Häusliche GewaltStadt sucht für Kinder stundenlang in NRW nach Heimplätzen

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Während des Lockdowns waren Familien Tätern häuslicher Gewalt stärker ausgesetzt.

Köln – Das Kollegium einer Grundschule im Rechtsrheinischen hatte schnell gehandelt. Eines Morgens hatte ein Junge aus der ersten Klasse einer Lehrerin anvertraut, dass er zu Hause von seiner alleinerziehenden Mutter, aber auch vom getrennt lebenden Vater geschlagen werde. Die Schule schaltete sofort das Jugendamt ein. Diese befragte auch die zehnjährige Schwester, die die gleiche Schule besucht, und die Vorfälle betätigte. Beide Kinder wurden aus der Familie herausgenommen. Aber eine Notfall-Wohngruppe zu finden, die die Geschwister aufnehmen konnte, gelang zunächst nicht.

„In ganz NRW waren die Wohngruppen voll“, sagt der Schulleiter, der nicht genannt werden möchte. Die Gruppen in Köln waren voll, ebenso in den Nachbarkommunen. Vier Stunden habe es schließlich gedauert, bis man einen Platz sicher hatte. Am Ende dann doch in Köln. Klaus-Peter Völlmecke, stellvertretender Leiter des Jugendamts, bestätigte, dass derzeit die Lage bei den Notaufnahmeplätzen für Kinder von drei bis 14 Jahren angespannt sei. Grund sei, dass die Kinder nun wieder in Kindertageseinrichtungen und Schulen gingen und sich Meldungen zu Anzeichen von häuslicher Gewalt von Lehrern und Kita-Mitarbeitern häuften.

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Die Notaufnahme verfügt insgesamt über 127 Plätze. 75 stehen in Bereitschaftspflegefamilien zur Verfügung, 60 sind Kindern im Alter von drei bis 14 Jahren in Wohngruppen vorbehalten und weitere 52 Plätze gibt es in Wohngruppen für Jugendliche. Hier werden auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge untergebracht. Geringe Kapazitäten habe es auch in der Vergangenheit bereits gegeben, sagte Völlmecke. „Es kommt immer wieder zu starken Schwankungen.“ Im Schnitt betrage die Auslastung zwischen 80 und 90 Prozent.

Über einen längeren Zeitraum habe es einen Anstieg um etwa zehn Prozent gegeben, die Kommune habe aber auch weitere Plätze eingerichtet. Insgesamt sei die Gesellschaft heute sensibler beim Thema häusliche Gewalt als noch vor einigen Jahren. „Es wird heute einfach mehr hingesehen.“ Auf der anderen Seite erodierten die Familien. Besonders Alleinerziehende kämen schneller in Situationen, in denen sie überfordert seien.

Der Kinderschutzbund Köln befürchtet, dass es auch künftig mehr Inobhutnahmen geben könne. Köln sei in der Vergangenheit zwar recht gut mit Plätzen versorgt gewesen. Durch die Pandemie drohe aber nun eine neue Situation, sagte Geschäftsführer Lars Hüttler. „Da kommt noch etwas auf uns zu.“ Der Kinderschutzbund würde den Ausbau von Plätzen begrüßen, problematisch sei es aber, geeignete Pflegefamilien zu finden. Hüttler betonte, dass die Kinder ein Mitspracherecht haben müssten, in welche Kommune sie kämen. „Dafür braucht die Kommune Ressourcen.“ Auch Ulrich Bergmann von der Paritätischen sagte: „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir uns rüsten für die Zeit nach der Pandemie.“ Es gäbe deutliche psychische Belastungen in zahlreichen Familien.

Die Notaufnahmen sind übrigens aber nur ein Teil der Arbeit des Jugendamts, um das Wohl der Kinder zu schützen. Daneben lebten etwa 1000 Kinder längerfristig in Wohngruppen in Heimen sowie 650 Jugendliche in Pflegefamilien. Die Zahlen seien stabil. Damit es gar nicht dazu kommt, dass Kinder aus Familien herausgenommen werden müssen, unterstützt das Jugendamt Mütter und Väter in 2400 Fällen derzeit ambulant.

Die Jugendämter in Deutschland haben im Jahr 2020 rund 45.400 Kinder und Jugendliche zu ihrem Schutz vorübergehend in Obhut genommen. Das waren acht Prozent weniger als im Vorjahr. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, erfolgten zwei Drittel dieser Inobhutnahmen wegen einer dringenden Kindeswohlgefährdung, 17 Prozent aufgrund einer unbegleiteten Einreise aus dem Ausland und weitere 17 Prozent auf Bitte der betroffenen Minderjährigen. Ein Drittel aller 2020 in Obhut genommenen Jungen und Mädchen war jünger als zwölf Jahre, jedes zehnte Kind (elf Prozent) sogar jünger als drei Jahre.

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