Interview mit Richard Bargel„In der Musik habe ich Heil gesucht“

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Richard Bargel beim Gespräch in der Redaktion

Richard Bargel beim Gespräch in der Redaktion

Köln – Herr Bargel, Sie sind ein hünenhafter, freundlicher Mann. Waren Sie eigentlich irgendwann mal ein kleines, freches Kind?

RICHARD BARGEL: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube ich war ein hypersensibler, sehr weicher lieber Knabe.

Es heißt ja immer, die Musik der jungen Jahre prägt die Hörgewohnheiten als Erwachsener. Welche Musik haben Sie als Kind gehört? War die auch weich und lieb?

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BARGEL: Die ganzen alten Schlager von Caterina Valente bis Gerhard Wendland waren es und was es damals alles gab. Womit ich dann aber angefangen habe Musik zumachen, das sind die Folk-Songs – amerikanische, englische, irische… Ich habe in dieser Zeit auch viele deutsche Chansons gesungen. Brecht war dabei, Kreisler. Dann gab es in den 60er Jahren die Folk-Festivals auf der Burg Waldeck, da waren Leute wie Degenhardt, Wader, Reinhard Mey. Das war eine große Riege an Chansonniers, die da aufwuchs.

Stichwort Brecht: Hat Ihnen das die Tür zum Theater, Ihrer zweiten Leidenschaft neben der Musik, geöffnet? Sie sind ja auch als Schauspieler im Theater aktiv und haben fürs Fernsehen gearbeitet...

BARGEL: Seltsamerweise hatte diese Tür schon mein Vater aufgemacht. Er war ein sehr musischer Mensch, er hat Geige gespielt, war als junger Mann beim Wandervogel, hat ein Haus für kulturelle Veranstaltungen gegründet. Die waren schon sehr darauf aus, Verständnis für verschiedene Völker und Kulturen zu wecken. Und sie haben damals schon Reisen ohne die Eltern gemacht – das war ein Aufbäumen gegen die enge, bourgeoise Welt, in der sie aufgewachsen sind.

Wie haben Sie als Heranwachsender selbst Ihren Platz im Leben gesucht?

BARGEL: Ich kam aus einem trotz allem sehr, sehr beengten Elternhaus, von Vaters Seite. Der war im Wirtschaftsministerium als Diplom-Volkswirt. Zu Beginn meiner Pubertät hatte er einen Herzinfarkt bekommen, war für mehrere Jahre zu Hause bettlägerig und hat sich da zu so einer Art Tyrann entwickelt. Er hatte immer zwei Gesichter, die ganz plötzlich wechseln konnten. Ich war darauf meistens nicht vorbereitet. Das war schon eine sehr starke psychische Belastung.

War die Musik für Sie also eine Flucht?

BARGEL: Auf alle Fälle. Das war so richtig ein Rückzug in die Musik. Diese Unterdrückung durch meinen Vater hatte mich sehr sprachlos gemacht, ich habe mich nicht mehr geäußert und alles in mich hineingefressen und in der Musik mein Heil gesucht.

Alle kamen sich als große Künstler vor und alle zeichneten Penisse.

Das alles passierte ja in Bad Godesberg, wo Sie aufgewachsen sind. Wie begann dann Ihre Kölner Zeit?

BARGEL: Als mein Vater tot war, habe ich in Bonn noch ein Jahr lang eine Druckerlehre gemacht, bis mich der Chef rauswarf. Damals kam nämlich der ganze Protest, denn ich in mich reingefressen hatte, nach außen. Und es wuchsen die Haare, die Nächte wurden länger… Das vertrug sich nicht mehr mit der Lehre.

Als Sie dann in Köln waren, ging das Experimentieren, ging die Auflehnung doch erst richtig los…

BARGEL: Stimmt. 68 bin ich auf die Werkkunstschule am Ubierring gegangen, der gleiche Jahrgang wie Wolfgang Niedecken auch. Da habe ich es aber nicht lange ausgehalten, weil wir 25 bis 30 Schüler in einer Klasse waren. Alle kamen sich als große Künstler vor und alle zeichneten Penisse. Das war die große Sache damals, Penisse und Scheiden zu malen und davon Modelle zu fertigen – das fand ich nicht gut. Dann hatte ich auch noch einen Professor, der sich nie sehen ließ. Gleichzeitig war ich schon in einer Künstlergruppe, die nannte sich Coom. Die hatte ihr Domizil an der Luxemburger Straße Ecke Universitätsstraße, gegenüber dem Uni-Center. Es war so ein halb zusammengebombter Altbau. Schriftsteller waren dabei, bildende Künstler, Musiker. Es war die Zeit des Neumarkt der Künste mit Ingo Kümmel und so weiter. Ich hab’ Bilder gemalt und Zeichnungen, habe Aktionskunst gemacht und Happenings und solche Geschichten. Und ich habe mir gesagt: Was soll ich an der Kunstschule? Da hatte sich das mit dem Kunststudium von alleine erledigt. Das andere Leben war viel spannender.

