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Grünen-Abgeordnete„Wir wollen in Köln eine einladende Politik, ohne harte Grenzen“

Lesezeit 6 Minuten
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Die Grünen-Abgeordneten Katharina Dröge und Sven Lehmann

  • Katharina Dröge und Sven Lehmann wollen für die Grünen wieder in den Bundestag – mit einem ehrgeizigen Ziel.
  • In der Kölner Stadtpolitik wollen die Grünen nach ihrem Erfolg bei der Kommunalwahl eine neue Kultur etablieren.
  • Das derzeitige Chaos in Bezug auf die Corona-Regelungen sehen sie durch Versäumnisse verursacht.

Frau Dröge, Herr Lehmann, Sie wollen zur Bundestagswahl wieder antreten, welches Ergebnis erwarten Sie? Sven Lehmann: Wir machen unserer Partei und den Wählerinnen und Wählern das Angebot, auch im nächsten Bundestag für die Kölner und die ökologisch-sozialen Anliegen zu arbeiten. Die Kommunalwahl, bei der die Grünen erstmals stärkste Kraft in der Stadt geworden sind, hat uns bestärkt. Wir wollen im nächsten Jahr erstmals unsere Bundestagswahlkreise direkt gewinnen.

Katharina Dröge: Aus unserer Sicht ist es an der Zeit, dass Köln mal Grüne-Abgeordnete direkt in den Bundestag schickt. Sowohl bei der Europawahl als auch bei der Kommunalwahl sind wir Grünen in meinem Wahlkreis erste geworden. Das bestärkt mich, darum zu kämpfen, dass ich mit einer ökologischen und sozialen Politik Ehrenfeld, Nippes und Chorweiler künftig direkt vertrete.

Werden die Grünen zu einer Volkspartei? In dem Sinne, dass sie allen Bevölkerungsteilen als Partei attraktiv erscheinen wollen, nicht nur einer bestimmten von Umweltthemen bewegten Gruppe?

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Lehmann: Die Grünen machen keine Politik für eine bestimmte Klientel. Als Sozialpolitiker kann ich zum Beispiel bei Corona sehr konkret sagen: Alle Menschen sind betroffen, aber nicht alle gleich hart. Diejenigen mit den kleinsten Wohnungen, diejenigen mit dem kleinsten Einkommen oder diejenigen, die vielleicht gar keine Wohnung haben, sind besonders hart getroffen. Die SPD hat es noch nicht einmal geschafft, erwachsenen Menschen, die in Armut leben, während der Corona-Krise einen Cent mehr zu geben.

Dröge: Das Konzept Volkspartei ist überholt. CDU und SPD werden auch deshalb weniger gewählt, weil sie alle Positionen, auch widersprüchliche, vertreten wollen. Wir sind überzeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger Klarheit in den Inhalten wollen. Wir sind eine Bündnispartei, weil wir in die Gesellschaft hinein mit allen Bevölkerungsgruppen Bündnisse für eine andere Politik schließen wollen.

Wie könnten solche Bündnisse aussehen? Ist die CDU ein interessanter Partner?

Dröge: Wir befinden uns im entscheidenden Jahrzehnt im Kampf gegen die Klimakrise. In den nächsten vier Jahren müssen die Weichen gestellt werden, um die Wende hinzukriegen. Da werden wir alle demokratischen Parteien zu Gesprächen einladen, ob sie bereit sind, diesen Weg mit uns zu gehen. Und natürlich wollen wir so stark sein, dass wir der entscheidende Player auf Bundesebene sind.

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Sie wollen bei der Bundestagswahl stärkste Partei werden?

Lehmann: Wir machen der Union eine klare Ansage: Wir bewerben uns als Nummer Eins im nächsten Bundestag. Man kann den Wahlkampf 2021 auf die Formel bringen: Weiter so mit Union und SPD oder Aufbruch für Klimaschutz und Gerechtigkeit mit starken Grünen?

Dröge: Wir wissen, dass CDU und SPD, also die beiden anderen großen Parteien, nicht so überzeugt von mehr Klimaschutz und einer nachhaltigen Verkehrspolitik sind. Da werden wir hart verhandeln.

Aber Sie werden ja mindestens einen der beiden als Bündnispartner brauchen.

Lehmann: Interessanterweise denkt man bei Bündnissen immer zuerst an eine Koalition. Aber Bündnisse fangen viel früher an. Wir zum Beispiel setzen sehr stark auf Bündnisse mit der Klimabewegung, aber auch auf Bündnisse mit den Gewerkschaften und Sozialverbänden, mit Kirchen und Initiativen für Menschenrechte.

Dröge: Es ist eben auch ein Teil unseres Bündnisgedankens, dass wir versuchen in allen gesellschaftlichen Gruppen diesen Drive zu erzeugen, denn nur im Parlament alleine wird dieser Wandel nicht passieren.

