Fünf MordeWie eine Frau als letzte Westdeutsche in Köln zum Tode verurteilt wurde

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Köln Kriminell Frau zu Tode verurteilt

Irmgard Swinka (2.v.l.) wurde zum Tode verurteilt.

  • Dieser Text stammt aus dem neuen Buch von Bestsellerautor Bernd Imgrund „Köln Kriminell. True Crime“, in dem er 15 spektakuläre Kriminalfälle seit 1945 neu aufrollt.
  • Das Buch ist im Greven Verlag erschienen und kostet 16 Euro.

Köln – Ihre Masche war immer die gleiche. Zunächst fuhr sie mit dem Zug in eine größere Stadt. Dort streifte sie durch Einkaufszonen, Parks und Gaststätten, immer auf der Suche nach älteren, alleinstehenden Frauen. Gern klagte sie zunächst ihr eigenes Leid, um sich das Mitgefühl ihrer Opfer zu erschleichen. Dreizehn Stunden habe sie auf dem Trittbrett des Zugabteils verbracht, behauptete sie in mindestens einem Fall. Um dann fortzufahren, sie sei fremd in der Stadt und könne ein paar Ratschläge gebrauchen. Geschätzt 40 Mal ist Irmgard Swinka so vorgegangen. Mindestens fünf Frauen brachte sie um.

Ein tödlicher Cocktail

Die Frauen schöpften Vertrauen, man tauschte sich über die harten Zeiten aus. Kurz nach dem Krieg mangelte es an allem – an Heizmaterial, Nahrungsmitteln, auch an Medikamenten −, in der Not war man sich einig. Früher oder später lenkte Swinka das Gespräch dann auf jene wahlweise stärkenden oder schmerzstillenden Mittel, über die sie angeblich verfügte. Ihr Vater sei Apotheker, sie selbst habe lange Jahre als Krankenschwester gearbeitet, behauptete sie wahrheitswidrig. In der Hoffnung auf Linderung der eigenen Gebrechen nahmen die Frauen Irmgard Swinka mit nach Hause. Was ihnen schließlich verabreicht wurde, waren allerdings keine herkömmlichen Schmerztabletten − sondern ein Mix aus starken Schlafmitteln und Morphium.

Weigerten sich die Frauen, die Lösung ganz auszutrinken, redete Swinka ihnen beharrlich zu. Durch den Zusatz von Zucker oder lang entbehrtem Bohnenkaffee machte sie sich die Frauen gefügig. In manchen Fällen bot sie den Opfern auch präparierte Zigaretten an. So oder so: Sobald sie das Bewusstsein verloren, kamen Swinkas wechselnde Komplizen ins Spiel. Sie öffnete ihnen die Wohnungstür, und gemeinsam raubten sie die Wohnung bis in den letzten Winkel aus. Geld, Schmuck, Lebensmittelkarten und zuweilen auch „ganz wertlose Dinge“ wanderten in die Taschen der Diebe. Anschließend wurde die Beute dann auf den Nachkriegs-Schwarzmärkten verhökert. Die Kettenraucherin Swinka hatte es bei diesen Tauschgeschäften vor allem auf Zigaretten der Marke Chesterfield abgesehen.

Im späteren Prozess ging die Staatsanwaltschaft von mehreren Dutzend Raubzügen in der Zeit von Juli 1947 bis Juli 1948 aus. Nicht jede einsame Witwe fiel auf Swinka herein. Hatte sie sich jedoch einmal Zutritt verschafft, waren die Folgen schwerwiegend. Ihren Giftvorrat soll sie 1947 einem ehemaligen SS-Sanitäter gestohlen haben, der in einem Flüchtlingslager arbeitete. Irmgard Swinka dosierte großzügig, selbst wer überlebte, trug zumeist schwere gesundheitliche Schäden davon.

Eine Strickweste und ein paar Wollknäuel

Ihr letztes Todesopfer sollte im Juni 1948 die Kölnerin Helene Schmitz werden. Die Strickerin, wohnhaft an der Kalk-Mülheimer Straße, war nach der Einnahme des toxischen Cocktails nicht mehr aufgewacht. Sie starb für eine Strickweste, ein paar Wollknäuel und Lebensmittelkarten – mehr hatte die Mörderin nicht vorgefunden.

Der hinzugerufene Arzt hat den Totenschein bereits ausgefüllt und als Ursache einen „Schlaganfall“ notiert, als der zuständige Kommissar Erwin Kühn mit den Nachbarn ins Gespräch kommt. Eine „elegant gekleidete, fremde Dame“ habe die Frau Schmitz kurz vor ihrem Tod besucht, erzählen sie. Der erfahrene Ermittler wird misstrauisch und sieht sich die Leiche noch einmal an. Als er die kleinen Bläschen an den Füßen der Toten entdeckt, ist ihm klar: Die 63-Jährige ist nicht eines natürlichen Todes gestorben, sondern an einer Schlafmittelüberdosis.