Hatten Sie das Haus damals gemietet oder war es schon die Zeit der Hausbesetzungen?

BARGEL: Das war damals noch keine Hausbesetzung, das war richtig gemietet, aber für 'nen Appel und ’n Ei, weil es keiner haben wollte. Ich habe mir mit Ziegeln und Gips im Treppenhaus ein Zimmer zurecht gemauert – hatte auf dem Treppenabsatz mein Bett stehen.

Wovon haben Sie denn damals gelebt?

BARGEL: Das frage ich mich heute auch. Ich hatte noch ein bisschen Unterstützung durch meine Mutter. Ich habe auch schon kleinere Konzerte gegeben, habe ab und zu auch mal ein Bild verkauft. Man brauchte damals auch nichts – jedenfalls nicht viel. Bis heute brauche ich eigentlich nicht viel. Ich bin anspruchslos, als Konsument bin ich eine absolute Niete. Ich habe kein Auto, keinen Flat-Bildschirm…

Was bedeutet für Sie denn dann Lebensqualität?

BARGEL: Im Moment bin ich zu großen Teilen sehr glücklich, weil ich nach vielen, vielen Jahren eine Frau gefunden hab, die absolut gut zu mir passt und ich auch zu ihr, wo es absolut keine Machtspielchen gibt, jeder lässt dem anderen seine Freiheit – ich nenne sie Mojo. Zweitens bin ich in der Lage, meine Musik zu spielen, was mich auch sehr glücklich macht. Das einzige, wo es in meinem Leben noch nicht stimmt, ist das Finanzielle. Das ist immer ein Auf und Ab. Früher ist man damit leichter umgegangen, aber heutzutage, wo man auch mehr Verantwortung hat, fällt es immer schwerer nicht zu wissen, was am Monatsende übrig bleibt. Das ist das einzige, was mich manchmal bedrückt.

Trotz dieser Sorgen scheinen Sie ein in sich ruhender und zufriedener Mensch zu sein. Welche Rolle spielt dabei die Anerkennung, die Sie für Ihre Musik bekommen?

BARGEL: Eine große, natürlich. Ich war schon als Kind immer auf Anerkennung aus. Gleich nach der Geburt war ich, weil meine Mutter krank wurde, erst mal bei Pflegeeltern, war auch mal im Kinderheim. Da bleibt sicher was hängen. Ich war später dann der Clown in der Familie, der immer was produzieren musste. Ich konnte mit sieben, acht Jahren fast den ganzen Wilhelm Busch auswendig und vor versammelter Familie rezitieren. Das waren so meine Versuche, Aufmerksamkeit und Anerkennung zu finden.

Richard Bargel (63) wurde in Frankfurt am Main geboren und wuchs in Bad Godesberg auf. 1969 gründete er mit Klaus dem Geiger in Köln die Künstlerkommune „Tabernakel“, arbeitete als Aktionskünstler, Straßenmusiker und Puppenspieler. Schon in den frühen 70er Jahren galt er aufgrund seines virtuosen Gitarrenspiels als „Bottelneck Giant“.

Im Laufe der Jahre spielte und tourte Bargel mit zahlreichen internationalen Blues-Größen, etwa Elvis Costello, Champion Jack Dupree, Eddy Boyd, Memphis Slim und Charlie Musselwhite.

Ende der 80er Jahre war Bargel als Musiker, Bühnenbildner und Regieassistent für TV-Sendungen wie Michael Schanzes Telefant und das WWF-Sprungbrett tätig.

Seit 2008 spielte Bargel mit dem Ex-BAP-Gitarristen Klaus „Major“ Heuser als „Men in Blues“, seit 2013 mit seiner neuen Band „Dead Slow Stampede“. (hp)

www.richardbargel.de

Das haben Sie dann später konsequent weitergemacht, als Autor, als Zeichner und eben auch als Musiker – das öffentliche Auftreten war Ihnen ja nie fremd. Ist die jetzige Schauspielerei für Sie eher Spaß oder Profession?

