Kick-BoxenMit Fäusten für den Seelenfrieden

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Kampfsport-Club an der Neusser Straße

Kampfsport-Club an der Neusser Straße

Innenstadt – Kick-Boxen ist Pazifismus. Könnte man wenigstens meinen, wenn man Hakan Bali zuhört. Die Aggressionen lösen sich im Kampf in Luft und Schweiß auf, das Böse wird im Schlagabtausch zerschmettert, so in etwa. Bali, Inhaber des Kampfsportzentrums Bali-Dojang auf der Neusser Straße, erzählt von einem 13-jährigen Tunichtgut mit dicker Polizeiakte, den er von der Straße geholt habe. „Inzwischen ist der viel ruhiger, auf mich hört er.“

Vor ihm auf der Matte steht Hussein (16) aus Afghanistan, den hier alle wegen seiner schnellen Bein-Kicks nach dem Protagonisten eines Kampfsportfilms nur „Ong-Bak“ nennen. Hussein ist vor gut einem Jahr ohne Eltern nach Deutschland gekommen, er lebt im Heim, „durch den Sport hat er Anschluss gefunden und gut Deutsch gelernt, er hat enormes Talent“, sagt Bali.

Tatsächlich spricht Hussein super Deutsch, er sagt Sätze wie die Helden seiner Lieblingsfilme: „Kampfsport ist für mich wie essen. Ich werde ruhig, wenn ich kämpfe.“ Er wirkt tatsächlich total entspannt. Am Wochenende hatte Hussein seinen ersten offiziellen Kampf: Nach 20 Sekunden gab der Gegner auf.

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40 Prozent Gott

„Kann ich noch was tun, Meister?“, fragt ein Junge mit Baseballcap und Muskelshirt, der in Balis mit Pokalen, Wimpeln, Boxhandschuhen und Schwertern gefülltes Büro kommt. „Feg noch den Boden, dann schreibe ich dir zwei Stunden auf“, sagt Bali. Der Junge muss Sozialstunden machen – „hier kann er zwischendurch ein paar Gewichte stemmen“.

„Hallo Meister, wie geht’s?“ Vor dem Training kommt einer nach dem andern in das kleine Büro getröpfelt und macht seine Aufwartung. Eine Oberärztin, die zwei- bis dreimal die Woche mit ihrem Sohn zum Training kommt, genauso wie der Hauptschüler, die Gymnasiastin, die Rettungsassistentin, der Top-Manager. Meister nennen die Jugendlichen den 40-Jährigen, weil Bali den vierten Dan (schwarzen Gürtel) im Taekwondo hat, der offiziell die Bezeichnung Meister mit sich bringt. Im sogenannten Thai-Kickboxen besitzt er den dritten Dan.

100 Vereine mit Kampfsportangeboten sind in Köln derzeit registriert. Die meisten Vereinssportler zieht es zum Judo, Karate und Boxen.

Beliebt, weil in jedem Viertel zu finden, sind Kampfsportzentren ohne Vereinsstatus wie die Schule Bali-Dojang von Hakan Bali auf der Neusser Straße 81. An sechs Tagen in der Woche ist das Gym geöffnet, samstags fährt Bali mit den fortgeschrittenen Sportlern oft zu Wettkämpfen. Die Schule ist Partner des Bildungspakets der Bundesregierung – das Training für Kinder und Jugendliche einkommensschwacher Eltern kann unterstützt werden. (uk)

„Erster Dan bedeutet, du kannst die Sportart zu zehn Prozent, zehnter Dan, der nie vergeben wird, würde bedeuten: Du kannst es wie Gott. 40 Prozent ist also ganz okay.“ Hakan Bali ist schlagfertig, muskelgewaltig ist er nicht. Er ist auf der Keupstraße aufgewachsen, „früher war das ein heißes Pflaster“ – da lag es nahe, sich wehren zu lernen. Er hat Fachabitur gemacht und Groß- und Außenhandelskaufmann gelernt, „aber relativ schnell gemerkt, dass ich mein Leben nicht im Büro verbringen will“. Also entschied er sich für eine eigene Kampfsportschule – „auch wenn das nicht leicht ist, weil die bürokratischen Hürden hoch sind und die Stadt einem nicht hilft, obwohl wir mehr für die Integration tun als jeder Politiker“.

Bali kann einen mit dem kleinen Finger zur Strecke bringen, er kann einem in Sekundenschnelle den Arm umdrehen und dabei unschuldig lächeln, und führt das auch gern vor: „Das Schöne ist, dass es beim Taekwondo oder Thai-Kickboxen nicht um Kraft geht, sondern um Technik“, sagt er. Zu Balis Training gehört, dass auch die Großen machen, was die Kleinen sagen. Gerade macht der sechsjährige Mohammed die Dehnübungen vor, und alle machen mit. „Man lernt beim Training Respekt voreinander, egal, wer vor einem steht“, sagt Oberärztin Panteha Jazayeri.

„Thai-Kickboxen ist nicht nur gutes Konditions- und Koordinationstraining, es ist auch gut fürs Gedächtnis, Disziplinschule und Meditation.“ Meister Bali kann bei solchen Werbesprüchen nur nicken. Ob es denn nicht unangenehm sei, mit blauem Auge in der Klinik zu arbeiten? Das sei noch nicht vorgekommen, sagt Jazayeri. „Den Kopf schützt man immer am besten.“

Fast alles ist erlaubt

Auch Mohammed Furkans Gesicht sieht makellos aus – dabei ist der 17-Jährige in seiner Gewichtsklasse sogar Deutscher Meister und steht regelmäßig im Ring. Seinen Titel darf er nächste Woche nicht verteidigen: Mohammed macht eine Ausbildung beim Juwelier – und der möchte seinen Kunden keinen Lehrling mit Veilchen und Schrammen vorsetzen. „Schwierig“, nennt Mohammed seine Situation. „Ich will kämpfen – aber ich will auch arbeiten.“ Bali lacht. „Die Jungs hier sollen über das Training Disziplin kriegen. Letztlich macht sie das auch fit für den Arbeitsmarkt.“

Taekwondo, Thai-Kickboxen und die koreanische Kampfsportart Kyeok Too Ki bietet der türkischstämmige Kölner an, dazu normales Boxtraining mit persönlichem Trainer. Die meisten Kleinen machen Taekwondo, die Größeren Thai-Kickboxen, bei dem das Kickboxen mit dem Thaiboxen kombiniert wird – Tritte, Schläge, Kniestöße, alles erlaubt. Nach Aufwärmübungen, Zirkel- und Pratzentraining fliegen im Schweißdunst die Fäuste.

Eins gegen Eins, Vollkontakt, ohne Kopfschutz. Hussein und Kevin dreschen plötzlich wie wild aufeinander ein, Wut scheint in ihren Augen aufzublitzen, die anderen bilden eine Traube um sie. Die Aggressionen verdampfen nicht in der schweißgeschwängerten Luft, sie sind jetzt greifbar. Bali grinst. „Die können was, oder?“, sagt er. Wenig später liegen die zwei am Boden, lachen, umarmen sich. Friedlich, das Böse ist zerschmettert. Bis zur nächsten Runde.

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