die beiden täglich für den Verkauf. Die Pilze - derzeit sind Shiitake, Austernpilze und Seitlinge im Anbau - werden auf verschiedenem Weg direkt vermarktet: Etwa über die Marktschwärmereien in Sülz und der Südstadt oder in Ehrenfeld über die Markthalle in der Körnerstraße. Außerdem kann Online bestellt und persönlich in der Farm abgeholt werden. Perspektivisch möchten die Pilzzüchter weitere Direktvermarkter ins Boot holen. Preislich unterscheiden sich ihre lokalen Bio-Pilze nicht wesentlich von den Exemplaren aus dem Bio-Supermarkt. Je nach Pilzsorte liegen sie zwischen 20 und 24 Euro das Kilo. „Das Gute ist, dass bei uns im Keller halt immer Pilzsaison ist und wir jahreszeitunabhängig anbauen können.“ In Planung sind auch exotischere Pilzsorten wie Rosen- oder Zitronensaitling und der Pom-Pom-Pilz. Und auch in Sachen Nachhaltigkeit sind die beiden Jungunternehmer noch nicht am Ende ihrer Pläne: Sie tüfteln daran, eine Art Serverfarm an ihre Pilzzucht anzudocken und so die Abwärme umliegender Server zu nutzen, um die Keller in der idealen Wachstumstemperatur zu halten. „So würde der Kreislauf noch nachhaltiger.“ Und wenn nach der zweiten oder dritten Ernte das gebrauchte Substrat in dem Beutel ausgedient hat, wird es als Insektenfutter oder Kompost weiterverwertet.

www.pilzling.com

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