Illegale Party gestopptWie Köln zur Geisterstadt wurde – Das Protokoll einer Nacht

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Am Neumarkt waren um kurz nach 21 Uhr noch wenige Menschen unterwegs.

Köln – Szenen wie aus einem Katastrophenfilm überall in der Stadt. In der ersten kompletten Nacht der Ausgangssperre ist Köln über weite Strecken zu einer Geisterstadt geworden, in der zeitweise fast nur noch Polizei und Ordnungsamt auf den Straßen unterwegs waren. Das Protokoll einer beispiellosen Nacht, die lange in Erinnerung bleiben wird.

20 Uhr: Die Sperrstunde hat noch gar nicht geschlagen, da machen noch einmal die letzten dagegen mobil. Auf dem Heumarkt hält das linke Lager eine Demo mit etwa 200 Teilnehmern ab. Friedlich, mit Abstand und Masken. Auf dem Barbarossaplatz werfen etwa 50 dunkel gekleidete Aktivisten aus dem Antifa-Spektrum Pyrotechnik auf Bahnen und Polizei-Wagen, beschmieren eine Häuserfassade mit Graffitys gegen die Ausgangssperre. 30 von ihnen kann die Polizei zwischenzeitlich festsetzen.

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Die Demo auf dem Heumarkt verlief friedlich.

20.30 Uhr: Die Organisatoren der Kundgebung auf dem Heumarkt kündigen noch eine Demo für Mittwochabend auf dem Neumarkt an. Dann löst sich die Versammlung auf. Die Bahnen am Heumarkt sind nicht so gefüllt wie üblich, aber auch nicht menschenleer. Die Sonne geht gerade hinter den vielen Wolken unter. Der erste Fußballclub der Stadt hat 0:3 verloren. Es steht schlecht um die Kölner.

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21 Uhr: Die Lichter am Dom bleiben aus, dieses Wahrzeichen der Unerschütterlichkeit steht im Dunkeln da. Ebenso alle Rheinbrücken. Über dem Neumarkt verhallen die Glockenschläge von St. Aposteln. In den nächsten acht Stunden darf nur noch draußen sein, wer einen – wie es heißt – „triftigen Grund“ dafür hat. In den KVB-Bahnen Richtung Kalk und Hauptbahnhof sitzen noch je ein Dutzend Menschen. Die Suppenstation für die Obdachlosen wird abgebaut. Der Dönerladen hat noch auf.

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Um 21 Uhr blieb das Licht am Dom ausgeschaltet.

21.20 Uhr: Am Rudolfplatz warten noch ein paar Handvoll Menschen auf die Bahn. Ab und zu fährt ein Auto vorbei. Der Rewe am Hohenzollernring hat die Rollläden unten. Einen Passanten überrascht das. Von der Ausgangssperre wisse er nichts. Am Montag, glaubt er, solle sie „nach seinen Informationen“ womöglich kommen. Der Einkauf wäre aber sowieso nicht dringend gewesen, sagt er. Eigentlich habe er nur seine Pfandflaschen wegbringen wollen.

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Die Schildergasse am Samstag kurz nach Inkrafttreten der Ausgangssperre.

21.30 Uhr: Die Straßen zum Hauptbahnhof sind so leer, als wäre es schon drei Uhr nachts. Immer wieder fahren Streifenwagen der Polizei vorbei. Die Züge im Bahnhof fahren, aber nur wenige steigen ein. Der Schnellimbiss mit dem goldenen M, üblicherweise in solchen Nächten das Auffanglager für die Gestrandeten des Bahn-Fahrplans, hat seit einer halben Stunde und noch bis 5 Uhr zu.

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Nichts los im Domumfeld in der ersten kompletten Nacht der Ausgangssperre.

21.50 Uhr: Die Venloer Straße ist zur Autobahn für Lieferando-Kuriere geworden. Die orangenen Flitzer mit den Thermo-Würfeln auf dem Rücken sind in diesen Stunden fast die letzten, die hier noch mit dem Rad unterwegs sind.

22.20 Uhr: Fahrscheinkontrolle in der KVB. Linie 3 Richtung Holweide, ab Suevenstraße Schienenersatzverkehr. Die Kontrolleure lassen sich von den fünf Menschen in der Bahn die Tickets zeigen. Nach dem Grund des Ausgangs fragen sie nicht. Das dürfen nur Polizei und Ordnungsamt.

