Heilige Herrscher und eine DivaDie Geschichten hinter den Skulpturen am Kölner Dom

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Zwei Kaiser an der Westfassade des Doms: Konstantin (l.) und Karl der Große

  • Den Kölner Dom kennt jeder. Aber wie gut kennen sich die Kölner wirklich aus in „ihrer“ Kathedrale?
  • Jede Woche haben wir für Sie eine neue Geschichte vom Dom – erzählt von einer, für die er eine Art zweites Zuhause ist: Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner.
  • In dieser Folge geht es um die Geschichten hinter den Skulpturen am Dom. Sind Ihnen schon einmal die vielen spannenden und witzigen Details aufgefallen?

Köln – Als der Dom wegen Corona für Besichtigungen geschlossen werden musste, habe ich Sie in meiner Kolumne einmal rund um die Kathedrale geschickt. Mir kamen dabei noch viele Dom-Geschichten und sehenswerte Details in den Sinn, die ich Ihnen vorstellen möchte. Obwohl es inzwischen ja wieder Gelegenheit gibt, auch ohne Gebetsanliegen ins Innere des Doms zu gelangen, bewegen Sie sich außen herum leichter und ungehindert.

Die Westfassade, mit der ich heute beginne, bietet zweifelsohne einen imposanten Anblick. Sie haben bestimmt auch schon die Touristen gesehen, die vom Gässchen Burgmauer aus eine Gesamtansicht aufs Foto bekommen wollen. Ich empfehle Ihnen aber, näher heranzugehen und sich einmal in Ruhe die Portale anzuschauen.

Es sind drei von insgesamt neun Zugängen des Doms. Nur einer davon, das Petrusportal rechts an der Westfassade, ist teilweise noch mittelalterlichen Ursprungs. Die anderen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Die Ausstattung mit Skulpturen war eine große Aufgabe – in mehrfachem Sinn. Es gab Platz für Hunderte Figuren, aber es fehlte ein Programm. Die Baumeister des Mittelalters hatten dafür keine Vorlage hinterlassen. Schon Sulpiz Boisserée (1783 bis 1854), der bedeutende Inspirator der Dom-Vollendung, entwickelte zusammen mit dem Domkapitel Vorschläge. Es war die Stunde der unbekannten Heiligen, die auf einmal die Chance bekamen, figürlich am Dom verewigt zu werden.

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Die Hohenzoller waren die großen Gönner des Kölner Dombauprojekts

Im Zentrum der Fassade vorn befinden sich aber auch vier heilige Herrscher – eine Reminiszenz an die Königsgalerien der französischen Kathedralen, wobei man dort auch die Monarchen ohne Heiligenschein berücksichtigte. Zugleich verneigten sich die Kölner vor den preußischen Königen. Die Hohenzollern als große Gönner des Dombauprojekts waren zwar Protestanten und hatten es deshalb nicht so mit den katholischen Heiligen. Aber im Grunde war für alle christlichen Dynastien die Vorstellung wichtig, dass man es auch als weltlicher Fürst im Himmel zu etwas bringen konnte.

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Dafür stehen am Dom – von links nach rechts – Konstantin der Große (um 270 bis 337), dann der Frankenkaiser Karl der Große (vermutlich 747 bis 814), der Ottone Heinrich II. (973 bis 1024) und König Stefan I. von Ungarn (969 bis 1038). Diese vier waren damals die als Heilige verehrten europäischen Herrscher. 2004 kam mit der Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. noch der letzte österreichische Kaiser dazu, der Habsburger Karl  I. (1887 bis 1922). Als deutsche Regenten gehen der Römer Konstantin und der Ungar Stefan – trotz seiner verwandtschaftlichen Beziehung zum Kaiserhaus der Ottonen – nur sehr indirekt durch. Aber das sah man bei dem großen historischen Abstand nicht so eng.

Die vier neugotischen Figuren stammen, wie alle Skulpturen der Westfassade, von Dombildhauer Peter Fuchs (1829 bis 1898). Witzig und typisch, dass er Karl den Großen genau so zeigt, wie Albrecht Dürer (1471 bis 1528) ihn dargestellt hatte. Für alle Künstler des 19. Jahrhunderts schien klar zu sein: So muss der hoch verehrte Reichsgründer ausgesehen haben. Sie hielten sich dementsprechend streng an das sozusagen authentische Porträt. In einer Lehramtsprüfung hat eine meiner Studentinnen das einmal unfreiwillig auf den Punkt gebracht. Ich legte ihr Dürers Bild aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg vor und fragte sie, um wen es sich handele. Vor lauter Nervosität antwortete sie: „Das ist Karl der Große, den Dürer gemalt hat, nachdem er ihn in Aachen getroffen hatte.“ Darauf ich: „So, Frau Sowieso, jetzt machen wir mal zwei Minuten Pause. Sie atmen ganz tief durch, und dann frage ich Sie noch mal.“ Das hat ihr geholfen. Danach lief dann alles ganz vorzüglich.