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Überregionale Ermittlungen werden eingeleitet, die schon bald zum Erfolg führen. Denn Irmgard Swinka hat kurz vor dem Giftanschlag auf die Kölner Strickerin einen entscheidenden Fehler begangen. Sie forderte ihr vorletztes Opfer Minna S. auf, einen Abschiedsbrief zu verfassen. Angeblich nur zum Spaß sollte sie schreiben: „Ich habe das Leben satt. Lasst es Euch gutgehen. Mir geht es gut. Minna S.“ Kurz darauf kollabierte die Frau. Swinka schleifte sie zum Bett, legte den Abschiedsbrief neben sie und plünderte anschließend die Wohnung. Aber ihr Giftbecher war dieses Mal nicht toxisch genug. Minna S. erwachte und wurde gerettet. Ihre Personenbeschreibung deckte sich mit Aussagen von Zeugen in Köln-Mülheim.

Ermittler durchforsten die Archive und stoßen auf ein Foto der aktenkundigen Irmgard Swinka, geborene Kuschinski. Zeitungen veröffentlichen die Aufnahme. Am 13. Juli 1948, drei Wochen nach dem Mord an Helene Schmitz, erkennt eine Frau im Zug von Dortmund nach Unna das Gesicht der Mörderin. In Unna angekommen, verständigt sie die Bahnpolizei. Irmgard Swinka, damals 36 Jahre alt, wird in einer Gaststätte festgenommen. Ihren Komplizen Ernst Himpel (42) schnappt man in der Nachbarschaft, wo er vermutlich neue Einbruchsobjekte auskundschaftete.

Abgehetzt, bleich und hohlwangig habe sie gewirkt, heißt es in den zeitgenössischen Presseberichten. Ihre „zittrigen, nikotingelben Finger“ hätten nervös im Fell ihres Schoßhundes „Texas“ gewühlt. In ihren Taschen finden die Beamten gefälschte Papiere, ausgestellt auf verschiedene Namen. Swinka und Himpel werden ins Polizeigefängnis nach Köln überführt. Um zu verhindern, dass sie sich das Leben nehmen, unterliegen sie dort ständiger Bewachung. Weil sie ihre letzte Tat in Köln verübt haben, soll dort auch der Strafprozess stattfinden.

„Ein feiger Schakal, der sich im Dunkeln anschlich“

Der Fall hatte große Wellen geschlagen. Die Kommentare in der Presse spiegeln das Entsetzen der Zeitgenossen, aber auch die Klischees und Vorurteile der Zeit. Die Giftmordserie der Irmgard Swinka galt als einzigartig in der deutschen Kriminalgeschichte, Swinka selbst als eiskalter Todesengel. „Diese Frau war keine wilde Wölfin, die Beute riss, sondern ein feiger Schakal, der sich im Dunkeln anschlich“, schrieb die Neue Illustrierte im Mai 1949 während des Prozesses. Der Stern veröffentlichte Fotos der Tatorte, die er mit reißerischen Unterschriften versah: „Hier war die Mörderin hereingekommen, den Tod im Koffer, (…) hinter diesem Bett kauerte sie, als eine ahnungslose Besucherin die Vergiftete scheinbar schlafend fand.“ Ganz nach dem alten Grundsatz „Illustrierte gelesen – dabei gewesen“ werden Schaulust und Sensationsgier der Leser angeregt. „Während das Opfer in langsamem Todeskampf dahinsiechte“, habe die Giftmischerin „zusammengerafft, was sie schnell ergreifen konnte.“ Suggestiv auch die Beschreibung eines Prozessfotos der Angeklagten: „Das ist die Giftmörderin Swinka. Ein unsympathisches, grobes Gesicht, verkniffene Augen, einen Zug um den Mund, der zur Vorsicht mahnt. Sie soll ´so vertrauenserweckend´ gewesen sein.“

Um die Angeklagte vollends zu verteufeln, wird sie in eine vermeintliche „Tradition“ weiblicher Giftmischerinnen gestellt. Neben sadistischen Tendenzen unterstellt man ihr dabei auch eine sexuelle Motivation. Da sei ein „unheimliches Verlangen, andere leiden oder sterben zu sehen“, mit im Spiel gewesen, weiß der Stern. „Wie es den Giftmischerinnen von jeher eigen war“, sei auch Irmgard Swinka geleitet gewesen von jenem „lüsternen Gefühl gemein versteckter Macht“.

