Gebogene Brücken, gefaltete KirchenDer Kölner Bauingenieur Stefan Polónyi wird 90

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Die Tiergartenbrücke

  • Ein herausragender Bauingenieur wird 90 Jahre alt: Stefan Polónyi ist einer der Besten seiner Zunft.
  • Für Polónyi gilt: Als Künstler ist der Architekt frei und kann außergewöhnliche Formen schaffen. Polónyi als Ingenieur wusste diese dann umzusetzen.
  • Wie der 90-Jährige nach Deutschland gekommen ist, was er für Architektur und Ingenieurswesen hierzulande getan hat und was er sich für die Zukunft vorstellt.

Köln – Form und Funktion beschäftigen Stefan Polónyi auch mit 90 Jahren. Und ganz sicher hat er mit seinem Haus im Kölner Süden zu einer Form gefunden, die zu ihm passt: weit und offen, und doch intim und bequem.

Der Bauingenieur, der zu den herausragenden Ingenieuren Deutschlands zählt, hat das 50er-Jahre-Haus umgebaut, Teile eines Stockwerks herausgenommen, eine hohe Glasfront geschaffen, die den Blick in den parkähnlichen Garten freigibt. Umgeben von ihren Gemälden ist seine Frau immer um ihn, auch wenn sie im Januar gestorben ist.

Der Architekt ist Künstler und somit frei

Für Stefan Polónyi gilt: Die Form muss nicht der Funktion folgen. Als Künstler ist der Architekt frei und kann außergewöhnliche Formen schaffen, die Polónyi allen Gesetzen der Schwerkraft zum Trotz tragfähig konstruiert. Ob Montage oder Schalung, Stahl, Glas oder Beton – tragende Flächen können gekrümmt sein wie bei dem geschwungenen Schalendach des Frechener Keramions, das Polónyi mit Peter Neufert baute. Sie können gefaltet sein wie die Kirche St. Paulus, die Polónyi mit Fritz und Christian Schaller in Neuss realisierte.

Ob Rem Koolhaas, Claude Vasconi, Dani Karavan, Helmut Jahn, Jean Nouvel oder Norman Foster – Architekten von Rang und Namen haben die Zusammenarbeit mit Polónyi gesucht, weil der sich nie allein als Statik-Dienstleister begriffen hat, sondern als entwerfender Ingenieur, der im kreativen Dialog mit dem Architekten Form und Konstruktion als Kunst begreift. Sein Credo: „Es ist nicht Aufgabe des Ingenieurs, dem Architekten klarzumachen, dass es nicht geht, sondern zu zeigen, wie es geht.“

Polónyi wollte unbedingt nach Deutschland

Polónyis schöner ungarischer Akzent ist immer noch hörbar. Im Jahr des Ungarn-Aufstandes 1956 geht der Absolvent der Budapester Technischen Universität nach Köln. „Ich wäre in jedem Falle nach Deutschland gegangen“, sagt er. „Ich wollte nach Frankfurt, bin aber schon in Wien einem freundlichen Herrn begegnet, der mir eine sehr gut dotierte Stelle bei Bauwens vermittelte. So bin ich nach Köln.“

Im kriegszerstörten Deutschland brummt die Bauwirtschaft und Polónyi macht sich nach zehn Monaten in Köln mit einem eigenen Statik-Büro selbstständig. Stefan Wewerka, später Professor der Kölner Kunsthochschule, bringt ihn mit bedeutenden Architekten zusammen: Josef Lehmbrock, Fritz Schaller, Peter Neufert, Oswald Matthias Ungers. Sie schätzen Polónyi als kongenialen Partner, der ihnen ermöglicht, kühne Tragwerke und Schalenkonstruktionen zu entwerfen und damit neue, ungewöhnliche architektonische Lösungen zu finden.