Konstantin ohne Fahne, Karl ohne Hände

Im Krieg wurden die Herrscherfiguren stark beschädigt. Fast alle Attribute waren abgebrochen. Bei Konstantin fehlte die Fahne, Karl dem Großen waren die Hände mit Schwertknauf und Reichsapfel abhandengekommen, Heinrich II. Reichsapfel und Lanze. Hier bewährte sich nun die Sammelleidenschaft der Dombauhütte. Im Archiv hatten sich nämlich über zwei Weltkriege hinweg die allermeisten von Fuchs’ Gipsmodellen erhalten. So konnten die Rekonstrukteure leicht nachsehen: Was hatte die Figur ursprünglich in der Hand? Wie sah Konstantins Fahne aus? Und somit stehen die vier nun wieder mit allen Insignien und voller Pracht an ihrem Platz.

Gehen Sie nun einmal nach links zum sogenannten Dreikönigenportal. Es war im Oktober 1943 beim Einschlag einer Fliegerbombe in den Stützpfeiler des Nordturms schwer getroffen worden. Etliche Figuren waren ganz zerstört, anderen waren die Köpfe heruntergerissen worden. Es gibt historische Aufnahmen mit einem Berg von Schutt und den Häuptern der Heiligen darin.

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Bei der Reparatur wurden die beschädigten Teile nicht originalgetreu wieder hergestellt, sondern durch Replikate im Stil der Zeit ersetzt. Das war, wie ich schon mehrfach erwähnt habe, typisch für meinen Vorvorgänger Willy Weyres (1903 bis 1989).

Der damalige Dombaumeister beauftragte Elisabeth Baumeister-Bühler (1912 bis 2000), die erste Bildhauerin der Dombauhütte, mit folgenden Figuren aus dem Alten Testament: Abel, dargestellt mit einem Lamm; Japhet, der als einer von den Söhnen Noahs die Sintflut überlebte; der von Gott geprüfte Hiob, der auf seine Wunde zeigt; und schließlich die Königin von Saba. Seit der Beseitigung der „Ziegelplombe“ am Nordturmpfeiler sind diese vier „modernen“ Skulpturen der deutlichste Hinweis auf die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs an der Westfassade.

Die Künstlerin hatte in den 1930er Jahren studiert, als die Bildhauerei vom Faschismus geprägt war. Nach dem Krieg veränderte sie ihren Stil, wie man an ihren Domfiguren gut sehen kann. Die gehen in Richtung Expressionismus – ein bisschen Barlach, ein bisschen Abstraktion. Ich amüsiere mich ja immer über die Königin von Saba, die aussieht wie eine Film-Diva aus Hollywood mit ihrem Abendkleid und dem – ich hätte fast gesagt – Atombusen. Aber die Generation meiner Studierenden reagiert gar nicht mehr so befremdet und findet die Formensprache der späten 1950er Jahre offenbar wieder ganz schön.

Den Heiligen Drei Königen hat Baumeister-Bühler neue Köpfe aufgesetzt. Der Unterschied zu Fuchs’ feinen neugotischen Linien ist augenfällig. Aber nicht deshalb geben sie meinem Nachfolger zu denken, sondern wegen des Materials. Für die Köpfe hat Bühler-Baumeister nämlich – wie auch für ihre ganz neu gestalteten Figuren – Basaltlava anstelle des originalen Kalksteins verwendet. Wenn man die Figuren nun säubern wollte, würden sie insgesamt wieder hell, nur die Köpfe blieben schwarz. Deshalb neue Köpfe anfertigen lassen? Das kommt meines Erachtens nicht in Frage. Man könnte für ein einheitliches Erscheinungsbild also die vorhandenen Köpfe hell bemalen oder die Figuren komplett dunkel streichen... Nun, eine intelligente und überzeugende Lösung wird mein Nachfolger Peter Füssenich sicher auch dafür finden. Wie er mir erzählte, ergab ein erster Versuch mit der Figur des Erzengels Michael am gleichnamigen Portal auf der Nordseite, dass der Farbunterschied gar nicht so krass ausgefallen sei, wie befürchtet.

Zum Schluss noch ein kleines Detail vom Marienportal in der Mitte, auf das ich Sie gern erneut hinweise: An dem Baldachin über der zweiten Figur rechts außen haben die Steinmetze der Dombauhütte ein Figürchen von Papst Franziskus angebracht. Das Porträt, nur etwa acht Zentimeter hoch, hat bei der Restaurierung der Baldachine erst 2019 seinen Platz am Dom gefunden.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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