So niederträchtig ihre Taten auch waren, handelte es sich bei Irmgard Swinka jedoch keineswegs um eine moderne Hexe. Sondern um eine konventionelle Verbrecherin, abgestumpft von bedrückenden Lebensumständen, die ihre Opfer ohne Empathie oder Mitleid ermordete. „Sie hatte etwas Bestrickendes, dem sich niemand entziehen konnte”, sagte einer ihrer Ex-Gatten während des Prozesses. Ihre Anwältin Elsbeth von Ameln hingegen beschrieb sie als „skrupellos, faul, eine arbeitsscheue Lügnerin“. Vermutlich trafen beide Aussagen zu.

Geboren wurde Irmgard Kuschinski, spätere Swinka, am 24. Mai 1912 in Berlin. Sie hatte Probleme in der Schule, ihr Vater war ein „prügelnder Alkoholiker“, wie der ehemalige Kölner Richter Norbert Klein für sein Buch Mörder, Stadtrat und FC herausfand. Swinka erlernte keinen Beruf, arbeitete aber wohl hin und wieder als Serviererin in der Gastronomie. Zwei Ehen scheiterten, ihr dritter Mann war zum Zeitpunkt der Hochzeit bereits verheiratet. Er wurde dann wegen Bigamie gesucht. Auch Swinka kam schon früh mit dem Gesetz in Konflikt. Sie saß wegen Unterschlagung, Betrug und Diebstahl im Gefängnis, plünderte Betrunkene aus, und „bei Bedarf zeigte sie sich auch lesbisch“. Unter anderem ist ein Gefängnisaufenthalt in der Strafanstalt Leipzig-Kleinmeusdorf wegen „Rückfalldiebstahls” aktenkundig. Drei Jahre verbrachte sie dort, mit 29 Jahren kam sie 1941 wieder frei. Aber nicht für lange.

„Dem Satan verschrieben“

Aus dem Kölner Klingelpütz ist Irmgard Swinka zunächst für sechs Nächte ins Bonner Gerichtsgefängnis überführt worden. Dort verpackt sie Druckknöpfe und liest erbauliche Literatur des völkischen Autors Friedrich Lienhard (1865−1929). Sie trägt einen Rosenkranz in der Tasche und beantragt, zur Beichte zu gehen. Der haftbedingte Nikotinentzug löst ein permanentes Hungergefühl in ihr aus. Gewöhnt an 40 Zigaretten pro Tag, verschlingt sie stattdessen das Anstaltsessen wie ein hungriger Wolf. Das „Weibs-Skelett“ habe in der Untersuchungshaft 30 Pfund zugenommen, wird der Spiegel zum Prozessauftakt schreiben.

Ihren drei Zellengenossinnen macht sie unterdessen, im wahrsten Sinne des Wortes, die Hölle heiß. Überaus nervös habe sie gewirkt, ständig strich sie sich die glatt angelegten Haare aus dem Gesicht, berichten diese später. Irgendwann beginnt sie zu schreien: „Ich habe mich dem Satan verschrieben!“ Der „Herrscher des Bösen“ sei ein „Knochenmann mit langen, klappernden Beinen und einem wackeligen Kopf“. Auch eine Anstaltsbeamtin, die das als „Unfug“ bezeichnet, bedroht Swinka mit ihren angeblichen Höllenkontakten: „Ich sage dem Satan nur ein Wort, dann wird er auch Ihnen erscheinen, und Sie werden nicht mehr zweifeln!“

Zurück in Köln, scheint sie sich jedoch wieder beruhigt zu haben. Dem Chef der Kölner Mordkommission präsentiert sie sich mit ihrem Hündchen auf dem Arm. Und der gibt sich jovial, wie man in Köln so ist: „Na, Frau Swinka, hat Ihr Hund die Reise gut überstanden?“, fragt er und bietet ihr eine Zigarette an. „Sie waren doch sicher schon mal in Köln ...“

Am 21. April 1949 beginnt am Kölner Landgericht am Appellhofplatz der Prozess. Geladen sind 40 Sachverständige und mehr als 200 Zeugen. Irmgard Swinka ist des heimtückischen Mordes in fünf Fällen angeklagt, ihr droht die Todesstrafe. Im Vorfeld ist es allerdings zu einigen Merkwürdigkeiten gekommen. Der Mageninhalt eines Giftopfers ist auf dem Weg zwischen zwei gerichtsmedizinischen Instituten spurlos verschwunden. Das Glas mit den Giftresten eines Tatorts hat ein übereifriger Beamter ausgespült. Ebenfalls versehentlich hat ein Labormitarbeiter Herz und Leber eines exhumierten Opfers verbrannt. Auch zu Prozessbeginn beobachtet der Spiegel seltsame Details. So habe Swinka an den ersten beiden Verhandlungstagen einen goldenen Verlobungsring getragen, der „vom dritten Tag an als Ehering an der Rechten“ gesichtet wird. Jedoch sei im „Klingelpütz von einer neuen (vierten) Hochzeit nichts bekannt“ geworden.