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Die Supermärkte hatten - wie hier am Hohenzollernring - um 21 Uhr schon geschlossen.

22.45 Uhr: Der Barbarossaplatz ist fast menschenleer. Auch hier haben Rewe und McDonald’s zu. Jedes zweite Auto, das jetzt über die Ringe fährt, gehört der Polizei. Kolonnen von fünf, sechs Streifen- oder Mannschaftswagen kommen alle paar Minuten. Dazwischen Stille, wie man sie sich in der kasachischen Steppe vorstellt, wo heute Morgen drei Astronauten von der ISS zurückgekehrt sind. Immerhin zwei Menschen mehr als gerade auf der gesamten Zülpicher Straße unterwegs sind. Was würde wohl ein Kölner denken, der ein gutes Jahr im All verbracht hat, abgeschnitten von allen Informationen und nun an einem Samstagabend diese tote Straße sieht? Es ist so still, dass man das Piepen eines umgekippten E-Scooters hört.

23.05 Uhr: Auf dem Kölnberg brennen noch viele Lichter aus den Wohnungen. Jedes einzelne dieser Hochhäuser hat beinah die Größe einer Kleinstadt. Wer will hier kontrollieren, ob wirklich alle in ihren eigenen Wohnungen sind? Auf der Straße jedenfalls ist keiner. Eine Pizzeria hat noch geöffnet als Lieferdienst. 

23.25 Uhr: Auf der Schildergasse kontrolliert das Ordnungsamt. Ein Mann will seinen triftigen Grund nicht nennen, den er vorgibt zu haben. Er will sich nicht ausweisen, ruft die Polizei. Die schreibt eine Anzeige gegen ihn.

Mitternacht. Auf den Intensivstationen der Kölner Kliniken kämpfen 116 Corona-Patienten gegen den Tod. Mehr als 600 Infizierte sind schon gestorben, deutschlandweit fast 80.000. Heute gedenkt Deutschland dieser Toten.

0.15 Uhr: Die Fahrt in eine Barackensiedlung am Weidenweg nahe der Rodenkirchener Brücke in Westhoven führt vorbei an der verwaisten Alfred-Schütte-Allee. Keine Raser, keine Poser, keine Shisha-Gruppen. Unverstellter Blick auf die Kranhäuser. Die letzten Meter nimmt das Ordnungsamt zu Fuß durch den finsteren Wald. Von der illegalen Techno-Party, die sie hier gleich hochnehmen, wissen die Einsatzkräfte aus Whatsapp- und Telegram-Gruppen und von Hinweisen aus der Bevölkerung. Ein ziviles Team hatte die Lage vorher erkundet und die Kollegen gerufen.

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Die Venloer Straße in der ersten kompletten Nacht der Ausgangssperre in Köln.

0.30 Uhr: Die etwa 15 Mitarbeiter des Ordnungsamts pirschen sich ohne Licht durch das Unterholz bis zu der Laube, aus der Techno-Musik und Gras-Geruch kommen. Ein Zahlenschloss verhindert den direkten Zugriff. Auf die Kombination 0900 ist das Ziffernblatt gestellt. Zu einfach. Mit 0000 geht das Schloss auf, die Party ist beendet. Ein offensichtlich unter Drogeneinfluss stehender Mann mit T-Shirt und kurzer Hose versucht, barfuß durch das kalte Unterholz zu türmen, andere fliehen über eine Leiter aufs Dach. Niemand kommt davon.

0.45 Uhr: „Wir haben in eine Wespennest gestochen“, sagt Dienstgruppenleiter Florian Westerhausen. Gut 30 Teilnehmer, überwiegend Mediziner und ein Lehrer, die ihr Examen in der engen Baracke feiern wollten. Alle seien geimpft und wüssten, was sie tun, sagt der Eigentümer der Datsche. „Auch die müssen sich aber an die Regeln halten“, sagt das Ordnungsamt. Die betreffende Schule soll noch am Sonntagabend vom Ordnungsamt unterrichtet werden. Am Montag beginnt der Wechselunterricht. Auch die Arbeitgeber der teilnehmenden Mediziner werden geprüft und gegebenenfalls informiert.

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Die Polizei unterstützte das Ordnungsamt bei der Auflösung der illegalen Party in einem Waldstück.

