„Wer genehmigt so etwas?“Kölnerin am Sachsenring plötzlich eingemauert

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Zwischen dem Rohbau und dem Altbau befindet sich ein nur wenige Zentimeter breiter Spalt.

Zwischen dem Rohbau und dem Altbau befindet sich ein nur wenige Zentimeter breiter Spalt.

Innenstadt – Er war lang, aber wohl der letzte Sommer, den Hortense Quantschnig auf ihrer Dachterrasse mit Domblick genießen konnte. Sie wohnt im obersten Stockwerk eines der wenigen verbliebenen Gründerzeithäuser am Sachsenring. Der Blick aus der Fensterfront auf der Nordseite ihrer Wohnung, aus dem Badezimmer und von der Dachterrasse fällt seit Mittwoch voriger Woche auf nackten Beton. Dort, wo zuvor eine Platane, dahinter die Ulrepforte und der Dom zu sehen waren, entsteht ein Bürohaus. Vom Badezimmerfenster aus kann sie die neue Wand fast berühren. Die Terrasse der Wohnung unter ihrer wirkt wie der Boden eines Schachts.

„Wir sind plötzlich eingemauert“, sagt die selbstständige Gärtnerin, die seit 1987 in dem Haus wohnt. Auf einem alten Foto, das Quantschnig in ihrem Wohnzimmer aufgehängt hat, ist der Zustand des Hauses im Jahr 1892 zu sehen – ein Doppelhaus mit pittoresken Türmen auf beiden Seiten und Ornamenten, die die Fassade schmücken. Von der Prachtstraße, die der Ring einmal war, ist heute, zwei Weltkriege später, freilich wenig übrig geblieben.

Am Sachsenring entsteht ein Neubau, der manchen Mietern im Nachbarhaus Sicht und Licht nimmt.

Am Sachsenring entsteht ein Neubau, der manchen Mietern im Nachbarhaus Sicht und Licht nimmt.

Das Dachgeschoss, das Quantschnig bewohnt, wurde hinzugefügt, vielleicht für die Dienstboten, vermutet sie. Die andere Hälfte des Hauses wurde, offenbar nach einem Bombentreffer, nur wenige Stockwerke hoch wieder aufgebaut. Vor zwei Jahren wurde es, nachdem es drei Jahre leer stand, nun abgerissen. Die Mieter mussten ausziehen. Der neue Eigentümer plant zwölf Büros. Zwischen dem Rohbau und dem Altbau ist ein wenige Zentimeter breiter Spalt. „Wer genehmigt so etwas?“, ärgert sich Quantschnig. Die Stadt gibt auf Anfrage keine Auskunft zu den Voraussetzungen für die Baugenehmigung.

Ein Sprecher verweist auf „geordnete, baurechtliche Verfahren“, die für Streitfälle vorgesehen seien, und auf Vorgaben zum Datenschutz. Er versichert aber: Eine Baugenehmigung sei 2017 erteilt, die Abstände zuvor geprüft worden. „Für die jetzigen Mieter ist das natürlich skurril“, räumt Thomas Michael ein. Er ist der Architekt, der das Haus für den Bauherrn, einen jungen Unternehmer aus Köln, entworfen und geplant hat. Die Wand zwischen den Häusern sei eine Vorgabe der Bauaufsicht gewesen: „Es war gar nicht anders möglich. Wir haben das probiert“, sagt er. Sie haben ihm zufolge der Stadtverwaltung gar einen Entwurf vorgestellt, in dem die heutige Form des Altbaus gespiegelt im Neubau aufgegriffen werden sollte. „Das entsprach aber leider nicht dem Planungsrecht“, sagt er.

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Zwischen zwei Häusern muss eine Brandwand eingezogen werden. Für eine andere Gestaltung hätte der Nachbar auf der anderen Seite einbezogen werden müssen – ein Haus mit vielen Einzeleigentümern. Außerdem hätte der Bebauungsplan für das Grundstück geändert werden müssen, ein politischer Prozess, der sich Jahre hinziehen kann. Um sich weiterer Unterstützung zu versichern, haben Michael und der Bauherr ihr Projekt dem Gestaltungsbeirat der Stadt vorgestellt.

Der Architekt zeigt zwar Verständnis für Quantschnigs Ärger. Er verweist aber auch auf die notwendige Verdichtung der Innenstadt. Langfristig werde im Altbau eben auch mehr Wohnraum möglich. Die Terrassen im Inneren könnten als Zimmer in die Wohnungen integriert werden. Für Quantschnig und ihre Nachbarn ist das kein Trost. „Eine Betonwand vor die Nase gesetzt zu bekommen, stellt den Wohnwert meiner Wohnung eklatant in Frage.“

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