Großes Talent für Karate – und die Integration

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Nippes –  Eine kurze Verbeugung, die Trainingspartner sehen sich in die Augen, dann der Ruf der Trainerin. Den ersten Angriff mit der Hand abwehren, einen Tritt in die Kniekehle und einen Schlag auf den Hinterkopf, der Gegner ist besiegt. Beide verharren kurz, die Anspannung löst sich, zurück in die Ausgangsposition und die Übung beginnt von vorn. Was ein wenig aussieht wie martialisches Kampfkunst-Training, ist in Wahrheit ein Sport, der extreme Präzision und Konzentration erfordert. Dann kann sich jeder sicher sein, in den Übungseinheiten nicht tatsächlich verletzt zu werden, und auch um diese Kontrolliertheit geht es beim Karate; Bewegungen werden knapp vor dem Körper des Partners abgestoppt.

Man sieht Thaer Jafar an, dass er diese Prinzipien verinnerlicht hat. Keine seiner Bewegungen wirkt zufällig. Schläge, Tritte, Sprünge, alles ist exakt platziert. In seinem weißen Anzug mit schwarzem Gurt trainiert er mit etwa zwölf anderen Mitgliedern des „Ju Kengo“-Karatevereins in Nippes. Männer und Frauen trainieren am Freitagabend gemeinsam, Anfänger und erfahrene Sportler stehen zusammen in der Sporthalle einer Schule. Der 35-jährige Syrer gehört hier dazu, macht Witze mit den anderen. Er ist einer von 140 Mitgliedern, dabei ist seine Geschichte alles andere als gewöhnlich.

Vor gut zwei Jahren muss Jafar vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland fliehen, im Frühjahr 2016 kommt er nach Köln. Er ist allein, die Familie muss er zurücklassen, seine Frau bleibt mit den beiden Kindern zunächst in Syrien. In einer notdürftig eingerichteten Kölner Sporthalle lebt er zusammen mit 300 anderen Geflüchteten. Besonders die Sanitäranlagen seien schlecht gewesen, sagt Jafar.

Karate macht er seit 22 Jahren, in Syrien gehöre die Kampfkunst zu den beliebtesten Sportarten. Jafar erzählt davon, wie er mehrfach Landesmeister wurde, als Trainer arbeitete und erfolgreich an internationalen Meisterschaften im arabischen Raum teilnahm. Doch als der Bürgerkrieg im Jahr 2012 ausbricht, muss Jafar mit dem Training aufhören. Nicht etwa, weil er sich nicht mehr für Karate interessiert, sondern um zu überleben. Das Haus seiner Familie wird bei den Kämpfen zerstört, Jafar hat mehrere Jobs, betreibt unter anderem ein Modegeschäft, um über die Runden zu kommen.

In Köln sucht er nach einer Möglichkeit, seinen Sport ausüben zu können. Viel Deutsch spricht er damals nicht, „aber das ging schon, Karate hat seine eigene Sprache“, berichtet er. Über eine Flüchtlingshelferin kommt er mit dem Nippeser Verein in Kontakt, beim ersten Besuch wird ihm ein Anzug in die Hand gedrückt, er trainiert mit. Dabei verhält er sich erst vorsichtig, ist unsicher, wie die anderen auf ihn reagieren werden. Doch Jafar merkt schnell, dass er hier dazugehören kann. „Die Leute waren besonders freundlich zu mir und haben mich zum Weitermachen ermutigt“, erinnert er sich. Denn obwohl er seinen Sport zurück hat, werden die anderen Probleme nicht kleiner. Die Familie ist weit weg in Syrien und auch das Leben in der Flüchtlingsunterkunft ist alles andere als einfach.

Über eine Freundin aus dem Verein „Ju Kengo“ findet Jafar eine Wohnung, der Kontakt zu den Mitgliedern hilft ihm in vielen Bereichen. Das liege nicht zuletzt am eigenen Anspruch des Vereins, sagt Oliver Rüther, einer der Karate-Trainer. „Wir machen hier nicht nur Sport, wir sehen uns auch außerhalb häufig.“ Der soziale Gedanke stehe im Vordergrund, gegenseitige Hilfe und Unterstützung sei selbstverständlich.

Obwohl die Sportler des Vereins eigentlich nicht an Turnieren teilnehmen, unterstützen sie Jafar bei seinen Wettkampf-Plänen. „Wir wollten ihm helfen, mussten uns da aber auch erstmal orientieren“, erzählt Rüther. Denn das System mit verschiedenen Alters-, Leistungs- und Gewichtsklassen ist nicht leicht zu durchschauen. Trotzdem tritt Jafar bald bei seinem ersten Wettkampf an, nach verschiedenen regionalen Meisterschaften reist er 2018 nach Ilsenburg im Harz zu den Deutschen Meisterschaften. Er wird Dritter in seiner Altersklasse, ein großer Erfolg für ihn und seinen Verein. „Besser geht es trotzdem, beim nächsten Mal will ich mehr“, sagt Jafar dennoch.

Am Wettkampf-Kalender für dieses Jahr arbeiten Rüther und Jafar bereits, einige Meisterschaften in NRW sind fest eingeplant. Inzwischen lebt auch die Familie des Syrers in Köln. Seine ältere Tochter dolmetscht in der Schule schon für ihre Eltern, innerhalb weniger Monate hat sie die Sprache gelernt. Auch Jafar besucht Sprach- und Integrationskurse, denn sein Ziel ist klar: „Ich will Deutscher werden.“ Für ihn ist die Staatsbürgerschaft der logische Schritt, um sich in Köln ein neues Leben aufzubauen. Obwohl sein Leben aktuell „wechselhaft und nicht gerade einfach“ sei, will Jafar dem Verein etwas zurückgeben: „Für all die Hilfe, die ich bekommen habe.“

Thaer Jafar

ANFÄNGERKURS

Der „Ju Kengo“-Karateverein bietet aktuell einen Anfängerkurs an. Montags um 19 Uhr und mittwochs um 20.20 Uhr können Interessierte am Training in der Sporthalle Blücherstraße teilnehmen. Weitere Informationen gibt es im Internet.

www.jukengo.de

Thaer Jafar Foto: Timm Seckel

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