Gigantische Herausforderung5000 Impfungen täglich: Das geschieht in der Kölner Messe

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Impfungen gegen das Coronavirus werden bald in Halle 4 der Koelnmesse durchgeführt. Weitere Zentren könnten hinzukommen.

Impfungen gegen das Coronavirus werden bald in Halle 4 der Koelnmesse durchgeführt. Weitere Zentren könnten hinzukommen.

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Köln – „Gibt es eigentlich ein anderes Wort für Impflinge?“, fragt Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung. „Das klingt so nach einer Fischsorte.“ – „Nein“, antwortet Gerhard Wiesmüller, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamts, „die heißen so.“ Besondere Situationen schaffen ein besonderes Behördenvokabular. Die Corona-Pandemie ist so eine. Und Impflinge, das sind Menschen, die geimpft werden. Aber von vorn.

Es ist der 1. Dezember, ein Bürogebäude in der Innenstadt, Etage sieben. Hier trifft sich ein vorerst zehnköpfiges Team der Kölner Stadtverwaltung. In zwei Wochen muss ein Impfzentrum stehen, ab heute ist es ihre Aufgabe, das aufzubauen. Sebastian Brandt, Chef der Feuerwehr-Leitstelle, wirft eine Folie an die Wand. Darauf zu sehen: 42 Dinge, die organisiert werden müssen, um jenes Zentrum zu errichten, in dem – wie in den kommenden Tagen klar wird – 5000 Menschen am Tag geimpft werden sollen. Logistik, Dokumentation, Impfung, Aufsicht, Sicherheit – das sind nur einige der Kategorien, von denen er spricht. Improvisation und Geschwindigkeit, daran hat man sich bei der Stadt in der Krisenbewältigung gewöhnt. Aber dieses Zentrum ist etwas anderes: eine infektionssichere Halle voller Menschen, 500 Impfungen pro Stunde, das gab es noch nie.

2,5 Millionen Spritzen für Köln

Die Runde erstarrt mit Blick auf die Folie für ein paar Sekunden, wohl wissend: Es stehen zwei Wochen Hektik bevor. „Das ist nur eine Prozessbeschreibung“, stellt Brandt klar. „Heute müssen wir nicht jedes Problem lösen. Wie auch, noch kennen wir viele von ihnen nicht einmal.“ Was aber sofort feststehen muss: ein Ort. Nachdem das Land entschieden hat, dass Köln wie jede andere Kommune nur ein Impfzentrum bekommt, ist schnell klar, dass es auf die Messe hinausläuft. Verträge sind noch nicht unterschrieben. Schiefgehen sollte formal aber eigentlich nichts, die Messe gehört in Teilen der Stadt selbst. Im Sitzungsprotokoll wird später dennoch vermerkt: „In dieser Besprechung wurde ein Alternativstandort nicht thematisiert.“

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Als nächstes muss entschieden werden: Modell Freiburg oder Modell Oberhausen? Es ist die Frage, ob es eine „Massenaufklärung“ per Video (Freiburg) oder persönliche Gespräche zu möglichen Risiken einer Impfung (Oberhausen) geben soll. Das bestimmt maßgeblich, wie die „Impfstraße“, die räumliche Organisation, am Ende aussieht. Wiesmüller ist die erste Variante lieber. In den kommenden Sitzungen entsteht auf Vorschlag von Brandt eine Mischform: Aufklärungs-Videos für alle. Und wer darüber hinaus noch Fragen hat, kann sich persönlich mit einem Arzt unterhalten. Die großen organisatorischen Herausforderungen sind andere. 2,5 Millionen Spritzen müssen beschafft, hunderte Mitarbeiter gefunden werden.

Zweite Sitzung, Videokonferenz. Daniel Heu von der Feuerwehr verhandelt mit der Messe, sagt: „Die sind sehr kooperativ.“ – „Wir müssen die Infrastruktur haben, bevor der Impfstoff da ist“, stellt Wiesmüller klar. Er moderiert, ist aber mit Handy aus dem Auto zugeschaltet. Anders geht es nicht, auch am Freitagabend hetzt er in diesen Tagen von Termin zu Termin.

