Interview„Zigeuner – eine Art zu leben“

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Markus Reinhardt (r.) und Rudi Rumstajn (Bild: Franz Schwarz)

Markus Reinhardt (r.) und Rudi Rumstajn (Bild: Franz Schwarz)

Köln – Sie organisieren das erste große Rheinische Zigeunerfestival mit. Wir sind überrascht: Darf man wieder Zigeuner sagen?

Markus Reinhardt: Natürlich. Was soll man sonst sagen? Sinti und Roma? Das würde es nicht treffen. Es gibt so viele andere Stämme. Ich kenne sie nicht alle. Das deutsche Wort ist im Dritten Reich negativ besetzt worden. Aber es bleibt das deutsche Wort für uns.

Im deutschen Sprachgebrauch ist aus Zigeuner der „herumziehenden Gauner“ geworden. Ist es dann nicht besser, so einen negativ belasteten Begriff nicht zu verwenden?

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Markus Reinhardt ist in Köln geboren, stand mit sechs Jahren das erste Mal auf einer Bühne und fuhr mit Familienmitgliedern von Auftritt zu Auftritt. Mit 16 Jahren hatte er keine Lust mehr auf die traditionelle ungarische Zigeunermusik und Strauss-Walzer, für die seine Familie engagiert wurde. „Ich will nicht als Zigeuner, sondern als Musiker Geld verdienen“, habe er seinem entrüsteten Vater gesagt. Ein Jahr später gründete er mit zwei Cousins und seinem Bruder seine eigene Gruppe. Der heute 54-jährige Geiger und Familienvater hatte auch klassischen Unterricht, arbeitet mit modernen Komponisten und vielen bekannten Musikern. Seine Band heißt Markus Reinhardt Ensemble. Der Jazzgitarrist Django Reinhardt ist Markus’ Großonkel.

Rudi Rumstajn kam als 20-Jähriger mit seiner Familie aus Kroatien nach Deutschland. Nach einer Lehre als Gas- und Wasserinstallateur arbeitete er in verschiedenen Berufen. So war er sowohl Türsteher am Ring als auch Anleiter in Beschäftigungsprojekten für Arbeitslose. Befristete Jobs sind nötig, weil er von der Musik allein nicht leben kann. Seine umjubelte Band EleganCi pausiert zur Zeit. Beim Zigeunerfestival spielt er gleich in drei Formationen mit, auch im neuen Projekt Tsigadje. Der 47-jährige Familienvater engagiert sich in zahlreichen sozialen Projekten. (fra)

Das Rheinische Zigeunerfestival wird am 7. Juni am Kennedy-Ufer gefeiert. Das Programm beginnt nach der Fronleichnams-Schiffsprozession. Bands aus Köln und Umgebung, aber auch aus Ungarn, Polen, der Ukraine und den Niederlanden treten ab 14 Uhr auf. Am Abend spielen etwa das Markus Reinhardt Ensemble und Kalyi Jag. Das Festival wird auch vom LVR finanziell unterstützt. Der Eintritt für das „Fest der Begegnung und Bewegung“ ist frei.

Der Rom e. V. bedauert, dass das Festival unter dem Namen „Zigeuner“-Festival stattfindet. Viele Roma und Sinti lehnten diese Bezeichnung für sich ab. Der Verein nimmt trotzdem teil und hofft auf eine rege Diskussion. Sein Jugendchor tritt auf. Freitag bietet er um 10 Uhr einen Tanzworkshop (Venloer Wall 17) an.

Kalyi Jag und Caci Vorba, eine polnisch-ukrainische Band, spielen bereits am Mittwoch, 6. Juni, bei der „Zigeunernacht“ in der Lutherkirche in der Südstadt. Einlass 19 Uhr, Eintritt 18 Euro. Bei einer Swing-Nacht in der Lutherkirche am 6. Juni wird der Film „Django Reinhardt – A Jazz Tribute“ gezeigt. Das deutsch-holländische Triska Ensemble steuert Live-Musik bei. Anschließenden ist Swing-Party. Einlass 19 Uhr, Eintritt: 14 Euro.

Reinhardt: Ihr dürft uns Zigeuner nennen. Die Vorsicht im Umgang mit dem Wort ist Blödsinn. Die neuen Begriffe haben Politiker erfunden. Wir Zigeuner haben uns krummgelacht, als man entschieden hat, dass man nicht mehr Zigeuner sagen darf.

Rudi Rumstajn: Wenn sich einer lieber Roma nennt, ist das auch in Ordnung. Das muss jeder selbst entscheiden. Aber man muss nicht alles so dogmatisch sehen.

Was bedeutet es für Sie, ein „Zigeuner“ zu sein?

Rumstajn: Mit der Bezeichnung verbinde ich etwas, was mich stolz macht. Das ist ein Gefühl, eine Art zu leben.

Bei einem Auftritt mit der Band EleganCi auf einer kleinen Karnevalsbühne haben Sie sich selber mit den Worten anmoderiert: Haltet eure Portemonnaies fest, hier kommen die Zigeuner. Und dann ein Lied drüber gemacht. Verstärkt man nicht so die Klischees?

