Im Alter von 89 JahrenJournalist und Schriftsteller Hans Werner Kettenbach gestorben

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Kettenbach war einer der prägenden Köpfe des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Köln – Von Hans Werner Kettenbachs Wohnung im 18. Stock des Poller Hochhauses aus öffnete sich das Panorama der Kölner Bucht, je nach Witterung in Farbenspiele getaucht.  Kettenbachs Frau Marlis, mit der er mehr als 60 Jahre verheiratet war, erinnerte das an Bilder von Caspar David Friedrich. Beherrschend in der Bildmitte der Dom, daneben das silbergraue Band des Rheins, in der Ferne die Hügel des Vorgebirges und die  Braunkohlekraftwerke.

Die frühere Arbeitsstätte von Hans Werner Kettenbach,  der am Freitag im Alter von 89 Jahren in einer Kölner Klinik  verstarb, war von seinem Schreibzimmer aus nicht zu sehen: der „alte“ „Kölner Stadt-Anzeiger“ an der Breite Straße. 

Kettenbach war eine der herausragenden journalistischen Persönlichkeiten, die der „Stadt-Anzeiger“ hervorgebracht hat – und einer, der seinerseits diese Zeitung in den Jahren zwischen 1964 und 1992 prägte. Er war zudem von 1974 bis 1975  Vorsitzender der Bundespressekonferenz.  

Mit Leidenschaft und Phantasie

Kettenbach vereinte viele Talente in sich, war ebenso brillanter Intellektueller wie ein an den Traditionen Kölns Interessierter, er liebte seine Heimatstadt ebenso wie die Welt. Und er war in den Disziplinen zu Hause, die einer Zeitung Leben geben: Reportage, Analyse, Kommentar. Weil sein Interesse auch stets den Menschen galt, welchen Rang auch immer sie in der Gesellschaft einnahmen, waren seine Beobachtungen stets anschaulich und lesenswert. Er arbeitete als Chefreporter, USA-Korrespondent, Parlaments-Korrespondent in Bonn, der damaligen Hauptstadt, und schließlich als stellvertretender Chefredakteur in der Kölner Hauptredaktion.

Kettenbach hatte mit einer Behinderung zu leben. Aber was andere verbittern und einsam machen mag, formte hier einen  offenen, freundlichen und zugewandten Journalisten und Kollegen. Arroganz war ihm ein Greuel, stets gab er Rat und Hilfe auch den jungen Kollegen und hatte immer ein offenes Ohr für sie.

Romane schreiben für die Erholung

Und dann war da eben die Doppelexistenz, die er spätestens seit 1978 führte. Damals, mit 50 Jahren, brachte er, angespornt durch ein Krimi-Preisausschreiben, in wenigen Wochen seinen ersten Roman zu Papier: „Grand mit vieren“. Der bekam dann auch prompt den Jerry-Cotton-Preis des Bastei-Lübbe-Verlags. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Bis 2009, als mit „Das starke Geschlecht“ der letzte Roman  erschien, veröffentlichte der passionierte Schachspieler 14 Romane – „alle“, wie Kettenbach einmal mitteilte, „im Urlaub, es war für mich entlastend, nahezu eine Erholung“.

Hinzu kamen viele Hörspiele und TV-Drehbücher, unter ihnen die legendären Kommissar-Klefisch-Krimis, die er seinem Hauptdarsteller Willy Millowitsch auf den Leib schrieb. Wie hingen Journalismus und Literatur bei Kettenbach zusammen, gab es Präferenzen, ging eines aus dem andern hervor? „Keineswegs“, pflegte Kettenbach zu antworten, „ich wollte schon früh zur Zeitung – und ich hatte früh den Wunsch, Belletristik zu schreiben.“

Die Verbindung liegt ein Stück weit im Thematischen: Viele seiner Romane – bis hin zur „Konkurrentin“ und zur „Kleinstadtaffäre“ – haben einen politischen Hintergrund. Bezeichnenderweise wollte Kettenbach, zu dessen Bonner Geschäft der regelmäßige Besuch von Parteitagen gehörte, einmal einen Roman mit genau diesem Titel schreiben: „Das ist ja eine faszinierende Sache, was da so alles zusammenkommt – Intrigen, Konkurrenzkampf, Liebesaffären. Da bündeln sich die Lebensfäden einer Partei.“ Spuren dieses Projekts finden sich in dem Roman „Der Feigenblattpflücker“, in dem ein Journalist versucht, den Führungskadern einer konservativen Partei in der Abtreibungsfrage praktizierte Doppelmoral nachzuweisen.

Ein bisschen mehr Freiheit

Da bewegte sich halt der Romancier auf einem Feld, das er aus seinem „anderen“ Leben kannte. Den qualitativen Sprung beschrieb er so: „Beim Artikel muss ich mich ans vorgegebene Material halten, beim Roman bin ich der Herr der Geschehnisse.“ Was nicht heißt, dass er seine Stoffe nicht penibel recherchierte. Wenn Kettenbach einen Gerichtsprozess erzählerisch darstellen wollte, dann setzte er sich vorher eben auch schon mal tagelang ins Amtsgericht.

Sicher verdanken seine Bücher alldem ihre Präsenz und Erfahrungsdichte, ihre Nähe zu den Dingen und Menschen – und ihr unfehlbares Lokalkolorit. Das stellt sich auch ein, wenn die Handlung einmal nicht in rheinischem Ambiente spielt, sondern – wie in dem atemverschlagenden Krimi „Minnie oder ein Fall von Geringfügigkeit“ – in Tennessee oder in New York, wie im Liebesroman „Hinter dem Horizont“.

Zu beidem – zum Journalismus und zum Roman – war er vergleichsweise spät gekommen. Kettenbach, der als Vierjähriger mit seiner Familie aus Bendorf im Neuwieder Becken nach Köln übersiedelte, war Bauhilfsarbeiter, Stenograf, Hilfsredakteur beim „Kicker“ und Lektor für Hör- und Fernsehspiele beim WDR gewesen. Sein Studium brach er ab, als der Vater unerwartet starb und er kurzfristig dessen Anzeigenvertretung übernehmen musste. Als er gerade im Begriff war, nach Caracas auszuwandern, bot ihm der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein Volontariat an. Die Zeitungskarriere unterbrach er, um sein Studium abzuschließen: 1963 promovierte er in Köln über Lenins Imperialismustheorie. Eine Ehrfurcht gebietende Breite und Weite der Existenz, intensiv in alle Richtungen.  

Unverkennbar verdanken sich auch der skeptische Grundton seiner Bücher, die Abneigung gegen Botschaften und Belehrungen einer reichen Lebenserfahrung.

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