Fehlende Pflege-Plätze in Köln„Die Menschen sind der totalen Verzweiflung nahe“

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Fehlende Fachkräfte sind in der Pflege ein Problem.

Köln – Nach acht Jahren Pflege kann Margarete Hummel-Viol im vergangenen Jahr nicht mehr, auch ihre Mutter kann nicht mehr – die heute 95-Jährige soll in eine Pflegeeinrichtung für Senioren, im Elternhaus in Porz geht es nicht mehr. Zum Umzug hatte der ambulante Pflegedienst Hummel-Viol geraten, ihre Mutter hat Pflegegrad 5.

Es ist die höchste Stufe, es sind Menschen mit „schwersten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten, die mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung einhergehen“. Das ist die behördendeutsche Beschreibung. Die Beschreibung aus dem Leben lautet: Hummel-Viols Mutter ist dement, sie vergisst, dass sie nicht mehr alleine aufstehen kann, sie könnte sich bei einem Sturz verletzen.

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Margarete Hummel-Viol erhält von der Krankenkasse Listen mit Pflegeeinrichtungen in Köln, telefoniert sie ab, lässt sich auf Wartelisten setzen. Sie kennt das. Schon 2018 hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ihre Mutter in einer Einrichtung unterzubringen, steht in einer Kölner Einrichtung auf der Warteliste und bekommt drei Jahre keinen Rückruf. Sie entscheidet sich, die Mutter zunächst zu Hause zu lassen.

Lange Wartelisten in Kölner Pflegeheimen

Voriges Jahr sucht sie wieder, nach zwei Wochen ergattert sie einen Platz in der Nähe ihrer Wohnung. „Ich war total erleichtert, dass es so schnell ging“, sagt sie heute.

Ursula Meeth, Geschäftsführerin des Clarenbachwerks, das knapp 600 Plätze in Köln anbietet, kennt diese Nöte der Angehörigen, sie sagt: „Die Menschen sind der totalen Verzweiflung oft nahe. Sie bekommen eine Liste mit Telefonnummern in die Hand und telefonieren herum, müssen warten. Bevor die eigentliche Pflege beginnt, erleben sie schon Ohnmacht.“

Hummel-Viol hatte also ein Stück weit Glück, musste nicht im Wortsinne sofort von heute auf morgen einen Platz finden, hatte weniger Druck, denn dann sieht es schnell zappenduster aus. Vorstandssprecher Peter Krücker von der Caritas sagt: „Wenn Menschen in Köln kurzfristig einen Pflegeplatz suchen: Das geht aktuell in Köln nicht, dann findet man nichts. Wenn es mit Vorlauf und planbar ist, dann geht es mit viel Geduld.“

Zahl der Pflegebedürftigen nimmt in Köln zu

Und das Problem wird laut einer städtischen Analyse aus dem Vorjahr größer: Die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt demnach bis 2040 von 48 800 um 21 Prozent auf 58 900 zu. Es braucht geschätzt rund 50 neue Pflegeheime. Sozialdezernent Harald Rau hat zuletzt gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sogar von einem Pflegenotstand in der Stadt Köln gesprochen.

Das Gesundheitsministerium des Landes NRW widerspricht, teilt mit: „Der Begriff des Notstands suggeriert die Situation einer eklatanten Unterversorgung der pflegebedürftigen Menschen in Nordrhein-Westfalen. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen.“ Richtig sei, dass Menschen bei kurzfristigen Fällen ausweichen müssten.