Rumstajn: Mein Vater war Clown im Zirkus. Man muss über sich selber lachen können. Ist doch klar: Wenn man einen Zigeuner sieht, hält man sein Portemonnaie fest, oder? Das mache ich auch. Das ist ein Automatismus.

Werden Sie für das Fehlverhalten anderer in Mithaftung genommen?

Reinhardt: Wir müssen uns permanent für andere rechtfertigen. Die wenigstens wissen: Viele von denen, die hierhin kommen und Kinder zum Klauen losschicken, sind gar keine Zigeuner. Das sind organisierte Gruppen, mit denen wir nichts zu tun haben. Kinder zum Klauen loszuschicken, liegt nicht in unserer Kultur.

In Deutschland steckt man Leute gern in Schubladen: Sie sind beide Sinti, deutsche Staatsbürger, einer mit, einer ohne Migrationsgeschichte. Wie bezeichnen Sie sich selbst?

Rumstajn: Ich bin erst mal Deutscher, lebe in diesem Land und habe Verpflichtungen diesem Land gegenüber.

Reinhardt: Ich fühle mich zuallererst als Kölner.

Viele aus Ihrer Familie sind in der NS-Zeit umgebracht worden. Könnte man sich bei so einer Familiengeschichte nicht auch bewusst gegen Deutschland entscheiden?

Reinhardt: Aus der Familie meines Opas sind 14 Personen im KZ gewesen, sieben sind nicht wiedergekommen. Trotzdem hat die Familie gesagt: Egal, was passiert ist, wir bleiben hier. Sie waren nicht verbittert. Die Alten haben uns vermittelt: Es waren nicht alle Deutschen gleich, viele haben uns geholfen, selbst ihr Leben riskiert. Auf der anderen Seite gab es natürlich auch die vielen Momente, wo man zusammensaß und einfach nur geweint hat, weil die Hälfte der Familie fehlte.

Ist das Zusammenleben verschiedener Kulturen in Köln leichter als anderswo?

Reinhardt: Köln ist offener als andere Städte. Wenn ich hier an der Theke stehe, habe ich in zehn Minuten Kontakt.

Gibt es eine richtige Szene für Zigeunermusik in Köln?

Reinhardt: Es gibt eine Szene, aber ein normaler Deutscher bekommt davon nichts mit. Sie geht nicht richtig nach vorne. Zigeuner spielen gerne, wollen aber nicht proben. Viele spielen für sich zu Hause und wollen gar nicht damit in die Öffentlichkeit.

Rumstajn: Wir versuchen, das zu ändern. Wir arbeiten daran, dass mehr passiert. So wie dieses Festival.

Reinhardt: Das Festival kann ein Impuls sein, um die Szene nach vorne zu bringen. Es soll auch junge Leute auf den Geschmack bringen. Wir haben zum Beispiel eine junge Gruppe dabei, die auf Romanes rappt. Dass es so etwas gibt, weiß auch kaum keiner.

Wenn Rapmusik auch Zigeunermusik sein kann, wird es etwas unübersichtlich: Volksmusik, Operette, Balkan, Klassik, Jazz – gibt es überhaupt eine typische Zigeunermusik?

Reinhardt: Die Zigeuner haben immer da Musik gemacht, wo sie gelebt haben. So haben sich immer Einflüsse und Musikstile vermischt. Diese Vielfalt zeigen wir auch mit diesem Festival.

Rumstajn: Überall gibt es traditionelle Musik, die Zigeuner aufgreifen, ausschmücken, verändern, etwas harmonischer machen. Typische Instrumente der Region werden eingebaut, aber zum Teil anders benutzt. Das ist eine faszinierende Kultur.

Reinhardt: Zur Mischung kommt die Art, wie Zigeuner die Musik spielen. Ich kann hören, ob es ein Zigeuner ist, der Geige oder Gitarre spielt. Nehmen wir Django Reinhardt: Der hat im Grunde einfache Unterhaltungsmusik gemacht. Die besondere Qualität entsteht durch die Art, wie er das gespielt hat. Er geht mit dem Instrument um wie mit Stimme und Sprache. Im Grunde kann man sagen: Zigeunermusik ist der Ausdruck einer Lebensart.

Mit dem Festival präsentieren Sie ein spannendes Programm für alle Kölner. Welche Bedeutung kann es für die in Köln lebenden Zigeuner haben?

Rumstajn: Mit dem Festival wollen wir einen Beitrag dazu leisten, endlich dahin zu kommen, wo man hingehört – nicht nur in der Musikszene. Es geht um mehr Selbstbewusstsein und darum, aus der Isolation in der Gesellschaft rauszukommen. Die Leute brauchen Kontakte und Bekanntschaften, müssen raus aus ihrer Ecke. Man muss miteinander leben. Wenn man sich isoliert und immer die Opferrolle übernimmt, geht man unter wie die Indianer.

Reinhardt: Es ist wichtig vor allem für jüngere Leute. Wenn die uns auf der Bühne sehen, können sie stolz auf ihr Volk und ihre Kultur sein. Das ist ein guter Beitrag zur Integration.

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