BARGEL: Schauspielern ist zum größten Teil sehr viel Spaß. Mir macht es sehr viel Freude, in Rollen zu schlüpfen – einfach um zu sehen, wie weit komme ich an die Qualitäten anderer Schauspieler heran. Ich habe ja keine Ausbildung, was das angeht. Ich glaube aber, ich habe da ein ziemliches Talent.

Sie sind ein eher sanfter Mensch…

BARGEL: Ich habe ein sehr, sehr niedriges Aggressionspotenzial, muss ich sagen. Meine Wut rauszuschreien, das hat erst so um 1970 mit dem Blues angefangen. Da hatte ich plötzlich das Vehikel gefunden. Ich habe damals auf der Bühne auch mehr geschrien als gesungen und war sehr aggressiv in meinem Spiel, und das für eine sehr lange Zeit.

Wo haben Sie damals in Köln Ihren Platz gesehen? Sie sind ja mit Klaus dem Geiger herumgezogen, den man als Naturereignis wahrgenommen hat – brüllend, wirre Haare, grob selbst zusammengenähte Hose und Jacke. Manch einer fühlte sich in der Fußgängerzone ziemlich belästigt…

BARGEL: Das Publikum mag es eben nicht, wenn man zu nah, zu emotional wird. Dann zucken die Leute oft zurück.

Aber das ist doch genau das, was ein Künstler erreichen will…

BARGEL: Richtig, das ist auch mein Ziel. Was Klaus angeht, ist es bei mir auch eine zwiespältige Sache. Ich habe ihn 1969 kennengelernt, er war gerade frisch aus Amerika zurück. Er hatte da eine Dozentur und war ganz stark in die Hippie-Bewegung reingerutscht. Hatte auch wohl ein paar LSD-Trips geschluckt, von denen er dann nicht mehr ganz runtergekommen ist (lacht). Er war damals auf der Suche nach Leuten, mit denen er was zusammen machen konnte, und bei Coom und mir gab es Streitigkeiten. Wir haben uns unterhalten und festgestellt, das könnte eine spannende Sache werden. Wir haben dann nach Räumlichkeiten gesucht, haben bei Bekannten übernachtet, bis wir an der Bottmühle 5 in der Südstadt Räume gefunden hatten. Vorne hat Klaus mit Frau und seinen drei Kindern gehaust, die anderen, mittlerweile waren es an die zehn oder zwölf Kommunarden, haben die anderen Zimmer bezogen. In einem glasüberdachten Raum haben wir eine Teestube hergerichtet, unten im Keller waren Probe- und Veranstaltungsräume. Am Anfang war es kaum politisch, sondern künstlerisch ausgerichtet, das heißt wir haben versucht, Theaterstücke zu erarbeiten auf der Grundlage von Living Theatre-Übungen. Wir haben morgens sehr diszipliniert angefangen und sonntags Puppentheater für Kinder gespielt, da kamen die Kinder von den ganzen Hippies aus der Umgebung, ein paar bürgerliche auch. Das haben wir nicht nur im Tabernakel, sondern bei schönem Wetter auch draußen aufgeführt. Und dann sind wir, ob es regnete oder schneite, zu viert raus und haben Straßenmusik gemacht. Klaus allein hat ja schon ziemliches Aufsehen erregt, aber zu viert – wir sahen abenteuerlich aus! Es war immer wieder ein Aufruhr. Und sofort war auch immer wieder die Polizei da.

Mit welcher Begründung hat die Staatsmacht Sie denn auf dem Kieker gehabt?

BARGEL: Meistens waren es die Geschäftsleute, die angerufen hatten. Weil wir den Verkehr störten. Und dann noch langhaarig und schmuddelig… Das war in den 60ern und 70ern teils noch die Nachkriegsgeneration, Leute, die den Hitler noch nicht ganz überwunden hatten. Es war ein Spießrutenlaufen.

Das reine Vergnügen scheint das ja dann nicht gewesen zu sein. Warum sind Sie überhaupt losgezogen und haben sich in die Schildergasse gestellt?

