Holzschnitzer-WerkeDiese Sensationen sind im Kölner Museum Schnütgen zu sehen

Lesezeit 7 Minuten
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Eine Rückenfigur in jeder Szene des Georgsaltar zieht 

  • In ihrer Serie „Auf den Punkt” hat Barbara Schock-Werner schon oft den Finger in die Wunde gelegt und Bausünden oder Schlampereien im Kölner Stadtbild angeprangert.
  • In dieser Folge soll es allerdings um ihre Lieblingsstücke gehen. Die Ex-Dombaumeisterin stellt ihre Favoriten des niederrheinischen Holzschnitzers Meister Arnt vor.
  • Diese werden derzeit im Kölner Museum Schnütgen gezeigt.

Köln – Die Meister-Arnt-Werkschau im Museum Schnütgen ist die Sensationsausstellung dieses Sommers in Köln. Sie hätte auch zum Publikumsrenner werden können. Aber die Schlangen, die eigentlich vor dem Museum stehen müssten, hat Corona verhindert.

Was wir heute von Meister Arnt, einem begnadeten Holzschnitzer des späten 15. Jahrhunderts wissen, ist alles ein Erfolg der Wissenschaft. Wenn Sie sich fragen sollten, was Kunsthistoriker eigentlich den ganzen Tag machen, dann können Sie das an dieser Ausstellung wunderbar sehen. Als ich in Bonn studierte, gab es diesen Arnt noch nicht. Oder besser: Seine Werke in Kalkar, Zwolle und anderen Orten der Region um Kleve und das Ijsselmeer waren anonymen Meistern zugeordnet. Als individuelle Künstlerpersönlichkeit ist Arnt erst seit den 1970er Jahren durch akribische Quellenforschung und Stilvergleiche hervorgetreten. Aber das ist nur die theoretische Seite, an der speziell die Fachleute Spaß haben. Noch wichtiger ist das ästhetische Erlebnis: Die Werke Meister Arnts sind eine wahre Augenfreude, sie machen Lust auf spätmittelalterliche Kunst.  

Dreikönigenaltar und Passionsaltar

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Szene der Kreuzabnahme mit Maria (M.) auf dem Passionsaltar

Der Dreikönigenaltar aus der Sammlung des Museums Schnütgen gleich zu Beginn der Ausstellung ist auch schon ein erstes Prunkstück: aufwendigst in den Schnitzereien, detailreich in den einzelnen, stockwerkartig gegliederten Szenen und opulent in der bei Meister Arnt obligatorischen farblichen Fassung. Im Lauf der Zeit wurden zahlreiche seiner Figuren mehr oder weniger grob überpinselt, was ihnen viel von ihrer Qualität nahm. Deswegen kamen im 19. Jahrhundert nicht wenige von ihnen ins Säurebad, auch um die vermeintlich originale Holzsichtigkeit wieder herzustellen.

Alles zum Thema Barbara Schock-Werner

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Maria auf dem Dreikönigenaltar

Ein Künstler wie Tilman Riemenschneider hat tatsächlich auch nicht bemalte Figuren hergestellt. Aber damit war er, böse gesagt, der Billiganbieter auf dem Skulpturenmarkt: Ungefasste Figuren verringerten die Kosten für den Auftraggeber um mindestens die Hälfte. An dem überaus sorgsamen, kostbaren Farbauftrag bei Meister Arnt sehen Sie aber sofort, dass er seine Figuren immer bunt gedacht hat.

Vergünstigter Eintritt für unsere Leser

Die Ausstellung „Arnt der Bilderschneider“ läuft noch bis zum 20. September im Museum Schnütgen, Cäcilienstraße 29-33, 50667 Köln.

Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr (bitte Corona-Schutz beachten). Eintritt: 10 Euro (ermäßigt/Gruppen 7 Euro).

Leserinnen und Leser des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zahlen bei Vorlage dieses Artikels für die Sonderausstellung nur den ermäßigten Eintrittspreis (gültig für bis zu zwei Personen). (jf) 

Die mittelalterliche Figurenkunst lebt von den Falten, aber auch von der Gestik und bei Meister Arnt ganz besonders von der Mimik. Sehr schön zu sehen ist das bei der Marienfigur im Dreikönigenaltar. Ihr Kopftuch ist nicht bloß ein Stück Stoff, sondern eine virtuose Draperie. Achten Sie auch einmal auf das überwältigend prächtige Gewand des schwarzen Königs. Der kniende Diener rechts unten holt noch weitere Geschenke für das Jesuskind aus seinem Sack. Doch der Zweifel steht ihm ins Gesicht geschrieben: Was, dieser ganze Aufwand für dieses Baby da in einem armseligen Stall? Letztlich gestaltet Meister Arnt hier ein Stück Theologie: Werden die Menschen daran glauben, dass in diesem Kind Gott zu ihnen gekommen ist?

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Noch filigraner ist die Gestaltung bei dem kleinen, nur etwa 50 Zentimeter hohen Passionsaltar, einer Leihgabe aus dem Musée de Cluny. Allein vor diesem Altar kann man – finde ich – gut und gern eine halbe Stunde verbringen, um die Erzählfreude Meister Arnts auf sich wirken zu lassen. 

