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Rede mit Orgelkonzert übertöntGroßer Aufstand bei Kölner Abi-Feier 1968

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Elf Abiturienten des Dreikönigsgymnasiums trafen sich nach 50 Jahren auf der Domplatte und erinnerten sich an ihre denkwürdige Abschlussfeier.

Elf Abiturienten des Dreikönigsgymnasiums trafen sich nach 50 Jahren auf der Domplatte und erinnerten sich an ihre denkwürdige Abschlussfeier.

Köln-Innenstadt – Mehr 68! Mit schwarzem und rotem Edding-Stift hat Josef Wolf diese Parole auf einen Karton geschrieben. Wörter wie Mut, Leidenschaft, Klarheit, Engagement stehen auch darauf. Und Ungehorsam. Auf den ersten Blick will sich das nicht so recht ins Bild der elf ergrauten Herren fügen, die sich zum 50. Jahrestag ihres Abiturs am Kölner Dreikönigsgymnasium auf der Domplatte getroffen haben. Gutbürgerlich sehen die meisten von ihnen aus: der Genetik-Professor Peter Schreier; Wolf selbst, der als Business-Coach und Mediator für die Industrie arbeitet, und Wolfgang Schmitz, der es vom Schulsprecher bis zum WDR-Hörfunkdirektor gebracht hat.

Einzig der Bilderrahmen-Händler Herbert Küppers erinnert mit verwaschenen Military-Shorts und Wanderstiefeln an das Klischee eines Alt-68ers. Passend dazu hat er ein Schild mitgebracht, aufgepflanzt auf einen Teleskop-Stiel, darauf ein einziger Begriff: weniger. Weniger Konsum, weniger Eigensinn, weniger Besitzstreben. Dafür tritt Küppers mit seiner ganz persönlichen Protest-Aktion ein.

Erinnerungen an Studentenrevolte

Mehr oder weniger – zwischen diesen Polen bewegt sich die Erfahrung einer Generation, die geprägt ist durch die Studentenrevolte. Ihr Geist ist für Wolf, Küppers, Schmitz und ihre Konabiturienten – zu insgesamt 17 waren sie damals, am 12. Juni 1968 – bis heute lebendig. Zumal sie an ihrer „Penne“ mit einem Aufstand am Entlassungstag Geschichte, Schulgeschichte geschrieben haben: „Zwischenfall am Dreikönigsgymnasium“, titelte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in seinem Bericht über „die gestörte Rede“ (siehe Ausriss). Die „Störer“ waren aber nicht etwa die Schüler. Vielmehr wurde ihr Klassensprecher Michael Dorn von Lehrern am Reden gehindert, als er zur Kritik an einem „Autoritätsverständnis an Haupt und Gliedern“ ansetzte, das sich „bis auf den heutigen Tag gehalten“ habe, „das wir für gefährlich halten“.

Um die Gefahr solch aufmüpfiger Reden zu minimieren, hatte Oberstudiendirektor Gottfried Rick die Abiturientia dazu verdonnert, ihre Dankesworte zur Zeugnisvergabe nicht auf Deutsch zu halten, sondern in den vier am Dreikönigsgymnasium gängigen Fremdsprachen: Englisch, Französisch, Latein und Altgriechisch. „Weil wir als die Schlimmsten galten, bekamen wir quasi zur Strafe die schwierigste Sprache, Altgriechisch, aufgebrummt“, sagt Schmitz schmunzelnd. „Aber Michael Dorn, unserem Primus, hat das nichts ausgemacht.“

Schüler verließen unter Protest die Aula

Nur hielt Dorn sich eben nicht an die Vorgabe, sondern wechselte nach den ersten Sätzen ins Deutsche. „Unser Physiklehrer sprang an die Mikrofonanlage und übersteuerte sie, so dass ihr Kreischen Dorns Worte untergehen ließ. Zugleich ließ der Musiklehrer das Schulorchester Georg Friedrich Händels Orgelkonzert Nummer 2 anstimmen, um den Sprecher zu übertönen“, erinnert sich Josef Wolf. Als daraufhin ein Teil der Schüler unter Protest die Aula verließ, war der Eklat perfekt. „Wir liefen an Eltern und Gästen vorbei nach draußen“, erzählt Herbert Küppers. „»Schämt euch!«, riefen die einen, »Bravo!« die anderen.“ Seine Mutter sei unter denen gewesen, die sich den Aufrührern anschlossen und mit ihnen den Saal verließen. Weil ein „Stadt-Anzeiger“-Mitarbeiter mit in der Aula saß, erfuhr am nächsten Tag ganz Köln vom „Missklang“ der „verhinderten Rede“.

Konsequenzen? „Keine“, sagt Schmitz. „Wir waren ja weg. Und die Zeugnisse bekamen wir von unserem Hausmeister, dem Herrn Scheidgen, in die Hand gedrückt.“ Spätfolgen hatte der Vorfall vielmehr für Schulleiter Rick. Die Landesregierung, der das zuvor kirchliche „Tricoronatum“ damals noch direkt unterstand, war längst auf den dortigen Dauerkonflikt um Repression und Rebellion aufmerksam geworden. Wenig später wurde Rick auf einen Verwaltungsposten in Düsseldorf transferiert. „Strafversetzt“, sagt Schmitz. Es klingt nach Genugtuung.

Autoritäre Führung war umstritten

Dass Ricks autoritäre Führung im Lehrerkollegium nicht unumstritten war, ist Schmitz und seinen Konabiturienten von einst noch wichtig zu erwähnen. „Unser junger Griechisch-Lehrer etwa und der Kunst-Lehrer, Ex-Mann der berühmten evangelischen Theologin Dorothee Sölle, standen auf unserer Seite. Ein anderer Lehrer beriet uns bei der Vorbereitung der Protest-Rede.“

Dorn seinerseits, der beim Jubiläumstreffen nicht dabei war, trat den sprichwörtlichen „Marsch durch die Institutionen“ an. Er wurde erst selbst Lehrer am Dreikönigsgymnasium, dann Dezernent, und implantierte die Prinzipien der Reformpädagogik an seiner alten Schule.

Hat sie also tatsächlich gesiegt, die linke „Elite“ der 68er mit ihrem „ideologischen Feldzug gegen das Bürgertum“, wie CSU-Mann Alexander Dobrindt jüngst ätzte? Herbert Küppers zieht die Augenbrauen zusammen und schüttelt den Kopf. „So sieht es nicht aus, es ist doch heute schlimmer, als es je war.“ Mutlosigkeit präge die deutsche Politik, Mattheit die Gesellschaft. „Wer stellt sich denn noch dagegen, wenn der Staat den Bürgern immer mehr Rechte nimmt? Wir müssen uns einfach mehr trauen.“ – „Und wir Alten“, ergänzt Josef Wolf, „wir haben doch jetzt die Zeit dazu. Wir könnten unsere Tradition fortsetzen.“ Mehr 68 eben.

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