BARGEL: Die Straßenmusik haben wir gemacht, um die Kommune zu ernähren. Tabernakel hat sich dann ganz langsam politisch radikalisiert .Das ging sehr stark von Klaus aus und einem anderen Kommunarden, der später aus Amerika zu uns stieß, Bruno Eckhardt hieß der. Und er war die Initialzündung für mich, den Blues zu spielen. Ich kannte Blues zwar schon früher, aber Bruno brachte eine zwölfsaitige Gitarre mit, hatte die schon offen gestimmt und spielte den Blues mit diesem Röhrchen auf dem Finger, diesem Slide. Das hat mich so fasziniert, und von da an war ich nur noch Bluessänger.

Wie sah denn der Alltag in der Kommune aus?

BARGEL: Dieses Kommunardenleben war sehr anstrengend. Erst mal war es ein Skandal für die ganze Nachbarschaft, was da abging. Das hat die Fantasie der Kölner ins Uferlose ausschweifen lassen – in diesem Tabernakel passieren nur Orgien und Rauschgift und und und…

Und, war das so?

BARGEL: Nein, nein. Natürlich hat man mit 'nem Mädel geschlafen, aber es gab keine Orgien, Rauschgift auch nicht, nee. Zu dem Zeitpunkt hat auch kaum einer gehascht. Wie gesagt, am Anfang war das sehr diszipliniert mit den künstlerischen Arbeiten, Ausstellungen, Theater, Konzerten. Da waren alle möglichen Leute da, etwa von Ton Steine Scherben, welche von Can, Kagel von der Neuen Musik. Es war Tag und Nacht offen, war ein ständiges Kommen und Gehen. Wir waren nicht die einzige Kommune in Köln, es gab noch die Horla-Kommune. Die waren ganz radikal. Die haben überall gehaust. Horla ist eine französische Sagengestalt, die den Menschen hinten auf dem Buckel sitzt und sie aussaugt. Die Horla-Kommunarden haben sich irgendwo eingenistet, sind nicht mehr weggegangen, haben den Kühlschrank leergefressen und gesagt: Hier simmer. Aber Tabernakel war halt die Kommune die sehr öffentlich war und durch Arbeit auffiel.

Wie ist es, wenn Klaus der Geiger und Sie sich heute sehen? Ist das wie ein Veteranentreffen nach dem Motto: Weißt du noch damals?

BARGEL: Es gibt Diskrepanzen (er sucht nach Worten). Natürlich sagt man sich gutenTag… Es ist später zu einem ziemlichen Krach gekommen, weil alles allen gehörte. Wenn nicht alles so lief wie Klaus das wollte, dann wurde er ganz schön unangenehm. Was mich aber hauptsächlich störte, war sein radikales, sehr agitatorisches Auftreten, in dem ich einen Funken Fanatismus zu entdecken glaubte. Das liegt mir absolut nicht und ich mag’s bis heute nicht. Ich wollte damals auch die Polizei, die uns von der Straße holen musste, nicht so provozieren, dass die immer ekelhafter und fieser wurden.

Sie scheinen sich zu diesem Zeitpunkt nicht sonderlich wohl gefühlt zu haben. Eigentlich wollten Sie doch wohl hauptsächlich Musik machen. Fühlten Sie sich in Ihrer Kunst eingeengt?

BARGEL: Ja, ich wollte mich einfach weiterentwickeln. Ich war immer und bin auch heute noch ein sehr politischer Mensch, aber die politische Agitation geriet mir damals einfach zu weit in den Vordergrund. Das ist ja auch heute so: Überall wo Fanatismus ausbricht, da sterben die Leute. Schon in der Schule habe ich nichts von Prügeleien gehalten. Ich fand das immer nur doof.

Ende der 70er Jahre, da kamen die ersten Ausfälle im Konzert. Ich merkte, du kriegst das nicht mehr in den Griff.

Als Künstler braucht man aber doch Zähne, um sich durchbeißen zu können und nicht über den Tisch gezogen zu werden...

BARGEL: Das ist ja mein Problem, dass ich zu wenig aggressiv bin, keine positive Aggression habe. Das fehlt mir schon, das merke ich auch. Es ist ein großes Manko, dass ich mich häufig nicht richtig durchsetzen konnte.

