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Festakt in der SynagogeJubiläum erinnert an 1700 Jahre jüdisches Leben in Köln

Lesezeit 6 Minuten
Synagoge Köln

Die Synagogen-Gemeinde in Köln nahm Natalia Denisenko und ihre Tochter bei sich auf.

Köln – Vor 1700 Jahren erlaubte ein kaiserliches Dekret die Mitwirkungen der Kölner Juden im Stadtrat. Der Erlass von 321 ist Anlass für ein bundesweites Gedenkjahr, in dem es um die lange Tradition jüdischen Lebens in Deutschland geht, aber auch um Pogrome, Vertreibung und den Holocaust. Ein Blick auf das jüdische Leben in Köln.

Wie das Leben der Juden in der römischen Provinzstadt Köln im Jahr 321 ausgesehen haben könnte – wir wissen es nicht. Kein materielles Zeugnis belegt ihre Anwesenheit, und doch gilt als gewiss, dass sie Bürger der Colonia Claudia Ara Agrippinensium waren, und das vermutlich schon lange vor besagtem Datum. 321 aber wurde es amtlich, aktenkundig sozusagen, da brachte ein Dekret die Kölner ins reichsweite Gespräch, als Kaiser Konstantin an die Stadtvertreter schrieb, dass sie nun Juden in den Rat berufen dürften. Es war ein Brief, der sich im übertragenen Sinn an die Nachwelt richtete, denn durch dieses Gesetz haben wir Kenntnis vom 1700 Jahre zurückreichenden jüdischen Leben in der Stadt.

Wenig archäologische Funde, um Theorien zu bestätigen

Der Kaiser versäumte nicht hinzuzufügen, dass die neuen Würdenträger für ihre hinzugewonnene Verantwortung durchaus Trost verdienten. Mit der Berufung in den Stadtrat nämlich „waren erhebliche Lasten verbunden, die das persönliche Vermögen betrafen, weshalb sich viele scheuten, sich am Stadtrat zu beteiligen“, so Karl Ubl, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Köln. Konstantin reagierte mit seinem Erlass auf eine Anfrage vom Rhein.

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Die Indizien, zumal die archäologischen Funde aus dem vierten und fünften Jahrhundert sind rar: Eine Öllampe mit dem Bild der Menora in Augsburg, ein Edikt zum Verbot der Einquartierung von Soldaten in Synagogen in Trier – dies sind die weit verstreuten jüdischen Spuren in diesem Teil Europas, von denen Kaiser Konstantins Dekret eine der bedeutendsten ist. Dieses Gesetz steht für die 1700 Jahre und weiter zurückreichende Tradition jüdischer Ansiedlung nördlich der Alpen – und das auf dem Territorium einer sich erst sehr viel später gründenden deutschen Nation, die sich im 20. Jahrhundert der Shoah, des Massenmords an den Juden in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, schuldig machte.

Ringvorlesung zum Jubiläum bereits vergangenes Jahr

Konstantins Schreiben datiert vom 11. Dezember 321, die Jubiläumsfeierlichkeiten aber ziehen sich durchs ganze Jahr 2021 und beginnen bereits an diesem Sonntag, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Kölner Synagoge in der Roonstraße besucht, um eine Rede anlässlich des Festakts zum Start des Gedenkjahres zu halten.

An der Kölner Universität begann die Erinnerung an 321 sogar schon im vergangenen November. Mit einer Ringvorlesung im Wintersemester 2020/21 stimmte das Historische Institut ein Publikum auf das Datum ein, das über den üblichen Hochschulbetrieb hinausging: Die Vorlesung präsentierte die Geschichte jüdischen Lebens im mittelalterlichen Köln wie auch die Schwerpunkte und Ergebnisse der aktuellen Erforschung und war per Livestream öffentlich zugänglich – Karl Ubl war maßgeblich an dem Projekt beteiligt. Alle konnten also überall dabei sein, und doch war die Vorlesung eine genuine Kölner Kooperation. Die Forschungen wurden maßgeblich durch das MiQua-Museumsprojekt und die archäologischen Grabungen vor dem Rathaus angestoßen.

Festakt mit Bundespräsidenten

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält anlässlich des Jubliläums am Sonntag eine Ansprache in der Kölner Synagoge in der Roonstraße – dies ist der Auftakt des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.

Pandemiebedingt wird auf eine Veranstaltung mit Publikum verzichtet. Der Festakt wird in eine einstündige TV-Sendung integriert. Diese wird am Sonntag, 21. Februar 2021 um 16.30 Uhr in der ARD gezeigt.

