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Fatih Çevikkollu im Interview„Es nervt, immer auf die Türkei angesprochen zu werden“

Lesezeit 8 Minuten
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Kabarettist Fatih Çevikkollu

Köln – Der Kabarettist Fatih Çevikkollu im Interview über „Zombieaufstände“ in Berlin, die Lage in der Türkei, Migranten im digitalen Zeitalter und ein Pferd für den Sankt Martin.

Darf man noch Witze über die SPD machen?

Nein. Das wäre wie Kinderschubsen, das macht man nicht. Schulz ist das Synonym für Verlierer. Aus Axel ist Martin geworden. Der kam als Heilsbringer, für einen Moment gab es den Verdacht auf sozialdemokratische Politik. Doch daraus ist nichts geworden. Es ist spannend, was zurzeit in Berlin passiert. Allerdings muss ich jeden Tag vor der Premiere meines Programms die Texte umschreiben. Es tun sich täglich neue Fragen auf.

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Zum Beispiel?

Warum müssen immer Männer alles erst in Klump treten, bevor Frauen randürfen. Das war auch bei der CDU unter Kohl so. Der hat mit dem Parteispendenskandal und seinem berühmten Ehrenwort alles zerstört, worauf die CDU mal stolz sein konnte – dann durfte Merkel ran.

Auch die steht derzeit unter Beschuss.

Wir erleben den Aufstand der Zombieaffen: Merz, Koch und Rühe – ich frage mich, wann sich Wulff meldet. Aber Merkel ist wie eine Anakonda. Schau dir an, wie eine Anakonda einen Affen tötet. Dann weißt du, was ich meine.

Kann man nicht manchmal einfach verzweifeln?

Natürlich. Nehmen wir die FDP. Die hat es wieder in den Bundestag geschafft, weil sie eine gute Fotokampagne gemacht hat, der Selfie-Service der Liberalen. Doch wer die FDP wegen Christian Lindner wählt, wählt auch die Piraten wegen Johnny Depp.

Kommt man als Kind türkischer Gastarbeiter in einem neuen Programm um Erdogan herum?

Es nervt, immer auf die Türkei angesprochen zu werden. Ich habe genug zu tun mit Dobrindt, Kauder und Seehofer. Aber klar, natürlich ist die Türkei für mich ein Thema.

Was sagen Sie dazu, das Deniz Yücel freikommt?

Die Freilassung freut mich sehr. Die Art und Weise ist aber sehr merkwürdig. Er wird am Tag der Verkündung der Anklage, die 18 Jahre Haft für ihn verlangt, ohne Reisebeschränkung entlassen. Die hätten auch gleich sagen können: „Hau ab und lass dich hier nie weder blicken! Du hast uns genug Ärger gemacht, und ohne dich können wir hier viel ungestörter foltern.“ Ich überlege jetzt, wie wir es schaffen können, den ganzen anderen inhaftierten Journalisten eine deutsche Staatsbürgerschaft zukommen zu lassen. Das könnte ihnen helfen.

Sie sind noch im Dezember in der Türkei aufgetreten. Haben Sie sich vorher keine Sorgen gemacht?

Meine Tochter hat mich aufgefordert, eine Patientenverfügung zu schreiben. Alle, um mich herum haben mich verrückt gemacht. Und das Auswärtige Amt konnte auch nicht zur Beruhigung beitragen. Ich habe da angerufen und nur gehört, dass man erst etwas für mich tun kann, wenn in der Türkei etwas passiert ist. Als ich dann am Zoll ankam, haben die mich einfach durchgewunken. Das war ich vielleicht enttäuscht, die kannten mich überhaupt nicht.

Mancher hat in der Türkei schon wegen eines Witzes große Probleme bekommen?

Ich hatte schon etwas Angst. Die politische Lage ist der blanke Horror für Menschen, die in Freiheit leben wollen. Aber die Politik und das, was man darüber liest, ist das eine. Die Menschen vor Ort sind das andere. Viele in diesem wunderschönen Land sehen die Entwicklung wie wir. Erdogan hat die Türkei zerrissen und gespalten.

Premiere für neues Soloprogramm „Fatihmorgana“

In der Reihe „Wir müssen reden“ spricht die Redaktion mit Kölnern, die etwas zu sagen haben. Die Interview-Serie erscheint in loser Folge im Lokalteil.

Fatih Çevikkollu wurde als Sohn türkischer Gastarbeiter 1972 in Köln geboren. Nach seinem Besuch der Gesamtschule Chorweiler studierte er Schauspiel an der Ernst Busch Hochschule in Berlin. Bekannt wurde er in der Rolle des „Murat“ in der TV-Serie „Alles Atze“ mit Atze Schröder. Der „Prix Pantheon“-Gewinner ist seit 2006 mit eigenen Soloprogrammen unterwegs. Am kommenden Donnerstag, 22. Februar, feiert der Kabarettist, Komiker und Schauspieler im Gloria in der Apostelnstraße 11 die Premiere seines sechsten Programms „Fatihmorgana“, das er auch als „Einladung zum Perspektivwechsel“ ankündigt. Im Rahmen der anschließenden Tournee wird er am 4. Mai auch in der Comedia in der Südstadt, Vondelstraße 4, auftreten. Für beide Abende gibt es noch Karten. (fra)

Ist es richtig, in der augenblicklichen Lage in die Türkei zu fliegen?

