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Geisterzug in KölnTausende Geister und Jecke protestieren für das Klima

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Schaurige Gerippe vor dem Kölner Dom

Köln – Rhythmisch tönten die Trommeln und Schellen über den Heumarkt. Eine riesige Krake aus Plastik tanzte über den Köpfen der Demonstrierenden. „Plastik zerstört Leben“, stand auf einem Schild, das ein Aktivist um den Hals trug. Sein Gesicht schaute hinter den Fangzähnen eines Fischkopfes hervor. Umhüllt von Mengen an Plastik schwebten Geister inmitten der Masse.

Eine Blätterfee mit Lichtern im Haar schwenkte eine grüne Fahne: „Hambacher Forst bleibt! Kohleausstieg.“ Olaf der Schneemann hatte sich eine rote Nase verpasst und bat um die Rettung seiner Spezies. Trommler waren in blaue Müllsäcke gehüllt und schlagen mit ernster Miene den Takt. „Jeister för Zokunft“, das Motto des 29. Geisterzuges rückte die Politik in die erste Reihe des karnevalistischen Treibens. Aktivisten und Jecke sollten Seite an Seite marschieren - wie 1992, als alles begann.

„Der Geisterzug war von Anfang an beides – Karneval und Demonstration.“, sagt Erich Hermans, der den Protest damals initiierte. Als Ähzebär ist er seitdem Jahr für Jahr erster Mann im Zug und geht seinem Gefolge voran. An seiner Seite standen in diesem Jahr die Geister in Karnevalsuniform von „Deine Sitzung“. Sie hielten das Banner des Geisterzuges und verkündeten die Ankunft der Schar an Hexen und Gespenstern. Der Aufnäher „Make Kölsch, not War“ prangte auf ihren Uniformen. Diesen Slogan hätten der Verein Ähzebär un Ko die den Protest organisieren schon Anfang der 90er unterschrieben.

Den politisch gefärbten Geisterzug zu später Stunde gab es bereits im Mittelalter. Als im Winter 1990/91 der Karneval wegen des Zweiten Golfkrieges abgesagt wurde, setzten sich Hermans und seine Mitstreiter dafür ein, die Tradition wieder aufleben zu lassen. Demonstrierende und alternative Jecken formierten sich zum Ersatzzug und gingen am Karnevalssamstag auf die Straße. Der erste Geisterzug war ein Marsch für den Frieden und gegen Krieg.

Geisterzug erstmals als Demonstration angemeldet

In diesem Jahr meldete der Verein die Veranstaltung zum ersten Mal auch ganz offiziell als Demonstration an. Aus Überzeugung und aus praktischen Gründen. „Die Auflagen für Karnevalszüge werden stetig höher. Wir sind verpflichtet, für die Sicherheit immer mehr Ordner zu organisieren“, so Hermans. Beim Geisterzug sei aber nie klar, wer mitläuft und wie viele Menschen kommen. Zuschauer werden zu Teilnehmern und Teilnehmer zu Zuschauern, das sei schon immer so gewesen. Die Rekrutierung einzelner Verantwortung zu übernehmen ist darum schwieriger, als bei anderen Zügen. Außenstehende für die Sicherheit anzuheuern, hätte die Kasse des stets klammen Vereins Ähzebär un Ko zusätzlich belastet.

Bei einer Demonstration hingegen liegen Verantwortung und Kosten für die Sicherheit bei der Polizei. Die Beamten versagten aber unisono die Genehmigung des Geisterzuges als Protestkundgebung am Karnevalssamstag. Mit immer der gleichen Begründung: "Wenn sich zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag in Köln mehr als drei Leute treffen, dann ist das einen Karnevalsveranstaltung. Punkt. Es gibt an den Tagen keine Demonstrationen in Köln." Die Organisatoren entschieden, den Geisterzug eine Woche vorzuverlegen. Gemeldet als Demonstration, statt als Karnevalszug: „In Rodenkirchen beginnt der Straßenkarneval traditionell eine Woche früher“, so Hermans. Den Geisterzug sieht er darum auch in diesem Jahr als Teil der Karnevalszeit.

Kostüme setzen politische Signale

Gut, dass der Zug offiziell als Demo gemeldet ist und die politische Botschaft im Vordergrund steht, sagten viele am Rande des Zuges. „Das Politische ist der Ursprung des Karnevals. In den letzten Jahren ist das etwas verloren gegangen. Wenn es jetzt wieder stärker im Mittelpunkt steht, ist das gut“, sagte Peter Hillebrand, der seit Jahren zum Geisterzug kommt. Viele die mitlaufen sahen das genauso und setzen mit Kostümen und Schildern klare Botschaften. „Mer kruffe usem Jrav, wat maht Ihr met uns Ääd?“, klagten untote Hochzeitsbräute. Mahnend zogen sie einen Wagen mit Skeletten hinter sich her. Vom Heumarkt liefen der Ähzebär und seine Anhänger am Dom vorbei über die Breite Straße bis zum Friesenplatz. 

Die mehr als 2000 Teilnehmer demonstrierten gegen das Artensterben, die Kohle und die Autoindustrie. Sie dichteten Karnevalslieder um und prangerten die Wohnungsnot an, machten Musik auf Plastiktonnen mit der Aufschrift „Keine Atomkraft“ und verkleideten sich als Solarstromzellen, Eisbären und Blumenwiesen. Die politische Botschaft habe in den vergangenen Jahren nicht für alle im Vordergrund gestanden, manche wollten auch einfach nur feiern, so Hermans.

Botschaft und Spaß sind wichtig

„Blätterfee“ Mareike Schulz war beides wichtig – die Botschaft und der Spaß. In ihrem zwölften Jahr auf dem Geisterzug protestierte sie gegen die Rodung im Hambacher Forst. Mit Kölsch in der Hand und tanzend, das Protestschild in der Hand. „Hier kommen auch jüngere Leute, die Karneval sonst nicht so toll finden. Das Motto in diesem Jahr kann diese Gruppe vielleicht nochmal mehr motivieren“, sagte sie. Schulz und die Organisatoren haben Recht behalten. Der Zug war jung und „viel politischer als in den letzten Jahren“, sagt Hermans. Wegen des Datums seien die Karnevalstouristen als Teilnehmer weggefallen. Der Klima-Geisterzug war darum nicht der längste der letzten Jahre, verlief aber friedlich und ruhig.

Gerade unter den Jüngeren kamen viele ohne Verkleidung, dafür mit Protestschildern und klarer Meinung. „Kurzstreckenflüge nur für Insekten“, „Klima statt Klüngel“ und „No War“ lauteten ihre Botschaften. Als Bären und Blumen verkleidete Eltern trugen ihre Babys auf dem Rücken und protestierten mit. Der Geist des Zuges ist derselbe geblieben, auch nach fast 30 Jahren. Im Vordergrund steht das friedliche Miteinander. Am Dom warteten sitzend und stehend Hunderte, bis die Demonstration von der Trankgasse aus am Wahrzeichen vorbeikam. Mareike Schulz tanzte nochmal in grünen Blättern vorüber. Hinter ihr schlugen die Trommler weiter den Takt - für das Klima. 

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