Darstellungen der Anna Selbdritt

Ein eigener Raum der Ausstellung ist verschiedenen Mariendarstellungen Meister Arnts gewidmet. Gleich mehrfach ist die Gruppe der Anna Selbdritt vertreten, also die Mutter der Maria mit ihrer Tochter und dem Enkel Jesus. Wenn Sie nur einmal das Kopftuch vergleichen, das Anna als ältere Frau ausweist, dann sehen Sie, dass in ein und derselben Werkstatt unterschiedlich aufwendig gearbeitet wurde. Es gab von einer bestimmten Figur sozusagen jeweils eine Standard- und eine Luxusausführung – abhängig vom Budget des Auftraggebers. Gleich daneben steht die berühmte „goldene Madonna“ aus Kalkar. Nutzen Sie die Gelegenheit, ihr mal so richtig auf die Pelle zu rücken: Ein so feines, zierliches Gesicht mit dem liebevollen Blick auf das Kind in ihrem Arm – das sucht wirklich seinesgleichen.

Darstellungen der heiligen Luzia

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Darstellungen der heiligen Luzia

Einblick in die Arbeitsweise einer mittelalterlichen Kunstwerkstatt geben auch die Figuren der heiligen Luzia, die – sonst vor allem in Skandinavien als Heilige mit dem Lichterkranz bekannt – auch am Niederrhein besondere Verehrung genoss. Das Loch im Hals war jeweils für das Schwert gedacht, durch das Luzia der Legende nach das Martyrium erlitt. In einem Fall wurde die Figur später zu einer Maria Magdalena (mit Salbgefäß) umgearbeitet. Bestimmte Elemente wie der Perlenkranz in Luzias langem gelocktem Haar oder der mit einer Kordel zusammengehaltene Tasselmantel wiederholen sich als Meister Arnts Handschrift in allen Darstellungen der Heiligen.

Georgsaltar in Sankt Nicolai, Kalkar

Zum Ende des Rundgangs hin setzt der Georgsaltar aus Kalkar noch einmal ein grandioses Rufzeichen. Unten in der Mitte links die bekannte Szene, wie der tapfere Ritter Georg den Drachen besiegt, der die Stadt Silena in Libyen tyrannisiert hatte. Er tötet das böse Ungeheuer aber nicht, sondern bringt es – wie Sie weiter oben rechts sehen – gut gefesselt in die Stadt, zusammen mit der vor dem Drachen geretteten Prinzessin. In der Stadt stellt Georg die Bewohner vor die Wahl: Entweder ihr lasst euch taufen, oder ich lasse den Drachen wieder frei. Sie dürfen raten, wofür sich die Leute entschieden haben.

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Die anderen Szenen schildern mit fast makabrer Liebe zum Detail verschiedene Foltermethoden, mit denen der römische Kaiser Diokletian (244 bis 305) – hier mit einer Bügelkrone dargestellt – in der von ihm veranlassten Christenverfolgung Georg vergeblich dazu bringen wollte, seinem Glauben abzuschwören: Georg wird in siedendes Blei geworfen oder gepfählt. Ihm werden die Arme abgehackt – einer liegt schon blutend neben ihm. Man mischt ihm Gift in seinen Trinkbecher. Alles vergeblich. Schließlich wird er unten rechts enthauptet.

Die Folterknechte sind im Gegensatz zur schönen Jünglingsgestalt des Heiligen von ausgesuchter Hässlichkeit. Das passt zur mittelalterlichen Vorstellung, dass das Böse auch ästhetisch abstoßend, das Schöne hingegen anziehend ist. Ein interessanter dramaturgischer Kniff sind die Rückenfiguren: In jeder Szene stellt Meister Arnt eine Person von hinten dar. Sie steht also in gleicher Haltung zum Geschehen wie der Betrachter und zieht diesen in die Szene hinein.

Heiliger Dominikus aus Brüssel

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Figur des heiligen Dominikus

Heilige Frauen waren in der Vorstellung der mittelalterlichen Künstler immer jung und schön. Männer durften auch mal alt und – nun ja – unansehnlich sein. Am Gesicht des heiligen Dominikus hat Meister Arnt die hohe Kunst eines realistischen Porträts erprobt: Die schon etwas schwammige Kinnpartie, der faltige Hals, die tief eingeschnittene Furche entlang der Nase – das alles gibt dem vom Leben gezeichneten Heiligen einen Ausdruck von abweisender, fast furchterregender Strenge. Als milden, warmherzigen Seelsorger könnte ich mir diesen Dominikus in Meister Arnts Wiedergabe nicht gut vorstellen.

Predella des Hochaltars in Sankt Nicolai

Man weiß aus den Quellen, dass Meister Arnt 1491 über den Arbeiten am Hauptaltar der Kirche Sankt Nicolai in Kalkar gestorben ist. Die Szene der Fußwaschung hat er noch geschafft. Das Abendmahl und der Einzug in Jerusalem wurde von seinem Schüler Jan van Halderen übernommen. Am Ende Ihres Rundgangs bietet Ihnen das Gelegenheit zu einer Erfolgskontrolle: Konnten Sie Ihren Blick für Meister Arnts Kunst so schulen, dass sie die Qualitätsunterschiede zwischen ihm und seiner Werkstatt erkennen? Wenn ja, dann wissen Sie auch eine der Antworten auf die Frage, was Kunsthistoriker eigentlich so machen.

Büste eines heiligen Bischofs, Kalkar

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Porträtbüste eines Bischofs

Vielleicht kehren Sie vor dem Hinausgehen aber noch einmal an den Beginn der Ausstellung zurück und nehmen das Bildnis eines heiligen Bischofs als letzten Eindruck mit: das wunderbar individuell gestaltete Gesicht eines Mannes, der weise, sorgenvoll und vom Leben ein wenig frustriert dreinschaut. Wenn man nicht wüsste, dass sein Porträt aus Holz geschnitten ist, dann würde man erwarten, dass er im nächsten Moment die Lippen schürzt und seine gerunzelte Augenbraue bewegt.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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