Ich werde es im Mai wieder tun und auf Deutsch mein Programm dort spielen. Und ich finde: Das muss man auch. Die einseitige Wahrnehmung der politischen Probleme schadet vielen. Es ist kein Argument zu sagen: Ich fahre da nicht mehr hin, weil ich keinen Despoten unterstützen will. Nein, du unterstützt Menschen, für die der Tourismus das tägliche Brot ist. Außerdem muss man bedenken: Wenn die westlichen Touristen nicht mehr kommen, muss sich die Türkei um Gäste aus Saudi-Arabien oder dem Iran bemühen. Das heißt: Noch mehr Schleier, noch mehr Kopftücher.

Die Spaltung in der Türkei wirkt bis nach Deutschland, wo Risse durch Familien gehen und die Polarisierung offensichtlich zunimmt. Werden Sie aus der türkischen Community attackiert?

Die Angriffe halten sich in Grenzen. Der Zuspruch ist viel größer.

Warum wirkt die Polarisierung bis nach Köln? Warum meinen Tausende, hier ihre Solidarität mit Erdogan, Erdogan-Gegnern oder den Kurden zeigen zu müssen?

Wer angefeindet wird, solidarisiert sich. Dass bei vielen der Bezug zur Türkei so groß ist, ist auch das Ergebnis der deutschen Politik. Wir haben es versäumt, die Menschen willkommen zu heißen und ihnen so das Gefühl zu geben, dass Deutschland selbstverständlich auch ihre Heimat sein kann. Wer nicht dazugehört, sucht woanders nach Gemeinschaft.

Besteht die Gefahr, dass sich das nun bei den Flüchtlingen wiederholt?

Die Syrer bekommen einen zeitlich begrenzten Schutz, dürfen ihre Familie nicht nachholen – ein juristischer Kniff, um denen sämtliche Rechte vorzuenthalten. Mal ehrlich: Was glauben die denn, wann die nach Syrien zurückgehen können? Das ist das Gleiche wie damals bei den Gastarbeitern. Die meisten sind geblieben, ohne jemals richtig heimisch zu werden, weil man immer gesagt hat, dass sie ja doch irgendwann wieder gehen werden. Hinzu kommt, dass man von den Menschen erwartet, dass sie sich um sich selber kümmern müssen.

Das ist so lange eine sehr hohe Erwartung, wie dies mit immensen Widerständen verbunden ist. Die erlebt jeder, der sich einbringen will – bei der Wohnungssuche, bei der Jobsuche, gegen dumme Sprüche. Alle Minderheiten machen Ausgrenzungserfahrungen und müssen dagegenhalten. Statt Gemeinsamkeiten zu suchen, werden die Unterschiede betont. Das ist auch der Gedanke, den ich mit dem Programmtitel „Fatihmorgana“ verbinde: Du siehst etwas, was nicht da ist. Und das, was da ist, ist aber nicht da, wo du es siehst.

Sie sagen: Migration verändert die Gesellschaft immer zum Guten. Sind Sie sicher?

Ja, das funktioniert sogar, wenn die Geflohenen antisemitisch, homophob und frauenverachtend sind, also im Prinzip zur CSU-Stammwählerschaft gehören. Um sich aber von denen zu distanzieren, war die CSU auf einmal für die Homo-Ehe. Durch den Zuzug von Flüchtlingen in Bayern hat die CSU gesellschaftlich einen Fortschritt um Lichtjahre nach vorne gemacht, weil sie meinte, sich abgrenzen zu müssen. Dann haben sie auch gleich noch behauptet, dass bei uns Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Den Flüchtlingen kann man es ja erzählen.

Worum geht es noch im neuen Programm?

Für mich ist das wirklich große Thema die Digitalisierung, das Verhältnis von Mensch und Maschine. Wir leben in einer epochalen Phase, in einer Phase des Übergangs. Keiner fühlt sich zuständig für diejenigen, die nicht mit der Digitalisierung groß geworden sind, den digitalen Einwanderern. Als digitaler Migrant stehst du da, fragst: Wo ist das WLAN-Kabel? Ein Teil des Publikums wird den Gag gar nicht verstehen. Das Digitale entwickelt sich viel schneller als das Menschliche. Wir entwickeln uns linear, die Rechner aber exponentiell. Maschinen werden immer leistungsfähiger, können auf alles Wissen dieser Welt zugreifen. Den Kampf gegen die Maschinen haben wir lange verloren.

Was ist also zu tun?

Wir müssen diese Entwicklung für uns gestalten und in die Bildung investieren, die vermittelt, was Maschinen nicht können: mitfühlen, kreativ sein, solidarisch sein. Das ist der Unterschied zwischen Menschen und Maschinen. Und: Maschinen haben keinen Humor.

In den letzten Programmen haben Sie auch immer gerne Witze über Köln gemacht. Was gibt’s Neues aus der Heimatstadt?

Köln kommt nicht mehr vor. Ich kann ja nicht immer dieselben Witze über Köln erzählen. Hier verändert sich nichts. Aber ich werde von den Sorgen der Familien berichten, die keinen Kita- oder Schulplatz finden.

Wahre Geschichten aus der Familie Çevikkollu?

Natürlich. Als wir unsere Tochter in der Kita anmelden wollten, war die Chefin mit nichts anderem beschäftigt, als ein Pferd für Sankt Martin zu besorgen. Sie hat uns erklärt, wie wichtig es ist, ein Pferd zu finden, während wir in Sorge um den Platz für unser Kind waren. Wenn sie kein Pferd bekomme, müsse der Sankt Martin mit einem Steckenpferd rumrennen. Das gehe doch nicht. Da haben wir gesagt: „Bitte, hier sind unsere Unterlagen. Wir wollen sie nicht weiter stören – und übrigens: Wir können ein Pferd besorgen.“

Wie ist es ausgegangen?

Unser Pferd hat den Sankt Martin getragen.

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