Sehr früh im Prozess geht es um Swinkas vermeintliche Besessenheit vom Teufel. Der über die Berliner Luftbrücke eingeflogene Direktor des gerichtsärztlichen Instituts der Universität Berlin, Prof. Victor Müller-Heß, weist das jedoch zurück. Swinkas Satanismus sei nur vorgetäuscht, um als unzurechnungsfähig eingestuft zu werden und glimpflicher davonzukommen. Auch ihren Antrag, unter Hypnose befragt zu werden, lehnt er ab. „Meine Erfahrung ist, dass im Zustand der Hypnose genauso gelogen wird wie in wachem“, sagt der anerkannte Experte.

„Ich wollte nur stehlen“

Weil Deutschland noch immer in vier Besatzungszonen aufgeteilt ist, verzögert sich die Übermittlung von Akten und Auskünften. Während Richter van Look aufs Gaspedal drückt, drosseln Staatsanwaltschaft und Verteidigung das Tempo. Ankläger Düntzer, so der Spiegel, macht „aus der mit ehrgeizigem Fleiß zusammengestellten 150-Seiten-Anklageschrift ein Stück Lebensarbeit“. Mit eigenwilligen Methoden versucht er Swinka zu Geständnissen zu bewegen: „Mich brauchen Sie doch nicht zu belügen, Frau Swinka, damals haben Sie mir den Fall doch ganz anders geschildert.“

Auch Verteidigerin von Ameln zieht den Prozessverlauf in die Länge. Jeden Morgen erscheine sie „frisch von Frisur, aber ohne Nagellack, Rouge und Lippenrot“. Und offenbar auch ohne Zeitnot. Immer wieder hake sie bei den Vernehmungen nach – „langsam, betont und mit viel Pathos“. Um dann auf ihre immer gleichen Fragen immer gleiche Antworten zu erhalten: „Ich habe mir nichts dabei gedacht“, reagiert die Angeklagte zumeist. „Ich wollte nur stehlen.“

Allen Verzögerungen zum Trotz kommt es am 7. Mai 1949 zur Urteilsverkündung. Sie fällt so aus, wie es der gestrenge Stern bereits im Vorfeld prognostiziert hatte: Irmgard Swinka sei ein „Symptom unserer aus den Fugen geratenen Zeit“, hatte man dort geraunt. Deshalb bedürfe es einer „starken Justiz“, die Swinkas Taten „mit der gleichen Strenge ahndet, mit der schon in alten Zeiten die Giftmörder bestraft wurden“. Was damit gemeint war, lag auf der Hand: Über Irmgard Swinka sollte die Todesstrafe verhängt werden.

Und so kommt es dann auch. Das Gericht verurteilt die damals 37-Jährige wegen vierfachen Mordes, Totschlags sowie zehnmaligen Mordversuchs zum Tode. In der 257-seitigen Urteilsbegründung heißt es unter anderem: „Die Angeklagte hat in allen Fällen heimtückisch gehandelt. Sie hat die Arglosigkeit und das Vertrauen der Opfer ausgenutzt, um sie zu der Einnahme der todbringenden Lösung zu veranlassen.“

Auf dem letzten Foto im Gerichtssaal wirkt die Angeklagte gefasst, beinahe trotzig blickt sie in die Kamera. Vielleicht ahnt sie in dem Moment, was am folgenden Tag geschehen sollte: Der Parlamentarische Rat, Vorläufer des Bundestags, lehnt die Aufnahme der Todesstrafe in das Grundgesetz ab. Irmgard Swinka war offenbar eher mit Glücksgöttin Fortuna als mit dem Satan verbandelt. Sie springt dem Tod in letzter Minute von der Schippe. Ihre Strafe wird in „lebenslänglich Zuchthaus“ umgewandelt. Der letzte in Westdeutschland zum Tode verurteilte Mensch überlebt in der Justizvollzugsanstalt Willich am Niederrhein.

