Güler in der KritikMuezzin-Ruf „ein Zeichen der Normalisierung und des Respekts“

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt (3)

Lamya Kaddor

Köln – In der Diskussion über Muezzin-Rufe in Kölner Moscheegemeinden hat sich die NRW-Staatssekretärin für Integration, Serap Güler (CDU), gegen eine entsprechende Erlaubnis der Stadt Köln gewandt und damit ihrerseits Kritik ausgelöst.

Wie viele Muslime sehe sie den Muezzin-Ruf nicht als zwingend für ihre persönliche Religionsfreiheit an, sagte Güler der „Bild“-Zeitung. Die aktuelle Debatte nannte sie „nicht hilfreich für das gesellschaftliche Miteinander.“

Lamya Kaddor widerspricht NRW-Staatssekretärin Güler

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor, Mitgründerin des Liberal-Islamischen Bunds (LIB), widersprach Güler. Den Muezzin-Ruf zu erlauben, sei „ein Zeichen der Normalisierung, der Zugehörigkeit und des Respekts in Richtung der Muslime in Deutschland“, sagte Kaddor dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Alles zum Thema Henriette Reker

Es gehe auch nicht darum, was die Staatssekretärin als zwingend für ihre Religionsfreiheit ansehe. „Ich kann die Aufregung, die mir insgesamt arg inszeniert vorkommt, nicht verstehen“, fügte Kaddor hinzu. „Wenn der Muezzin-Ruf in Köln mit seiner offenen Stadtgesellschaft nicht möglich sein sollte, wo denn dann?“ Zudem werde er andernorts längst praktiziert.

Zeichen des Willkommens an Muslime

Ähnlich äußerte sich die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur. Die Entscheidung der Stadt könne von Musliminnen und Muslimen in Köln, denen der Muezzin-Ruf etwas bedeutet, „als Zeichen des Willkommens und des Angekommen seins gedeutet werden“, sagte die Kölner Professorin. Wenn man ihnen das Gefühl gebe, angenommen zu werden, trage das zu einer positiven Grundhaltung gegenüber einem Umfeld bei, das ihnen oft genug das Gefühl gibt, nicht dazu zugehören, etwa weil sie einer Religion angehören, die angeblich »nicht hierhin passt«.

OB Reker verteidigt Projekt

Auch OB Henriette Reker verteidigte das auf zunächst zwei Jahre befristete städtische Modellprojekt, das Moscheegemeinden auf Antrag den Ruf des Muezzins zu den Gebetszeiten gestattet. Es sei nicht ihre Aufgabe, religiöse Botschaften – egal welchen Glaubens – zu bewerten, geschweige denn zu verbieten.

Amirpur rief dazu auf, die Sorgen und Bedenken von Anwohnern etwa wegen der Lautstärke oder eines „Fremdheitseffekts“ in Bürgeranhörungen zu thematisieren.

Bekenntnis zum Rechtsstaat verlangt

Kaddor als Vertreterin der liberalen Muslime sagte einschränkend, der Muezzin-Ruf sollte nur solchen Moscheegemeinden gestattet werden, „die sich ihrerseits um den interreligiösen Dialog verdient gemacht haben, die Transparenz zeigen, zu demokratischen Werten und zum freiheitlichen Rechtsstaat stehen. Von einer salafistischen Moschee will ich den Muezzin eigentlich nicht rufen hören.“

Volker Beck, Lehrbeauftragter am Bochumer Centrum für Religionswissenschaftliche Studien, zeigte sich „wenig begeistert“ über die Entscheidung der Stadt. „Ich verstehe die Irritationen, aber gerade wenn einem etwas gegen den Strich geht, erweist sich die Geltung von Freiheitsrechten.“

Warnung vor Fremdbestimmung

Die kollektive Ausübung der Religionsfreiheit könnten aber nur religiös selbstbestimmte Gemeinschaften für sich beanspruchen. Bei Fremdbestimmung etwa durch einen anderen Staat – wie bei der Türkisch-Islamischen Union Ditib – erlösche dieser Rechtsanspruch dem deutschen Staat gegenüber.

„Wenn ich an die antisemitischen und kriegstreiberischen Ausfälle des türkischen Präsidenten Erdogan und des Chefs seiner Religionsbehörde Diyanet denke, würde es mir nicht im Traum einfallen, der Ditib als seiner Vorfeldorganisation in Deutschland auch nur einen Fußbreit entgegenzukommen“, sagte Beck. „Das ist aber eine religionspolitische Frage, die anders zu sehen ist als der Muezzin-Ruf ganz generell.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Man könne nicht aus berechtigter Sorge vor der Ditib nun alle Moscheegemeinden „in Mithaftung nehmen“, gab auch Amirpur zu bedenken.

Lautsprecher nicht zwingend

Zur Form des Muezzin-Rufs sagte Beck, das Grundrecht auf religiöse Praxis erzwinge seines Erachtens nicht die Verbreitung über Lautsprecher, „zumal der nun garantiert nicht auf den Propheten Mohammed und die heiligen Schriften des Islams zurückgeführt werden kann“. Sich an der religiösen Tradition zu orientieren und den Muezzin „ohne maschinelle Verstärkung“ rufen zu lassen, „könne auch eine Nagelprobe auf die Authentizität und Ernsthaftigkeit des Ansinnens sein“, argumentierte Beck.

Ästhetischer Aspekt

Amirpur warb auch unter ästhetischem Aspekt für Muezzin-Rufe. „Wenn sie gut gemacht sind, können Muezzin Rufe übrigens auch richtig schön sein, sehr melodisch und klangvoll.“

KStA abonnieren