Jetzt stehen die Grünen mit ihren Themen nicht mehr so ganz alleine dar. Die Bewegung Volt macht Ihnen Konkurrenz, im Stadtrat gibt es die Wählergruppe Klimafreunde. 

Lehmann: Das Klimathema ist so existenziell für unsere Zukunft, dass es auch gut ist, wenn wir Grüne herausgefordert werden. Wenn sich das Pro-Klima-Lager aber zersplittert, lacht sich am Schluss die CDU/CSU ins Fäustchen, und dann geht es so weiter wie bisher.

Dröge: Es gibt sicherlich immer wieder das Bedürfnis nach neuen Parteien, was man ja auch an den Piraten gesehen hat. Ob die dann auch lange Bestand haben, hängt von vielen Faktoren ab.

Ist es wichtig für die Grünen, mit einem eigenen Kanzlerkandidaten anzutreten?

Dröge: Wir sind ja in der sehr guten Situation, dass wir mit Annalena Baerbock und Robert Habeck zwei Persönlichkeiten haben, denen wir es zutrauen, und das wird uns so von den Wählerinnen und Wählern ja auch bestätigt. Egal wer von den beiden es macht, die Person wird uns im Wahlkampf ziehen, da bin ich sicher.

Nach Ihrem Erfolg bei der Kommunalwahl erwarten viele sicher, dass Ihre Ziele im Stadtbild sichtbar werden. Mit Blick auf die Bundestagswahl müssten Sie Interesse daran haben, dass es schnell geht.

Lehmann: Diese Erwartungshaltung ist total berechtigt. Manches kann tatsächlich schnell gehen, zum Beispiel die nächsten Pop-up-Fahrradspuren aufzumachen oder bestimmte Straßen wie die Ehrenstraße, die Breite Straße oder die Schaafenstraße autofrei zu machen. Die Wählerinnen und Wähler wollen sehen, dass sich der Politik-Wechsel auch im Stadtbild sichtbar auswirkt. Alles andere erzeugt Politikverdrossenheit.

In Köln sind die Grünen als stärkste Partei im Rathaus diejenigen, die andere zu Gesprächen über Bündnisse einladen. Wie bewerten Sie die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der SPD, in der es unmittelbar nach der Kommunalwahl wieder Streit gab?

Lehmann: Es ist schon hilfreich, wenn man weiß, dass eine Partei mit einer Stimme spricht.

Dröge: Wir beide nehmen an den Sondierungen teil. Da geht es auch um die Frage, wie geschlossen die jeweilige Partei ist.

Lehmann: Wir wollen im neuen Stadtrat, in dem es ja viele Gruppierungen gibt, eine neue Kultur etablieren. Also eine eher einladende Politik, ohne harte Grenzen. In dem Sinne verstanden, dass die jeweilige Mehrheit nicht grundsätzlich alles ablehnt, was aus der Opposition kommt. Bei bestimmten Themen bieten wir anderen an, möglichst breite Mehrheiten herzustellen. Ausnahme sind selbstverständlich die Rechtsextremen von der AfD.

Wenn Sie das ernst meinen, reicht es nicht aus, andere Fraktionen kurz vor der Ratssitzung zu fragen, ob sie sich einem von den Grünen vorgelegten Antrag schnell noch anschließen wollen.

Lehmann: Nein. Es wird kein Friss- oder-Stirb geben.

Dröge: Das haben wir in der Vergangenheit zu oft selber erlebt, dass so mit uns umgegangen wurde. Wir wollen von Anfang an mit allen Demokraten über wichtige Entscheidungen sprechen. Klar, das wird dann mehr Arbeit sein.

Wie bewerten Sie das Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung?

Lehmann: Ich halte es für richtig, dass sehr früh und deutlich reagiert worden ist. Viele Länder in Europa und darüber hinaus beneiden uns darum, wie konsequent und gut Deutschland bislang durch die Krise gekommen ist. Bei den Lockerungen sind dann aber Fehler passiert.

Welche?

Lehmann: Zum Beispiel, dass Schwarz-Gelb in NRW die Möbelhäuser als erstes wieder öffnet, aber keinen Plan hatte, wie man in Kitas und Schulen den Betrieb wieder schrittweise ermöglicht. Dabei muss der Fokus vor allem darauf liegen, dass Kinder am wenigsten zu leiden haben unter dieser Krise.

Dröge: Ich habe mich gefragt, was die Bundesregierung den Sommer über getan hat, um einen besseren Plan für den Herbst zu haben. Das Chaos, das wir jetzt erleben in der Abstimmung zwischen den Bundesländern über innerdeutsche Reisebeschränkungen, wirft Zweifel an einer vorausschauenden Strategie auf.  

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