Welchen Impfstoff bekommt Köln überhaupt? „Wenn es der Impfstoff von Zenaca wird, brauchen wir einen Kühlschrank. Für Moderna eine Tiefkühllagerung, für Biontech eine klinisch reine Herstellung“, sagt Wiesmüller. Am 7. Dezember ist klar: Es wird Biontech. „Wir gehen von einer täglichen Impfstoff-Belieferung aus“, sagt Apothekerin Simone Schmidt.

Nach der biologischen Aktivierung in den Apotheken kann das Mittel sechs Stunden lang in Kühlschränken gelagert werden. 5000 Impfstoff-Dosen am Tag – „das sind ungefähr 15 Pizzakartons“, stellt Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamtes, trocken fest. Nur ist der Inhalt deutlich verletzlicher als ein Stapel Margheritas und verlangt einen speziellen Transport. Ist der Impfstoff in die Spritze gefüllt, verliert er nach 15 Minuten seine Wirkung. Die Abläufe müssen reibungslos funktionieren.

Kölner Kliniken bekommen Impfstoff direkt

Auch die Bewohner von Seniorenheimen sollen bald geimpft werden. Das passiert direkt vor Ort, die Kassenärzte wollen helfen. „Wir haben die Heime acht Mal durchgetestet, die Logistik ist schon internalisiert“, sagt Nießen. Unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen soll der Impfstoff dorthin gebracht werden. Die Kliniken bekommen den Impfstoff direkt – eine Sorge weniger.

9. Dezember, Videokonferenz. Professor Wiesmüller moderiert vor der heimischen Bücherwand. Noch immer gibt es keinen Vertrag. Klar ist aber schon: In zwei Vier-Stunden-Schichten pro Tag soll geimpft werden, 25 Ärzte sind immer vor Ort: 16 zum Impfen, acht für die Aufsicht, einer leitet an. Die Kabinen stehen zunächst in Halle 4, ab März in der baugleichen Halle 9. Bis Ende Juli kann die Messe mindestens genutzt werden, sobald der Vertrag unterschrieben ist. Die Suche nach einem Raum zum Aufziehen der Spritzen läuft noch.

Möglichst nah an den Impflingen soll er sein, klinisch rein und nicht zu groß. Der Plan: Mitarbeiter impfen sich gegenseitig, bevor die ersten Gäste dran sind. Das Check-In- und Sicherheitspersonal stellt die Messe. Zehn flughafenähnliche „Counter“ wird es geben. In jeder Schicht werden 135 Menschen den Betrieb fahren, sobald er läuft, hunderte Mitarbeiter der Stadt stehen auf Abruf zur Verfügung. Der Impfstoff wird in Abstimmung mit der Polizei bewacht. Kassenärzte haben das gesamte Impfmaterial beschafft und ein Callcenter eingerichtet, um Termine zu vergeben, ihr Vorsitzender Jürgen Zastrow lobt die „außergewöhnlich gute Zusammenarbeit“ aller Beteiligten.

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Dann die letzten Details, die Runde denkt kurz über einen Aufenthaltsbereich zum Essen und Trinken nach, die Idee wird aber sofort wieder verworfen. Irgendwie logisch, „das soll ja kein Superspreading-Event werden“, sagt Brandt. Wiesmüller hat „keine allzu großen Sorgen“, dass sich Stadt und Messe nicht einig werden. Das käme auch einer Katastrophe gleich, aber am Freitag ist es dann so weit: Der Krisenstab der Stadt stimmt dem Vertrag zu. Der geplante Umbau wird über das Wochenende Realität. Noch fehlt der Impfstoff, aber eine EU-Zulassung im Laufe des Dezembers ist wahrscheinlich. Köln wäre bereit.

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