Geiselnahme in KölnWas wir wissen – neue Details zum Anschlag im Hauptbahnhof

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Das SEK beim Einsatz am Kölner Hauptbahnhof

Köln – Nach dem Brandanschlag und der Geiselnahme im Hauptbahnhof am Montag hat die Generalbundesanwaltschaft (GBA) die Ermittlungen übernommen. Die Juristen in Karlsruhe sehen „zureichende Anhaltspunkte“ für einen radikal-islamistischen Hintergrund der Tat.

Warum ermittelt jetzt der Generalbundesanwalt?

Der GBA beim Bundesgerichtshof ist auf dem Gebiet des Staatsschutzes die oberste Strafverfolgungsbehörde in Deutschland. Er ermittelt unter anderem in schwerwiegenden Straftaten, die die innere Sicherheit der Bundesrepublik betreffen – also politisch motivierte Delikte, vor allem terroristische Gewalttaten. Für eine solche sieht der GBA im Fall Mohammad A.R. einige Anhaltspunkte: So habe der Geiselnehmer behauptet, ein Mitglied des IS zu sein, er habe verlangt, zum IS nach Syrien ausreisen zu können, und er habe die Freilassung einer Frau aus einem tunesischen Gefängnis gefordert, deren Mann sich terroristisch betätigt haben soll.

Hatte Mohammad A.R. Helfer?

Darauf deutet nach bisherigem Stand nichts hin. Aber die Polizei wertet zurzeit unter anderem noch zwei Handys aus, die sie in seiner Wohnung in Neuehrenfeld gefunden hat. Geprüft wird zum Beispiel, ob sich darauf Hinweise auf Personen befinden, die einen Bezug zum islamistischen Terrorismus haben. Zu klären ist laut GBA auch, ob der 55-Jährige das Attentat als Mitglied des sogenannten Islamischen Staates oder einer anderen terroristischen Vereinigung begangen hat oder ob er vor oder während der Tat zu einem Mitglied einer Terrororganisation in Kontakt oder unter dessen Einfluss stand.

Wie geht es der Geisel, der verletzten 14-Jährigen und der dritten verletzten Frau?

Die Apothekenangestellte, die zwei Stunden in der Gewalt des Geiselnehmers war, stand laut Feuerwehr nach ihrer Befreiung schwer unter Schock, körperlich wurde sie nur leicht verletzt. Die 14-Jährige musste zweimal operiert werden, sie war im McDonald’s bei ihrer Flucht vor den Flammen in der Benzinpfütze ausgerutscht und erlitt schwere Brandverletzungen. Eine dritte Frau aus dem McDonald’s wurde mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung behandelt.

In welchem Zustand ist der Täter?

Mohammad A.R. wurde beim Zugriff der Spezialkräfte durch sechs Schüsse – davon einen in den Kopf – schwer verletzt. Nach einer stundenlangen Operation ist er inzwischen außer Lebensgefahr, liegt aber noch im Koma. Ob, wann und in welchem Zustand er wieder aufwachen wird, ist unklar.

Gibt es neue Erkenntnisse über den Täter?

Ein Kioskbesitzer in der Nachbarschaft, bei dem Mohammad A.R. Stammkunde war, berichtet, der 55-Jährige habe sich alle paar Wochen neue SIM-Karten für seine Telefone gekauft und immer wieder zahlreiche Seiten aus dem Internet ausgedruckt. Die Ermittler prüfen unter anderem auch, ob er sich im Internet über den Bau von Sprengsätzen informiert hat. Bei der Tat trug Mohammad A.R. mehrere mit Stahlkugeln gefüllte Camping-Gaskartuschen bei sich sowie Molotow-Cocktails und Behältnisse mit Benzin.

Wie lief der Zugriff der Polizei ab?

Entgegen ersten Informationen handelte es sich bei den beiden Knallgeräuschen unmittelbar vor dem Zugriff um 14.50 Uhr nicht um Blendgranaten, mit denen die Spezialkräfte den Täter ablenken wollten, sondern um Pistolenschüsse aus einer oder zwei Waffen der Spezialeinsatzkräfte. Unmittelbar vor dem Zugriff hatte Mohammad A.R. seine Geisel mit Benzin übergossen. Als er die SEK-Beamten sah, soll er das Benzin angezündet haben. Rauch stieg auf. Im nächsten Moment schossen die Polizisten ihn nieder. Nachrückende Einsatzkräfte löschten die Flammen sofort und brachten die Angestellte in Sicherheit. Sie kam laut Feuerwehrangaben ohne Brandverletzungen davon.

Im Koffer des Täters fand die Polizei Molotow-Cocktails und Benzin.

Im Koffer des Täters fand die Polizei Molotow-Cocktails und Benzin.

Warum veröffentlicht die Polizei das Überwachungsvideo, das den Brandanschlag zeigt, entgegen ursprünglicher Pläne nun doch nicht?

Weil die Generalbundesanwaltschaft das nicht will. Die Polizei hatte die einminütige Sequenz, auf der zu sehen ist, wie der Täter Benzin auf den Boden schüttet und anzündet, am Dienstag vor etwa 30 Journalisten gezeigt. Aufnahmen bei der Gelegenheit waren nicht erlaubt. Die Polizei hatte geplant, das Video im Anschluss unter Datenschutzaspekten noch weiter zu bearbeiten und es dann für die gesamte Öffentlichkeit freizugeben.

Dabei sei es nicht um eine „reißerische Darstellung“ des Geschehens gegangen, betont ein Polizeisprecher. Das Video hätte zwar die Dimension der Tat gezeigt, vor allem aber erhofften sich die Ermittler Hinweise von Zeugen, die womöglich den Täter und seine Gepäckstücke wiedererkannt hätten und Angaben hätten machen können, wo der Mann sich in den Stunden vor der Tat aufgehalten und was er gemacht hatte. Daraus wird nun nichts.

Was genau ist auf dem Video zu sehen?

Mohammad A.R. sitzt in einer hinteren Ecke neben einem Abräumwagen, holt ein Gefäß mit Benzin aus seinem Koffer und schüttet die Flüssigkeit auf den Boden. Mehrere, aber nicht alle Kunden weichen irritiert ein Stück zur Seite. Der Täter entzündet eine mit Benzin gefüllte Flasche, in der ein Docht steckt und wirft sie in die Benzinpfütze. Es gibt eine Explosion, Flammen schlagen hoch, das Licht im Café erlischt. Kunden fliehen aus dem Lokal.

Welchen Plan hat der Täter ursprünglich verfolgt?

Die Polizei geht davon aus, dass Mohammad A.R. einen Brand- und Sprengstoffanschlag „mit ganz beachtlichen Auswirkungen“ im McDonald’s begehen wollte. Denn neben Benzin und Molotow-Cocktails hatte er auch mit Stahlkugeln gefüllte Campingkartuschen dabei. Warum er sie nicht zur Explosion brachte, ist unklar. Womöglich, so vermuten die Ermittler, habe er aus der hinteren Ecke des Cafés nach und nach mehrere Brandbomben zünden wollen, wurde aber schon von der Wucht der ersten Explosion derart überrascht, dass er den Plan abbrach und in die Apotheke flüchtete.

Die dortige Geiselnahme, so vermuten die Ermittler weiter, sei nicht geplant, die Angestellte demnach ein reines Zufallsopfer gewesen.

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