Betroffene spüren Druck, einen Platz zu finden

Nicht alle haben so viel Glück wie Hummel-Viol, sie suchen Wochen, Monate oder finden Plätze im Umland, müssen dann weit fahren für Besuche. Das macht etwas mit den Betroffenen, Peter Scharfe, Geschäftsführer der Alexianer, sagt: „Die Menschen berichten uns von zahlreichen parallelen Anfragen, von der Drucksituation, keinen geeigneten Platz zu finden und von Kompromissen, die man im Hinblick auf den Ort der Versorgung eingehen muss.“

Das bemerkenswerte daran ist: Nahezu alle Beteiligten sprechen das offen aus, doch es tut sich gemessen an der Dramatik offenbar vergleichsweise wenig. Krücker sagt: „Die freien Träger wie wir sagen das schon seit mindestens fünf Jahren – es hört nur kaum jemand zu und es passiert viel zu wenig.“ Und: „Es fehlt nicht an der Erkenntnis, sondern an Handlungen. Die Situation der Pflege ist dramatisch und ernüchternd.“

Träger wollen Arbeitsgruppe verlassen

Rau verwies zuletzt auf die Arbeitsgruppe mit Trägern namens „Zukunft Pflege“, sie arbeite an Lösungen. Allerdings: Aus der Arbeitsgruppe ist von Beteiligten zu hören: „Es gibt bis heute kein Ergebnis.“ Es ist ein bekanntes Problem solcher Gremien, das geflügelte Wort dazu lautet: „Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis.“

Es gibt Träger, die nun mit dem Gedanken spielen, aus dem Gremium auszutreten und selbst aktiv zu werden. Andere sprechen von einem konstruktiven Austausch.

Land NRW verweist auf finanzielle Unterstützung

Bei der Ursachensuche hört man von den freien Trägern drei Probleme. Erstens: Es gibt zu wenige Grundstücke. Zweitens: Der Bau ist nicht ausreichend refinanziert von der öffentlichen Hand, die Pflege ist ja gesetzlich vorgeschrieben. Das Land NRW sagt allerdings, es habe die finanzielle Unterstützung für Pflegeheim-Bauten ausgebaut, angemessene Mieten würden refinanziert. Und drittens: Steht eine Einrichtung, fehlen die Fachkräfte.

Krücker sagt: „Pflegeeinrichtungen fallen nicht vom Himmel. Und wenn sie es tun, brauchen sie einen Platz, auf dem sie landen können. Selbst das wäre aktuell ein Problem. Wir brauchen geeignete Grundstücke, das sollten Politik und Verwaltung endlich anerkennen.“

Neue Kriterien bei Grundstücksvergabe gefordert

Deshalb fordern freie Träger wie Caritas und Alexianer, dass neue Pflegeeinrichtungen viel stärker bei der Stadtentwicklung berücksichtigt werden, es verbindliche Quoten gibt, die Grundstücke an Investoren vergeben werden, die Pflegereinrichtungen berücksichtigen. Rau hatte das teils befürwortet.

Zumal es nicht nur bei den dauerhaften Pflegeplätzen fehlt, auch die ambulante und die stationäre Kurzzeitpflege machen Probleme. Beispielsweise stellt die Caritas ihren ambulanten Dienst in Ehrenfeld ein, laut Krücker findet sie kein Personal mehr. Es sind die ersten Vorboten einer aufziehenden Pflegekrise.

Kurzzeitpflege ist ein großes Problem

Und die kurzzeitige Unterbringung in einem Pflegeheim ist fast die problematischste, weil es schwierig ist, sie wirtschaftlich zu betreiben. Anders als die Dauerpflege ist die Nachfrage ja nicht planbar, die Auslastung ein Risiko.

Wozu das führt, zeigt das Beispiel von Joachim Drinhaus: Der 59-jährige Kölner suchte seit Monaten für September einen Platz für seine Eltern, beide 90 Jahre alt mit Pflegegrad drei und vier. Die Schwester braucht eine Pause von der Pflege zu Hause, sie will im September zwei Wochen in Urlaub fahren. Bislang hat Drinhaus seit Juni laut eigener Aussage 40 bis 45 Einrichtungen angerufen – und nur Absagen erhalten. Jetzt hat sich seine Suche erledigt, sein Vater ist verstorben. Er sagt: „Der Zustand der Pflege in Deutschland ist grauenhaft.“

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