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GeiselnahmenKölner Flüchtlinge werden von Menschenhändlern erpresst

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Flüchtling in Köln

Flüchtling in einer Kölner Unterkunft (Symbolbild)

Köln – Es ist immer ein Anruf einer vertrauten Nummer. Doch am Telefon wartet das Grauen: Denn nicht die Stimme des Angehörigen ist zu hören, sondern die eines Menschenhändlers, der sinngemäß droht: „Wir haben deinen Verwandten! Zahle 4000 Euro. Dann lassen wir ihn frei!“ Mit dieser perfiden Entführungsmasche erpresst eine Menschenhändler-Mafia in Libyen und Sudan hohe Summen von in Deutschland angekommenen Flüchtlingen. Ein Kölner hilft: Pfarrer Hans Mörrter (64).

Schon 20 Menschen befreite er mit Hilfe von Spenden aus den Klauen der kriminellen Menschenhändler. Und half zugleich ihren verzweifelten Angehörigen in Köln. „Es sind meist Flüchtlinge aus Eritrea, die in Köln leben, deren Verwandte sich dann hilfesuchend an mich wenden“, sagt der Pfarrer der Lutherkirche in der Kölner Südstadt. Erstmals geschah das im Frühjahr 2015. „Das war eine Entführung im Sudan. 4000 Euro sollten überwiesen werden, um die Geisel freizukaufen. Es ist in den meisten Fällen genau dieser Betrag.“ Warum? „So haben die Angehörigen eine Chance, das Geld aufzutreiben. Und die schaffen das auch, weil sie bereits eine Weile im Westen leben und Jobs haben. Wäre es ein zu hoher Betrag, sinkt die Aussicht auf baldige Bezahlung ans Entführer-Konto.“ Die Gespräche sind immer kurz, damit die Entführer nicht geortet werden können. Ist die Summe zusammengekommen, werde sie per Western Union überwiesen.

„Hans, wir haben ein Problem“, erklärt Mörtter, wie diese Gespräche mit ihm immer anfangen. „Es sind zumeist anerkannte Flüchtlinge aus Eritrea, die mich ansprechen. Bei den Menschen aus Kongo lohnt sich das für die Entführer nicht, denn die sind auf der ganzen Welt verstreut und wesentlich schlechter vernetzt.“ Der „Spiegel“ berichtet über einen 26-Jährigen, der aus Eritrea flüchtete und in Köln heimisch wurde. Er bekam 2018 eine SMS aus Libyen, in der ihm mitgeteilt wurde, man habe seinen Bruder entführt.“ Als er zurückrief, teilte ihm eine Stimme mit, er müsse 7000 Dollar zahlen. Später erfuhr er, dass sein Bruder mit 200 Leuten zusammen in einem Keller eingesperrt war, die täglich ihre Verwandten anrufen mussten. Außerdem seien sie geschlagen worden. Nach seiner Befreiung mit Hilfe des Geldes aus Köln ist das Entführungsopfer in einem Lager in Tripolis untergekommen, wo es ihm bessergehen soll.

„Jeder Cent geht direkt ans Verbrechen“

20 Fälle alleine bei Mörtter: „Das müssen weltweit Hunderttausende sein“, schätzt der Kölner Südstadt-Pfarrer. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International teilt mit, dass das Ausmaß dieser Entführungsmethode dramatisch angewachsen ist. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Die Opfer sind immer Flüchtlinge auf dem Weg zum Mittelmeer. Meistens werden sie in Libyen entführt. Mörtter: „Libyen ist die Hölle. Jeder Cent dieser Summe geht direkt ans Verbrechen.“

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Doch was geschieht, wenn das Geld nicht aufgebracht werden kann? „Die Frauen werden als Prostituierte verkauft, Kinder an pädophile Netzwerke. Oder die Opfer werden im buchstäblichen Sinne ausgeschlachtet. Organhändler entnehmen ihnen wirklich alles – bis auf die Netzhaut.“ Was den Menschenhändlern in die Finger spielt: „Jeder Flüchtling heute hat immer sein Handy dabei – ohne dies ist keine Flucht möglich, und so erhalten die Täter auch alle wichtigen Kontakte“, so der Pfarrer.

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