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Geiselnahme am HauptbahnhofKöln entging nur knapp einer Katastrophe

Lesezeit 3 Minuten
Der Geiselnehmer hatte Gaskartuschen mit Stahlkugeln präpariert.

Der Geiselnehmer hatte Gaskartuschen mit Stahlkugeln präpariert.

Köln – Nach dem Brandanschlag und der Geiselnahme im Kölner Hauptbahnhof ist der mutmaßliche Täter außer Lebensgefahr. Er liege im Koma und konnte noch nicht vernommen werden, berichtete die Polizei. Die Ermittler wollen einen islamistischen Hintergrund der Tat, mit der der 55-jährige Syrer und anerkannte Flüchtling Mohammad R. offenbar möglichst viele Menschen treffen wollte, weiterhin nicht ausschließen.

Bezug zu islamistischem Terror nicht belegt

Einen eindeutigen Beleg für einen konkreten Bezug R.s zum islamistischen Terrorismus hat die Polizei zwar bislang nicht. Dennoch teilte ein Sprecher des Bundesgerichtshofs mit, die Generalbundesanwaltschaft werde vermutlich in Kürze die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Köln übernehmen.

Der Polizei zufolge hatte R. am Montag mehrere Molotow-Cocktails in einem Koffer dabei sowie Behältnisse mit Benzin und Gaskartuschen, die mit Stahlkugeln befüllt waren. Wären die alle im McDonald’s-Café zur Explosion gebracht worden, wäre die Sprengwirkung „ungeheuer“ gewesen und der Schaden „ganz beachtlich“, betonte Kölns Kripochef Stephan Becker. „Er wollte offensichtlich viele Menschen schädigen.“

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Molotow-Cocktail in Benzinpfütze geworfen

Letztlich zündete R. einen Molotow-Cocktail und warf ihn in eine Benzinpfütze, die er zuvor selbst im Verkaufsraum ausgebracht hatte. In einem Überwachungsvideo aus dem Schnellrestaurant, das die Polizei am Dienstag vor Journalisten abspielte, sind die dramatischen Szenen erschreckend deutlich zu erkennen. Eine 14-Jährige erlitt schwere Brandverletzungen und wurde am Dienstag erneut operiert.

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Mohammad R. lebte seit 2015 in einem Apartmenthaus in Neuehrenfeld. Dort erzählte er Nachbarn, er habe in seiner Heimat in Syrien jahrelang als politischer Häftling und Gegner des Assad-Regimes im Gefängnis gesessen und sei dort gefoltert worden. Die Polizei weiß nach eigenen Angaben bisher nichts davon, bestätigte aber, dass der 55-Jährige in Köln zuletzt wegen psychischer Probleme in Behandlung war. Seit 2016 ist 13 Mal gegen ihn ermittelt worden, unter anderem wegen eines Rauschgiftdelikts, Betrugs, Ladendiebstahls und Hausfriedensbruchs.

Seit 2015 als Flüchtling anerkannt

„Die Strafbarkeit führt nicht zu einer Ausreisepflicht, solange jemand als Flüchtling vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anerkannt ist“, teilte die Stadt Köln mit – und das war Mohammad R. bereits seit Mitte 2015. Laut Staatsanwältin Natalie Neuen seien einige Ermittlungsverfahren gegen den 55-Jährigen mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Nur eines wegen Betrugsverdachts gelangte zur Anklage, der Prozess steht noch aus.

Arabische Schriftzeichen an der Wand in der Wohnung

In der Wohnung von Mohammad R. fand die Polizei unter anderem Benzin, zwei Handys und arabische Schriftzeichen an einer Wand. Die Texte hätten zwar intensive Bezüge zum Islam, beinhalteten aber keine islamistischen Parolen oder ein Bekenntnis zum „Islamischen Staat“, heißt es. Während der Tat im Bahnhof hatte R. angegeben, der Terrororganisation Daesh anzugehören, eine arabische Bezeichnung für den IS.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) äußerte sich am Dienstag „sehr bestürzt“ über die Tat. Er lobte die Arbeit der Polizei, die „durch ihr konsequentes und professionelles Einschreiten Schlimmeres verhindern“ habe können. Sebastian Fiedler von der Kripogewerkschaft Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sagte, der Täter von Köln habe offenbar einen Bezug zur islamistischen Szene in NRW gehabt.

Tatsächlich hatte Mohammad R. der Polizei vor längerer Zeit einen Mann gemeldet, der angeblich nach Syrien ausreisen wollte. Die Vielzahl der von R. begangenen Straftaten sowie die Tatausführung lasse „ein Stück weit auf seine Persönlichkeit schließen“, sagte Fiedler. „Solche Typen sind uns aus der islamistischen Szene nicht fremd.“

Polizei bittet um Hinweise:

Die Kölner Polizei hat unter der Nummer 0221/229 4444 ein Hinweistelefon eingerichtet. Wer im Zusammenhang mit der Geiselnahme etwas beobachtet hat, kann sich dort melden. Die Ermittler bitten auch diejenigen um Angaben, die den Täter vor der Tat, etwa auf dem Weg zum Hauptbahnhof oder möglicherweise schon an einer Tankstelle, beobachtet haben.

Der 55 Jahre alte Geiselnehmer habe längere graue Haare und einen Dreitagebart. Er sei dunkel gekleidet und alkoholisiert gewesen und habe einen verwahrlosten Eindruck gemacht.

Wer Fotos oder Videos gemacht hat, kann diese im Internet unter nrw.hinweisportal.de hochladen. (ksta)

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