Grüne Kölner Innenstadt„Was hier abgeht, hat bundesweite Bedeutung“

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Bezirksbürgermeister Andreas Hupke (hinten rechts) jubelt mit Parteifreunden im Biergarten am Aachener Weiher

Bezirksbürgermeister Andreas Hupke (hinten rechts) jubelt mit Parteifreunden im Biergarten am Aachener Weiher

  • Die Kölner Grünen holen bei der Wahl zur Bezirksvertretung ein Rekordergebnis – mit 30 Prozent Vorsprung.
  • SPD und CDU werden bei der Suche nach Mehrheiten nicht mehr gebraucht.
  • Bezirksbürgermeister Andreas Hupke spricht von "historischen Dimensionen".

Köln – Eigentlich sind solche Ergebnisse in einer sich immer mehr zersplitternden Parteienlandschaft nicht mehr denkbar: Fast 45 Prozent für eine Partei und 30 Prozentpunkte Vorsprung vor der Zweitplatzierten – das gibt es noch nicht einmal in einer CSU-geführten bayrischen Stadt. Wohl aber in der Kölner Innenstadt.

Bei der Stadtratswahl gewannen die Grünen alle sechs Wahlbezirke und zogen mit deutlichem Vorsprung an SPD und CDU vorbei. Bei der Wahl zur Bezirksvertretung legten sie noch einen drauf. 44,3 Prozent wählten die Volkspartei, die keine sein will. Das waren noch einmal rund elf Prozentpunkte mehr als bei der Ratswahl. „Das ist eine neue historische Dimension für die Grünen“, resümierte der grüne Bezirksbürgermeister Andreas Hupke am Tag nach der Wahl mit Blick auf das Wahlergebnis im Allgemeinen und das im Stadtbezirk im Besonderen.

SPD und CDU zu Zwergen geschrumpft

Hupke ist schon lange im Amt. Aber jetzt ist seine Partei in der Bezirksvertretung so stark, dass sie eigentlich niemanden mehr als Partner braucht. SPD und CDU sind in der BV zu Zwergen geworden. Linke, Klimafreunde, FDP und „Die Partei“ sorgen für eine bunte Zusammensetzung. Irgendeine der sechs Gruppen wird sich finden, wenn die Grünen ansagen, in welche Richtung sich die Innenstadt weiter entwickeln soll. „Die haben die volle Auswahl“, sagt der frustrierte stellvertretende Bezirksbürgermeister Tim Cremer von der SPD. „Dass es schwer wird, wussten wir, aber mit so einem Ergebnis haben wir nicht gerechnet.“

Die Grünen haben bereits in den vergangenen Jahren ohne ein festes Bündnis mit wechselnden Mehrheiten den Ton angegeben. Neu ist nun, dass sie sich dafür überhaupt nicht mehr um SPD und CDU scheren müssen. Es gibt gleich mehrere Alternativen: Alles, was mit dem Thema Verkehr zu tun hat, wird sich mit den Linken, den Klimafreunden und vielleicht auch mit der Partei „Die Partei“ machen lassen. Die 2004 von der Redaktion des Satire-Magazins „Titanic“ gegründete Partei wird auch bei sozialen und kulturellen Themen nah bei den vielen Vertretern des links-grünen Spektrums sein.

Bei der Wahl zur Bezirksvertretung Innenstadt zeigte sich wie bei allen anderen Wahlen vom Sonntag: Die recht vielfältige Konkurrenz für die Grünen durch kleinere Gruppen mit ähnlichen Themen konnte ihren Durchmarsch nicht behindern. Auch die Linke hatte versucht, ihnen mit Klima- und Verkehrsthemen Wähler abspenstig zu machen.

"Entweder er schwimmt oder er säuft ab"

„Wir haben jetzt einen eindeutigen Auftrag“, so Hupke. „Die Verantwortung aber auch die Bürde wird größer. Das fordert uns alle heraus.“ Die Situation sei vergleichbar mit jemandem, der ohne Vorwarnung ins kalte Wasser geworfen werde. „Entweder er schwimmt oder er säuft ab. Was hier abgehen wird, hat bundesweite Bedeutung.“

Er sieht die Chance, dass sich vieles grundlegend verändern kann. Auf Bezirksebene ließe sich mit wechselnden Mehrheiten arbeiten, auf der Ebene des Stadtrats könne er sich das aber nicht vorstellen. Die Grünen stünden vor schwierigen innerparteilichen Entscheidungen, wenn es darum geht, mit wem man zusammenarbeiten werde. „Es wird knirschen“, sagt Hupke auf die Frage, ob im Stadtrat das Bündnis mit der CDU fortgesetzt werden sollte. „Man muss mit allen reden. Der Auftrag steht klar in Richtung Veränderung.“

Hoffnung auf mehr Einfluss für die Bezirke

Nach dieser Wahl wird der alte grüne Linke nicht mehr der einzige Bezirksbürgermeister in Köln sein. Fünf bis sechs Kollegen und Kolleginnen aus den Reihen der Grünen könnten dazukommen. Damit verbinde sich die Hoffnung, dass der Einfluss der Bezirke im politischen Entscheidungsprozess deutlich wachse.

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Veränderungen werden auch die Grünen selbst erleben, denn in allen Gremien kommen neue Leute dazu – zum Teil gänzlich unerfahren, zum Teil aber auch mit neuen Kompetenzen. Zur neuen Fraktion in der Bezirksvertretung Innenstadt gehört Mildred Utku, die ehrenamtlich im Ernährungsrat der Stadt und als Sprecherin des Projekts „Essbare Stadt“ arbeitet. Mit dabei ist auch Martin Herrndorf, der vielen als einer der Köpfe der Initiative „Tag des guten Lebens“ bekannt ist. Er berät Unternehmen aus dem sozialen Bereich.

CDU: "Keine Schockstarre"

Während die Grünen vor Kraft strotzen, lecken SPD und CDU ihre Wunden. Am Einsatz im Wahlkampf – da sind sich nicht nur die Parteien und Beobachter einig – hat es nicht gelegen. Doch mit Präsenz auf Straßen und Plätzen in den Wochen bis zur Wahl lassen sich kein bundesweiter Trend brechen oder ein Umgang mit den Folgen der grundlegenden Veränderung der Bevölkerungsstruktur in der Innenstadt finden. „Wir haben es in den vergangenen sechs Jahren nicht geschafft, grünes Potenzial auf unsere Seite zu holen“, sagt Tim Cremer von der SPD. Die Themen Klimawandel und Grünpolitik seien in der Innenstadt Top-Themen. „Friday for future hat dann noch einen draufgesetzt.“ Es wäre mehr für die SPD drin gewesen, glaubt er. „Nun müssen die Grünen zeigen, dass sie auch für die Menschen mit kleinerem Portemonnaie da sind.“

Auch die CDU müsse sich stärker um die Themen kümmern, mit denen die Grünen Wähler gewinnen, sagt Günter Leitner, der wie Cremer noch stellvertretender Bezirksbürgermeister ist. Doch das heiße nicht, sich anzubiedern, sondern sich kritisch mit den Themen auseinanderzusetzen und auch mal dagegen zu halten. „Es gibt mehr als die Monothematik des Radverkehrs", so der CDU-Politiker. Die CDU verfalle nun nicht in Schockstarre. „Wir wollen weiter mitgestalten.“

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