Die Frage nach dem „Warum?“ ist das Wichtige

1964 holt Ungers den 34-Jährigen an die TU Berlin. Die pädagogische Ambition hat Polónyi vom Vater, einem Gymnasiallehrer.  „Er wollte mir nichts beibringen, er wollte mich nur neugierig machen.“ Das Was und Wie des Bauens zu unterrichten, so Polónyi, sei das eine. „Aber erst mit der Frage nach dem „Warum?“ beginnt das Selberdenken, öffnen sich Türen.“ Über vier Jahrzehnte führt Polónyi sein Kölner Ingenieur-Büro, lehrt und forscht, verfasst über 20 Bücher, bildet tausende Studenten aus, von denen 30 Professoren werden. „ Ohne eigene Praxis kann ein Hochschullehrer für die Studenten nicht überzeugend sein.“   

Mit Ungers entwirft er die Galleria der Messe Frankfurt,  mit von Gerkan und Marg die verglaste Gitterschale der Zentralhalle der Messe Leipzig, er ist am Bundespräsidialamt (Gruber + Kleine-Kraneburg) und am  Bundeskanzleramt (Schultes + Frank) beteiligt. Auch an Rhein und Ruhr hinterlässt er Spuren. Seine Brücken mit ihren roten gebogenen Rohren als konstruktives und ästhetisches Moment sind längst Landmarken im Ruhrgebiet.

Gemeinsame Ausbildung von Architekten und Bauingenieuren

An der TU Dortmund gründet Polónyi 1974 gemeinsam mit den Architekten Harald Deilmann und Josef Paul Kleihues das „Dortmunder Modell Bauwesen“ – die gemeinsame Ausbildung von Architekten und Bauingenieuren an einer Fakultät, damit beide Berufsgruppen früh lernen, zusammenzuarbeiten und kostspielige Probleme vermeiden lernen. „Wenn bei Großbaustellen wie der Elbphilharmonie, dem Berliner Flughafen oder der Kölner Oper derart gravierende Fehler auftreten, dann liegen Systemfehler vor“, sagt Polónyi. „Für Technische Gebäudeausrüstung gibt bis heute keine adäquate, praxisnahe Ausbildung. Das muss sich ändern.“

In Bonn hat er mit seinem ehemaligen Studenten Axel Schultes das Kunstmuseum und mit Gustav Peichl die Bundeskunsthalle geplant. In Köln habe er nur wenig bauen können: die Stahl-Glaskonstruktion der Sparkasse am Rudolfplatz mit HPP, die Vorhallenüberdachung des Kölner Hauptbahnhofs mit Busmann und Haberer und die Tribüne des 1. FC Köln. Er habe Wettbewerbe gewonnen, aber die Aufträge seien längst vergeben gewesen. „Geschlossene Kreise“, sagt er. Aber davon wolle er nicht erzählen. „Ärger ist unproduktiv. Ich habe immer nach vorne geblickt.“

Häuser quer über den Rhein

Die Zukunft? Bewundernd spricht Polónyi vom Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven, der in Singapur wunderschöne Hochhäuser mit begrünten Fassaden gebaut hat. Das kann Polónyi sich auch für Köln vorstellen, auch in der Horizontalen, quer über den Rhein gelegt. 2016 schlägt er vor, im Norden und Süden Kölns zwei begrünte Wohnbrücken über den Fluss zu bauen. Keine Reaktion erhält er auch auf den Vorschlag, Hauptbahnhof und Köln-Messe/Deutz mit einem verglasten Walkway zu verbinden: Laufbänder parallel zur Hohenzollernbrücke.

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Polónyi, mit drei Ehrendoktoren und 1998 mit dem Großen Preis für Baukultur vom Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine (DAI) ausgezeichnet, bleibt auch mit 90 kreativ. „Ich habe Zeit zum Nachdenken“, sagt er, „mich treiben keine Projekte mehr, nur noch Ideen.“ Eben hat er zwei Patente angemeldet: zur Effizienz von Stahlbetonkonstruktionen und für Fertigbauelemente, die bereits mit allen Installationen für Küche oder Bad ausgestattet sind.

Er erledigt seine Buchführung, kocht, pflegt Kontakte mit Kollegen und schreibt Aufsätze zum „aktuellen Stand der Irrtümer“. Aber das Alter fordere Zugeständnisse, sagt er leise. Sieben Boote habe er in seinem Lebens gesegelt. Die Hochseetörns mit seiner Frau vermisse er. Aber so sei es eben: Jedes Alter müsse zur je eigenen Form finden.  

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