60 Mark pro Kopf

Wäre es beim ursprünglichen Urteil geblieben, hätte auf Irmgard Swinka der Tod durch das Beil gewartet. Nach der Eingliederung des Rheinlands in das Staatsgebiet der französischen Republik 1797 war der Code Civil eingeführt worden. Dieser sah auch für die Todesstrafe „Egalité“ vor: Statt unterschiedlicher Tötungsmethoden drohte Schwerverbrechern ausnahmslos die Guillotine. Auch im Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches, das am 1. Januar 1872 in Kraft trat, stand auf Mord Enthauptung. In der Debatte zur Weimarer Verfassung 1919 forderten dann SPD und USPD die Abschaffung der Todesstrafe − erfolglos. Und mit der Machtübernahme der Nazis endeten solche Diskussionen gänzlich. Zwischen 1933 und 1945 wurden insgesamt 16.560 Todesurteile gefällt und davon etwa 12.000 vollstreckt. Auch nach dem Krieg blieb die Todesstrafe Teil des Strafgesetzbuches. Mit Friedrich Hehr (1879−1952) beließ man sogar denselben Scharfrichter im Amt. Der Hannoveraner tötete zwischen 1925 und 1949 Hunderte von Delinquenten per Handbeil und Guillotine. Für jede Hinrichtung erhielt er 60 Deutsche Mark − zusätzlich zu seinem Gehalt.

In den Besatzungszonen der Westalliierten kam eine Guillotine bereits am 15. Dezember 1945 erstmals wieder zum Einsatz. Weil das Kölner Fallbeil im Krieg zerstört worden war, fanden alle westdeutschen Hinrichtungen in Dortmund statt. 130 Todesurteile wurden zwischen 1946 und 1949 in Berlin und den Westzonen ausgesprochen, nur jeder fünfte Verurteilte jedoch kam auch wirklich aufs Schafott. Bei einer Umfrage im Februar 1949 befürworteten 77 Prozent der deutschen Bevölkerung die Todesstrafe. Im Parlamentarischen Rat waren die Meinungen geteilt: CDU und CSU, das Zentrum und die meisten Freidemokraten sprachen sich für die Beibehaltung aus, SPD und KPD dagegen. Immer wieder wurde während der Debatte der Fall Swinka zitiert, um die jeweiligen Argumente zu unterfüttern. Der Jurist und CDU-Abgeordneten Paul de Chapeaurouge hielt die Todesstrafe angesichts der Taten Swinkas für unentbehrlich. Der SPD-Mann Friedrich Wilhelm Wagner hingegen erklärte, Swinka habe ihre Morde im Wissen um die Todesstrafe verübt und diese habe mithin keine abschreckende Wirkung.

Die Abstimmung am 8. Mai 1949 fiel deutlich aus: 65 Abgeordnete stimmten für die Abschaffung, nur 30 dagegen. Die Dortmunder Guillotine wurde im Folgejahr abgebaut und – gemäß der Order des Justizministeriums – gründlich zerstört. In Umfragen waren die Todesstrafengegner erst Ende der 1960er Jahre erstmals in der Mehrheit – ein Kräfteverhältnis, das in Krisenzeiten immer wieder wackelt. In der DDR wiederum wurde die Todesstrafe erst 1987 abgeschafft. Bis 1981 wurden dort mutmaßlich 164 Urteile vollstreckt, die meisten durch einen Schuss in den Hinterkopf.

Das Irmchen

Die Todeskandidaten der unmittelbaren Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen blieben sämtlich noch lange in Haft. Die meisten von ihnen begnadigte erst Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) Anfang der 1970er Jahre. Nicht jedoch Irmgard Swinka. In ihrem Fall schien man das „lebenslänglich“ wörtlich zu nehmen. Aus der Haft heraus hatte sie immer wieder Gnadengesuche gestellt. Aus Hafturlauben war sie zuverlässig und unbescholten zurückgekehrt. Aber noch 1983 wies man einen Antrag der inzwischen 71-Jährigen mit der Begründung ab, es bestünden „nicht nur theoretische Zweifel“ an ihrer Bekehrung. So verbrachte sie insgesamt 38 Jahre in ihrer Zelle, die sie zeitweise mit den Wellensittichen „Bubi“ und „Mekki“ teilte. Erst Kühns Nachfolger Johannes Rau entließ Irmgard Swinka 1986 in die Freiheit. Die letzte zum Tode Verurteilte Deutsche wechselte in ein Altenheim in der Nähe von Aachen. Dort lebte sie noch zwei weitere Jahre, bevor sie im Oktober 1988 an Herzversagen starb. Ihren Mitbewohnerinnen war sie unter dem falschen Nachnamen „Moser“ vorgestellt worden. Im Heim jedoch nannten sie alle nur „das Irmchen“.

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