1 Uhr: Die Polizei kommt zur Unterstützung. Nachdem die Personalien festgestellt wurden, müssen die Teilnehmer nach Hause. Die wenigsten scheinen noch komplett Herr ihrer Sinne zu sein. „Es gilt eine Ausgangsbeschränkung“, sagt einer vom Ordnungsamt. „Deshalb sind wir ja hier“, ruft eine Frau ihm wütend entgegen. Was sie damit meint, will sie nicht erklären. Wie alle anderen auch erwartet sie eine Anzeige. Alleine der Bruch der Ausgangssperre kostet 250 Euro, dazu die illegale Party. Zwei kleinere Feiern löst das Ordnungsamt in dieser Nacht noch auf.

2 Uhr: Kurze Besprechung im Licht der Rodenkirchener Brücke. Westerhausen zieht Bilanz. Bis halb zwölf etwa, sagt er, habe er gedacht, dass sich die Bürger sehr einsichtig gewesen seien. Diese Party hier in der Westhovener Aue aber habe diese Einschätzung aber geändert. Und wer weiß schon, wie viele Großfeiern es jetzt gerade sonst noch unbemerkt gibt.

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Einige Teilnehmer versuchten, über das Dach zu fliehen.

2.30 Uhr: Spätestens jetzt ist Köln eine Geisterstadt. Die Straßen gehören fast ausschließlich der Polizei. Es gibt kaum eine Ampel, an der nicht nach ein paar Sekunden Wartezeit ein Streifenwagen hinter oder neben einem hält. Überall in der Stadt ist das so. Ringe, Nord-Süd-Fahrt, Deutzer Brücke, Kalker Hauptstraße, Taunusstraße. Wer als Zivilist ruhig und unauffällig unterwegs ist, wird aber nicht auf Verdacht angehalten. Ab und zu gibt es Durchsagen aus den Streifenwagen: „Bitte gehen Sie nach Hause!“.

3 Uhr: In einer Nebenstraße im Agnesviertel fährt langsam eine kleine Kolonne Polizei-Mannschaftswagen vorbei. So eine geballte Präsenz verteilt über die Straßen hat Köln schon lange nicht mehr gesehen.

3.15 Uhr: Wer jetzt über die Zoobrücke fährt, hat sie ganz für sich allein. Auf Höhe der Messe ist ein einsames Taxi zu sehen. Der Kalker Tunnel ist komplett leer, sogar das Kreuz-Köln-Ost und die A3 in Dellbrück. Vier Spuren in beide Richtungen. Auf einem der meist befahrenen Autobahnabschnitte Deutschlands ist für mehrere Minuten kein einziges Auto in Sicht. Es könnten Bilder aus der Ölkrise sein. Im Verkehrsfunk kommt eine Warnmeldung. Irgendwo in Süddeutschland sind immerhin Tiere auf der Fahrbahn.

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An der Haltestelle Venloer Straße/Gürtel warteten noch wenige Menschen auf die Bahn.

3.30 Uhr: Der Nimet-Grill auf der Kalker Hauptstraße hat noch auf, weil er immer auf hat. Die Böreks kommen so frisch aus dem Ofen, dass man sich die Finger verbrennt. Schichtarbeiter wie er müssten doch auch nachts etwas zu essen bekommen, sagt der Verkäufer.

3.55 Uhr: Am Bahnhof Mülheim kommen vier Regionalzüge und eine S-Bahn gleichzeitig an. Abgesehen vom Personal sitzen in allen Zügen zusammen vielleicht ein halbes Dutzend Menschen, niemand davon auf dem Weg nach Köln. Die Stadt wirkt wie abgeschnitten.

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Die A3 in Dellbrück ist eines der meistbefahrenen Autobahnabschnitte Deutschlands. In der Nacht zum Sonntag war sie kaum befahren.

4.40 Uhr: Die Keupstraße ist tatsächlich mal eine Straße wie jede andere in Köln. Alles zu, alles dunkel, alles leer. Bald hat Köln die erste komplette Nacht der Ausgangssperre hinter sich. Von 106 Ansprachen und sechs Verfahren nur wegen der Ausgangsbeschränkungen wird die Stadt berichten – die Großpartys nicht inbegriffen. Henriette Reker sprach schon am Freitag von einem „schweren Tag für Köln“. Auch diese Nacht war eine schwere für die Kölner. Ihre Bilder werden bleiben. Ob sie bewirkt, was sie verspricht, weiß an diesem Morgen noch keiner.

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