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Neue EinschätzungErosion im Boden soll Kölner Stadtarchiv zum Einsturz gebracht haben

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Feuerwehrmänner bei Bergungsarbeiten beim Einsturz der Grube 2009 (Archivfoto)

Feuerwehrmänner bei Bergungsarbeiten beim Einsturz der Grube 2009 (Archivfoto)

Köln – Die primäre Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs im März 2009 könnte die Bildung eines Erosionskanals unter der Baugrubensohle gewesen sein. Diese These hat am Freitag im Prozess um die Havarie am Waidmarkt, in dem zwei frühere Bauleiter und zwei Beschäftigte der Kölner Verkehrs-Betriebe angeklagt sind, der Geotechniker Prof. Matthias Pulsfort vertreten.

Die Verteidigung hatte den 63-Jährigen, der das Erdbaulaboratorium Wuppertal leitet und seit einiger Zeit für die Baufirmen tätig ist, die mit der Errichtung des Gleiswechselbauwerks für die Nord-Süd-Stadtbahn beauftragt waren, als Sachverständigen benannt. Nach ihrem Willen soll er ein Gegengewicht vor allem zu Prof. Hans-Georg Kempfert bilden, den das Landgericht als Gutachter bestellt hat und der davon ausgeht, primäre Ursache sei Baupfusch: Durch eine schadhafte Stelle in einem zum Archivgebäude hin gelegenen Stützwandteil der Baugrubeneinfassung sei eine gewaltige Menge Erdreich in die Baugrube gerutscht.

Erosion im Boden soll schuld sein

In seinem Vortrag über „mögliche Alternativ-Szenarien zum Havariefall Baugrube Waidmarkt“ legte Pulsfort dar, warum er eine andere Auffassung als Kempfert vertritt. Zwar sprach auch er von einer „Fehlstelle“, doch deren Kiesfüllung sei vollständig mit einer Stützflüssigkeit „gesättigt“, also verschlossen gewesen und habe bis vor der Havarie kein Wasser durchgelassen: „Die Stelle war nicht von Anfang an hydraulisch aktiv.“ Wohl aber könnte sie durch das Geschehen im Erosionskanal „aktiviert“ worden sein.

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Seinen Berechnungen legte der Experte etliche Untersuchungsergebnisse zugrunde, deren sich auch Kempfert bedient hat, zog wiederholt aber andere Schlüsse. Unter anderem ging es um die Mengen an gefördertem Grundwasser, Pegelstände, am Archivgebäude gemessene Setzungen während der Aushubphase und Resultate „geophysikalischer Erkundungen“. Als Pulsfort auf den großen Andrang des Grundwassers zu sprechen kam, der es nötig gemacht hatte, mehrere zusätzlich Brunnen zum Abpumpen anzulegen, sagte er: „Es ist sehr dramatisch, was da geschehen ist, das war nicht vorherzusehen.“

Kein menschliches Verschulden

Seine Betrachtungen schloss er mehrfach damit, dieser oder jener Umstand sei ein „Anhaltspunkt“, ein „Hinweis“ darauf, dass sich unterhalb der Braunkohleschicht, sich vom Fuß eines Tiefenbrunnens zur Stützwand mit der Fehlstelle hinziehend, jener Kanal gebildet haben könnte. In einem Zusammenhang redete er vom „Verdacht, dass es da unten einen signifikanten Dichteunterschied“ gegeben habe, eine „Auflockerung“ des Erdreichs, und formulierte vorsichtig, dies lasse „einen Erosionskanal nicht ausgeschlossen sein“.

Dieser unbemerkte Kanal, ohne menschliches Verschulden entstanden, könnte eine plötzliche Bodenbewegung hervorgerufen haben.

Dafür skizzierte Pulsfort zwei Alternativszenarien: Entweder sei bei einem Anstieg des Wasserdrucks, dem die Pumpleistung der Brunnen nicht gewachsen gewesen sei, der Boden unter der Baugrube aufgerissen und unter der Stützwand hindurch Erdreich „nachgekommen“. Oder die Braunkohleschicht sei „nach oben aufgebrochen“, ein Teil der herandrängenden Massen sei durch den Kanal in die Baugrube gerutscht und ein anderer durch die Fehlstelle, weil deren zuvor stabile Füllung „aufgedrückt“ worden sei.

Aus Sicht des Geotechnikers ist das letztere Szenario wahrscheinlicher. Doch er drückte sich behutsam aus: Dass der Erosionskanal Auslöser der Havarie gewesen und die Fehlstelle „hydraulisch aktiv geworden“ sei, „halte ich nicht für rigoros ausschließbar“. Um die These zu erhärten, müssten weitere Untersuchungsbohrungen in der Grube vorgenommen werden.

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