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Gruselige GeschichteDer Tote, der ins Fundament des Kölner Doms eingemauert wurde

Lesezeit 4 Minuten
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Die Marmortafel im nördlichen Seitenschiff, die an Emundus von Friesheim erinnert.

  • Den Dom kennt jeder. Aber wie gut kennen sich die Kölnerinnen und Kölner wirklich aus in „ihrer“ Kathedrale?
  • Jede Woche haben wir für Sie eine neue Geschichte vom Dom – erzählt von einer, für die er eine Art zweites Zuhause ist: Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner.
  • In dieser Folge geht es um einen großzügigen Stifter, der ins Fundament eines Dompfeilers eingemauert wurde.

Köln – Wenn Sie mich nach Schauergeschichten vom Dom fragen, dann gibt es eine, die es ohne Weiteres mit Edgar Allen Poe aufnehmen könnte. Sie handelt von dem Mann, der ins Fundament eines Dompfeilers eingemauert wurde. Sein Name: Emundus von Friesheim. Er war ein Edelmann des 9. Jahrhunderts.

Zeitgenössische Geschichtsschreiber erwähnen ihn als königlichen Sendboten. In einem Verzeichnis der Dombibliothek wird er als Vorbesitzer eines wertvollen Buches genannt. Vor allem führt ihn das Schenkungsverzeichnis des Erzbistums als großzügigen Stifter: Bei seinem Tod vermachte er dem Dom Ländereien im Kölner Westen. Außerdem setzte er eine schöne Summe Geldes aus für ein Gedenkmahl mit Brot und Wein, zu dem sich die Domherren einmal jährlich am 16. November an seiner Grabstätte in der Vorhalle des alten karolingischen Doms versammeln sollten.

Tafel aus weißem Marmor erinnert an den Toten

Bis heute erinnert im Dom eine Tafel aus weißem Marmor an der vierten Säule links – vom Eingang aus gesehen – an ihn. Die lateinische Inschrift in deutscher Übersetzung:

Berühmt war ich einst,

Alles zum Thema Barbara Schock-Werner

Graf Emundus wurde

ich genannt

Hier wurde ich

nach meinem Tode

niedergelegt unter

diesem Dach,

wie ich gewollt.

Meine Grafschaft Friesheim

trage ich dir an,

heiliger Petrus,

und gebe du mir dafür

eine himmlische Statt,

so bitte ich dich.

Dieser Haufen Steine

birgt die Gebeine des Grafen.

So weit, so gut – und so undramatisch. Scheinbar gruselig wird die Geschichte erst beim Bau des gotischen Doms im 15. Jahrhundert. Dem architektonischen Grundriss folgend, sollte ein Pfeiler der Nordseite exakt an der Stelle zu stehen kommen, an der sich das Grab des Emundus befand. Dieses wurde nun nicht etwa versetzt, sondern verschwand in den Pfeilerfundamenten: Emundus, damals schon 600 Jahre tot, war fortan im Dom eingemauert.

Finstere Spekulationen über ein Menschenopfer

Dass daraus finstere Spekulationen über ein Menschenopfer beim Dombau wurden, das ist schon ziemlicher Schwachsinn. Zumal die kirchlichen Bauherren sich dieses grausigen Aktes auch noch in aller Öffentlichkeit gerühmt hätten: Der letzte Satz der Inschrift, der die „Gebeine im Haufen Steine“ erwähnt, wurde nämlich an die ursprüngliche Fassung angehängt und kam mit dieser auf eine im Dom angebrachte Gedenktafel aus Bronze.

Der Kölner Historiograph Gelenius (1595 bis 1656) erwähnt sie in seinem berühmten Buch „Von der bewundernswürdigen heiligen und bürgerlichen Größe Kölns“. Weiter berichtet Gelenius, dass die Domküster zum Jahrgedächtnis des Grafen Kerzenleuchter an der Säule mit der Tafel aufzustellen pflegten. Das leichtgläubige Volk habe deshalb „ebenso harmlos wie falsch“ angenommen, dass in dem Pfeiler ein Baumeister begraben sei. Hier haben wir, könnte man sagen, die erste Stufe der Legendenbildung vor uns, auf die dann der Menschenopfer-Unsinn aufbaute.

Bronzetafel durch Marmortafel ersetzt

Irgendwann vor 1771 wurde die Bronzetafel im Dom gestohlen, oder sie fiel herunter. Jedenfalls ersetzte man sie durch die bis heute vorhandene Marmortafel. Den schönen Brauch mit den Kerzen am Pfeilersockel hat mein Nachfolger Peter Füssenich zusammen mit den Domküstern wieder aufleben lassen. Es ist ja schon etwas Besonderes, eines Toten auch noch nach fast 1200 Jahren zu gedenken.

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Das passiert übrigens seit einigen Jahren auch wieder beim sogenannten „Convivium rufum“, dem „roten Gastmahl“. Seinen Namen hat es von der roten Gewandung der Domherren, die sich auf den Wunsch des Emundus von Friesheim alljährlich an seiner Grabstätte versammeln sollten. Heute sind auch Vertreter des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), Denkmalpfleger, Archäologen und Historiker dabei, ebenso wie Dombaumeister, Domarchivar und Dombibliothekar. Die anwesenden Mitglieder des Domkapitels kommen zwar im heute üblichen Schwarz. Dafür tragen die anderen Herren rote Krawatte, die Damen rote Bluse, roten Blazer oder rotes Kleid – passend zum Titel des Events.

Fantasiegeburten oder Folgen des „Stille Post“-Prinzips

Gemeinsam lassen sie die alte Tradition aufleben und erheben ihr Glas auf Emundus von Friesheim. Dessen Stiftung für Wein und Brot freilich ist längst aufgebraucht, so dass die Zeche abwechselnd vom Domkapitel und vom LVR bezahlt wird. Stellen Sie sich das aber bitte nicht zu üppig vor! Ein bisschen mehr als Brot und Wein gibt es schon. Doch alle Vorstellungen eines Gelages, die mir gelegentlich zu Ohren gekommen sind, sind auch schon wieder Fantasiegeburten oder Folge des „Stille Post“-Prinzips.

Wenn ich bei Führungen in den Domgrabungen an die Stelle komme, an der Emundus begraben liegt, dann verbinde ich die Geschichte vom Convivium rufum gern mit der Bemerkung: „Daran können Sie sehen: Wenn Sie dem Dom etwas schenken, dann denkt man noch nach 1000 Jahren an Sie.“ Wer weiß, ob das den einen oder die anderen nicht tatsächlich zu einer großzügigen Gabe ermuntert. Die Sterne im Pflaster rund um den Dom zur Erinnerung an dessen Wohltäter haben jedenfalls auch das Zeug, Generationen zu überdauern.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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