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Zwei Kaffee, bitte!Was ein Kölner Pilot bei seinen Flügen um die Welt erlebt

Lesezeit 4 Minuten
Michi Becker ist Pilot bei der Lufthansa.

Michi Becker ist Pilot bei der Lufthansa.

Köln – Vor 13 oder 14 Jahren hatte ich ein vergnügliches Gespräch mit einem Frachtpiloten, der mir von seiner ungewöhnlichen Ladung – lebenden Elefanten – und der damit verbundenen logistischen Herausforderungen berichtete; insbesondere was die flüssigen Absonderungen der vierbeinigen Fluggäste betraf. 

Mit solchen Problemen hat mein heutiger Gesprächspartner nichts zu tun, dafür kennt er Situationen, in denen es auch für ihn, einen erfahrenen Piloten, brenzlig wurde. Davon erzählt mir der 45-Jährige wenige Stunden, bevor er in eine Boeing 747 steigt und Richtung Südafrika entschwebt.

Michi Becker fliegt seit 17 Jahren

Michi Becker, „eigentlich Michael, aber keiner nennt mich so“, fliegt seit 17 Jahren und sitzt seit neun Jahren in einem Lufthansa-Cockpit. Er absolviere ausschließlich Langstrecke „etwa 40 Flüge im Jahr“. Wenn er von fast fußballgroßen, köstlichen Papayas erzählt, die er anschließend mitbringt oder von herrlichem Wein aus Südafrika, könnte man neidisch werden und denken, dass es unfair ist, in diesem Traumjob auch noch relativ viel Geld zu verdienen.

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In der Tat werde er hin und wieder mit der Frage konfrontiert: „Wofür kriegt ihr eigentlich die Kohle, wenn die meiste Zeit der Autopilot eingeschaltet ist.“ Er antworte darauf gern mit einem Satz seines Vaters: „Fliegen macht 1000 Stunden Spaß, aber zwischendurch sind immer wieder zehn Sekunden der blanke Horror.“ „Wann haben Sie den persönlich erlebt?“, frage ich den Mann mit den strahlenden blauen Augen und dem leicht hessischen Zungenschlag.

Er erzählt von „dem Allerschlimmsten“, was einem an Bord passieren kann: Feuer. „Da sind wir angehalten, sofort den nächstmöglichen Flughafen anzusteuern.“ Nur wenn man sich gerade mitten über dem Pazifik oder über einer großen Wüste befinde, könne der nächste Flughafen durchaus schon mal sehr weit entfernt sein. „Dann musst du die Kiste im Sand oder auf dem Wasser landen. Darauf sind wir konditioniert. Wenn’s an Bord raucht, haben wir keine Möglichkeit zu löschen.“

„Aber Warten ist nicht. Du musst landen.“

„Das ist Ihnen schon passiert?“ – „Ja, da waren wir gerade über Neufundland, der nächste Flughafen war Gander mit etwas anderen Ausmaßen als Frankfurt.“ Als man dem dortigen, sofort aus dem Bett geklingelten Feuerwehrchef davon in Kenntnis setzte, dass ein Jumbo-Jet im Anflug wäre, dachte der erst an einen schlechten Traum. Aber es ging alles gut. Später stellte sich heraus, dass es sich um einen Ofenbrand handelte. „Eine Brötchentüte hatte irgendwie zu kokeln begonnen.“ Becker lacht.

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Dann erzählt er von den vielen Stunden, in denen der Spaßfaktor sonst noch eher gering war. „Stellen Sie sich vor, Sie starten im Winter Richtung New York. Mit begrenzter Sprit-Menge. Du weißt, du kannst zwischendurch nicht mal eben zur Tanke. Und dann bricht ein Blizzard rein. Du kannst nicht landen. Also fliegst du nach Boston oder Washington. Keine gute Idee. Denn da ist ebenfalls verheerendes Wetter. Außerdem wollen alle anderen auch dahin. Also stehst Du irgendwann in der Rangfolge 48 in der Warteschleife. Aber Warten ist nicht. Du musst landen. Dann erfolgt das berühmte Mayday und du erhältst jede Unterstützung, die du brauchst. Dir werden praktisch alle Wünsche von den Lippen abgelesen.“

„Den Blizzard hätte man nicht voraussehen können?“ Becker schüttelt den Kopf. „Es ist selbstverständlich, das du vorher alle Unterlagen gründlich studierst. Aber da war vorher nichts von einem Blizzard zu sehen. Leider wechselt das Wetter heute dynamisch schnell“, betont mein Gegenüber und macht damit deutlich, dass der Klimawandel auch für die Fliegerei eine Herausforderung darstellt. „Aber Sie steigen nie mit Angst in den Flieger?“ – „Nein, aber mit Respekt und Verantwortungsgefühl.“ Und zwar unabhängig davon, ob nur drei oder 350 Menschen in der Maschine säßen.

Auswirkungen vom 9. September 2001

Natürlich interessiert mich auch, welche Auswirkungen das Flugzeug-Attentat auf das World Trade Center am 9. September 2001 auf ihn hatte. Als es passierte, sei er in seinem damaligen Zuhause gewesen und habe mit Erschütterung die Fernsehbilder verfolgt. Auf der mentalen Ebene habe es nichts verändert, „auf der Arbeitsebene extrem viel“. Früher habe die Tür zum Cockpit offen gestanden. Neugierige Kinder und noch mehr deren Väter pirschten sich an. Die Stewardessen kamen zum Kaffee oder zum plaudern.

„So ging die Zeit entspannt um. Heute haben wir eine gesicherte Tür mit Zugangscode, aber auch damit bekommst du keine hundertprozentige Sicherheit, wie die Germanwings-Katastrophe gezeigt hat.“ Selbst das Vier-Augen-Prinzip, dass immer einer von der Crew hinein müsse, wenn einer der Piloten das Cockpit verlasse, biete keine Garantie. „Und wann hatten Sie das letzte Mal so richtig Schiss?“, frage ich den angehenden Flugkapitän, der zudem stolzer Vater einer einjährigen Tochter ist. „Noch nie!“, sagt er und lacht. „Und da rede ich für 98 Prozent meiner Kollegen.“ Es habe schon ordentlich gewackelt. Aber ihm sei noch nie der Allerwerteste auf Grundeis gegangen.

Der Text ist für die Serie „Zwei Kaffee bitte" entstanden. Die Idee dahinter: Wie reagieren Menschen – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt?

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