Vom Schandfleck zur OaseEbertplatz ist der neue In-Platz bei den Kölnern

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Urlaub am Brunnen auf dem Ebertplatz

Köln – Architekten nennen den Ebertplatz gern als ein Paradebeispiel für den Brutalismus-Stil – der Begriff kommt vom französischen „béton brut“ („roher Beton“), lässt sich allerdings durchaus auch als brutale Architektur bezeichnen. Die Brutalität am Ebertplatz hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in den Menschen, die den Platz aufgesucht haben. Am Freitagnachmittag ist der Platz das Gegenteil von brutal: Die Gesichter glänzen vor Freude, vogelzarte Gestalten kieksen durchs Wasser, das zur Freude aller seit einer Woche wieder sprudelt.

Mindestens 100 Kinder spielen am späten Nachmittag rund um das Kunstwerk des verstorbenen Wolfgang Göddertz, das 1977 eröffnet worden war und stillgelegt 20 Jahre dazu beitrug, dass der Platz zur Betonwüste verkam. Dealer und Alkis sitzen im Schatten, sie werden von der tosenden Menge absorbiert. Großväter machen Selfies mit ihren Enkeln, auch Vorbeigehende zücken ihr Handy – der Brunnen ist momentan wohl das meistfotografierte Kunstwerk nach dem Dom.

„Ich habe jahrzehntelang nicht mehr hier gesessen, jetzt war ich schon ein paar Mal da“, sagt Elisabeth Steynen, die in der Nachbarschaft wohnt und mit ihren Urenkeln gekommen ist. „Der Platz ist wie verwandelt.“ Jacqueline und ihr Sohn Max lagern mit Strandtuch und Campingbox seit 10 Uhr am Morgen vor dem Brunnen. „Das ist unser Sommerurlaub“, sagt die Mutter.

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So viel Sonnenschein war seltenMeryem Erkus, Kuratorin der Galerie Gold & Beton und Mitausrichterin des Sommerfestes, das am Freitag stattfindet, sagt: „Es ist so toll, dass wir alle, die wir uns für den Platz engagieren, das zusammen erreicht haben. Das Schöne ist, dass der Ebertplatz jetzt wieder zum Sitzen genutzt wird“, sagt sie. Das sei umso besser, „da die ganze Stadt Köln einen großen Missstand an Sitzgelegenheiten hat“.

Ab sofort haben die Menschen eine zusätzliche Holzplattform zum Verweilen, an der am Freitagnachmittag noch Studenten der RWTH Aachen hämmern. „Wir haben keine Zeit für Interviews, wir müssen in zwei Stunden fertig sein“, sagt Nina Gonzalez. Keine Zeit, weil etwas fertig werden muss – das hat man am Ebertplatz lange nicht gehört.

„Vielleicht ist der Brunnen der Umdreher für den ganzen Platz“, frohlockt die Bildhauerin und Performance-Künstlerin Julia Bünnagel, die am frühen Abend ein Konzert gibt. Als später die Bands Nassau, Winterkälte und Angelica Summers im Bereich der Passagen spielen, füllt sich der Platz. Die Künstlerin Pia Litzenberger hat Tische an den Sitzvorsprüngen des Platzes aufgestellt: Die Installation soll an „Kämpfe und Dispute“ erinnern, die rund um den Platz ausgetragen wurden, der in der Vergangenheit als „Schande“, „Irrtum“ oder „Zumutung“ beschrieben wurde. So viel Sonnenschein wie jetzt war lange nicht. Brutal sind am Freitag nur noch zwei Plakate, die Bilder des Kölner Fotografen Martin Plüddemann zeigen: eine schonungslose Nahaufnahme eines Gesichts, das nur das Innere der Augen, Haut und Poren zeigt. Weichgezeichnet werden die Fotos durch die Sommermenschen davor.

Auch das Nonsens-Schild vor dem Eingang zur U-Bahn, auf dem in großen Lettern steht: „I – Information. Informationen folgen in Kürze“ stört keinen. Dazu passt nur, dass die Siegerentwürfe von Ideen zur künstlerischen Gestaltung der stillgelegten Rolltreppen am Freitag nicht wie geplant gezeigt werden können: Die Kommunalpolitiker brauchen eine Woche mehr Zeit. Am Wochenende zieht schonmal das „Institut für alles Mögliche“ in die Galerieräume der „Tiefgarage“ ein. Und tauft den Ort um in: Gemeinde Köln. Die Verwandlung geht also weiter.

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