Mit seinem offiziellen, etwas umständlichen Namen heißt das neue Haus „MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln“; es wächst derzeit über der Archäologischen Zone empor und wird die antiken und mittelalterlichen Funde im Untergrund mit der auf großzügige Etagen verteilten Ausstellung verbinden – auch dieser Bau also manifestiert noch einmal in besonderer Weise die Geschichte, welche die Juden mit der Stadt, aber auch mit dem weiteren Rheinland verbindet. „Das ist eine längst notwendige Maßnahme“, sagt Karl Ubl. „Es gibt wunderbare Ausstellungsstücke, der Parcours durch den Untergrund wird sich beeindruckend gestalten, wenn man sowohl die alte Geschichte des Praetoriums, also des einstigen Statthalterpalasts, besichtigen kann, als auch die Überreste der Häuser im ehemaligen Judenviertel – das wird für Furore sorgen.“

„SchUM-Städte“ liegen weiter flussaufwärts

Zwischen 1953 und 1956 haben Grabungen unter Leitung von Otto Doppelfeld auf dem Areal des Kölner Rathausplatzes, der Ratskapelle und des ehemaligen römischen Statthalterpalastes mit Synagoge und Mikwe, dem rituellen Bad, auch Befunde aus der Frühzeit des Judentums in Deutschland erbracht. Die Entstehung des Jüdischen Museums an dieser Stelle weist Köln im Jubiläumsjahr eine besondere Rolle zu, auch im Hinblick auf die Bedeutung der Stadt für das jüdische Rheinland überhaupt: Stromaufwärts liegen die berühmten „SchUM-Städte“. Das Wort ist ein Akronym aus den hebräischen Anfangsbuchstaben für Speyer, Worms und Mainz, die im Hochmittelalter Zentren jüdischer Gelehrsamkeit, religiöser Gesetzgebung und Baukunst waren.

Shlomo Ben Jitzach, genannt Rashi, schrieb hier seine Kommentare zu Bibel und Talmud nieder - „Wie sehr gehören unsere Lehrer in Mainz, in Worms und in Speyer zu den gelehrtesten der Gelehrten, zu den Heiligen des Höchsten“, heißt es in einer Lobrede aus dem 13. Jahrhundert. „Von dort geht die Lehre aus für ganz Israel. Seit dem Tage ihrer Gründung richteten sich alle Gemeinden nach ihnen, am Rhein und im ganzen Land Aschkenas.“

Antisemitismus bleibt allgegenwärtig

Was ihre Größe betraf, wird die Kölner Gemeinde vergleichbar mit der von Mainz gewesen sein, darüber hinaus war Köln ein bedeutendes Wirtschaftszentrum: „Es gab drei große Messen in Köln, zu denen aus der gesamten damaligen Christenheit die Leute zum Handeln kamen. Auch die Juden haben sich anlässlich dieser Messen hier getroffen und nebenbei über Rechtsfragen diskutiert“, so Karl Ubl.

In welchem Spannungsverhältnis sich das jüdische Leben im mittelalterlichen Köln abspielte, dokumentiert nicht zuletzt der Dom. Hier steht die große Steintafel mit den Privilegien, die der Erzbischof den Juden verlieh, nicht zuletzt, um sich als ihre Schutzmacht gegen den Rat zu positionieren – sogar rein geografisch waren Erzbischof und jüdische Gemeinde Nachbarn, wobei diese Nähe nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich die Christen als die Vertreter der neueren, überlegenen Religion sahen und im Sinne des theologisch begründeten Antisemitismus des Mittelalters dementsprechend handelten: Zeugnis dafür ist die Darstellung einer „Judensau“ im Chorgestühl des Doms.

Verbannung der wenigen Juden aus Köln 1424

Diskriminierung, Mord, Pogrome, Vertreibung, auch das gehört zur jüdischen Geschichte Kölns und des Rheinlands, mit dem Kulminationspunkt des Pestpogroms im 14. Jahrhundert, in dessen Gefolge es 1424 zur Verbannung der wenigen, wieder geduldeten Juden aus der Stadt „auf alle Ewigkeit“ kam.

Das „heilige Köln“ blieb über Jahrhunderte hinweg unter sich; erst nach der Französischen Revolution kehrten die Juden zurück. 1933 bildete die Stadt wiederum keine Ausnahme, als es diesmal um die Durchsetzung des nationalsozialistischen Rassenwahns ging – das Jubiläum, das es in diesem Jahr zu begehen gilt, bedenkt all diese Abgründe mit. Doch es geht auch darum, dass sich wieder jüdische Gemeinden in Köln angesiedelt haben, dass es hier die Bibliothek Germania Judaica, Vereine zur Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit, dass es Forschungen der Universität und kulturelle Projekte, und dass es mit dem Jüdischen Museum nicht allein einen Blick in die Vergangenheit, sondern mit all diesen Errungenschaften Zukunftsperspektiven gibt. Das ist wirklich ein Grund zum Feiern.

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