Sie hätten in Köln vermutlich präsenter sein können…

BARGEL : Es hat sicher seinen Ursprung irgendwo im Elternhaus, aus dem ich nicht mit großem Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen hervorgegangen bin. Ich hatte wenig Ahnung davon, wie es in der Welt draußen aussieht. Und wenn man sich dann auch nicht gut ausdrücken kann, dann ist es schwer, sich durchzusetzen und seine Karriere als Musiker zu machen. Dann kamen noch ein paar Tiefschläge dazu. Ich bin ja Alkoholiker, das war meiner Karriere auch nicht sehr nützlich. Und ich hatte den Hörsturz, nach dem ich wieder neu anfangen musste.

Gehörte der Alkohol damals zum Image eines Musikers so ganz selbstverständlich dazu? Man stellt sich ja immer so den trinkfesten Rock’n’Roller vor...

BARGEL: Natürlich gehörte das dazu, das war klar – Sex und Drugs und Rock’n’Roll und Freiheit über alles. Ich bin nach Köln gekommen, und dann ist das wie ein Druckkochtopf explodiert, vor allem nach der Tabernakel-Phase, da ging“s erst richtig los bei mir. Als ich als Bluessänger immer mehr unterwegs war, war es einfach so, dass mehr getrunken wurde bei den Konzerten. Ich hatte auf der Bühne immer Reihen von Getränken stehen, die die Leute ausgegeben hatten, das gibt’s heute gar nicht mehr. Da waren Schnäpse, alles mögliche, und die hast du natürlich getrunken – das Publikum war besoffen, du auch.

Sind Sie selber drauf gekommen, dass es so nicht weitergehen konnte?

BARGEL: Es hat lange gedauert. Im Laufe der 70er Jahre hat es sich gesteigert, wobei ich selbst es überhaupt nicht mitbekommen habe. Das erste Mal gemerkt habe ich es Ende der 70er Jahre, da kamen die ersten Ausfälle im Konzert. Ich merkte, du kriegst das nicht mehr in den Griff. 1978 bin ich dann nach Südfrankreich gezogen. Und da, in diesem herrlichen Weinland, habe ich dem Rotwein sehr zugesprochen. Da geriet es immer mehr außer Kontrolle und die ganzen 80er Jahre waren, obwohl ich noch sehr viel Konzerte gegeben habe, der Höhepunkt der Sauferei.

Haben Sie da an sich selbst gelitten? Es muss doch schlimm gewesen sein zu merken, dass man als Künstler nicht mehr das leistet, was man eigentlich könnte...

BARGEL: Nein, in der ersten Zeit habe ich eine Koexistenz mit dem Alkohol geführt. Der war halt da, und er war eine Zeit lang ein Freund. Jedes mal, wenn ein Konzert daneben ging, dann war der Kater am nächsten Tag sehr stak, aber der Verdrängungsmechanismus, der war auch so stark, dass du für dich keine Konsequenzen gezogen hast. Ende der 80er Jahre kam der Punkt an dem ich mir sagte, ich hör’ auf – auch auf den Druck meiner damaligen Frau, die versuchte, mir das alles mal vor Augen zu führen. Was ich dann auch eine recht lange Zeit durchgehalten habe. Dann kam aber die Versuchung einfach mal rauszufinden, was passiert denn, wenn du wieder was trinkst…

Seit wann sind Sie nun trocken?

BARGEL: Seit 2000. Davor war ich ein total anderer Mensch.

Das war in den 60ern und 70ern teils noch die Nachkriegsgeneration, Leute, die den Hitler noch nicht ganz überwunden hatten.

Dann gab es noch einen weiteren Nackenschlag. So ein Hörsturz ist für einen Musiker doch die absolute Katastrophe…

BARGEL: Das ist ja bei jedem anders. Bei mir ist es so ein Scheppern im Ohr. Am Anfang, im September 2012, war es ein Schock. Dieses Verzerren, das sich wie ein kaputter Lautsprecher anhört… Als ich dann meine Dobro, die silberne Gitarre, anschlug, das hat so gescheppert – ich dachte, ich könnte nicht mehr weiter Musik machen. Da brach was zusammen, ich spürte, wie mir der Boden unter den Füßen wegzugleiten drohte. Da kam eine unheimliche Angst hoch. Mein Arzt sagte mir, das wird schon wieder. Aber es wurde nicht. Und dann setzte der Mechanismus ein, der mein ganzes Leben da war: dieses dagegen Aufbäumen. Dass es nicht sein darf und nicht sein kann. Ich habe wieder angefangen, Gitarre zu spielen, trotz der Geräusche – ganz verhalten, weil es da nicht so schepperte. Ich habe mich in die Arbeit gestürzt, habe zwei Monate nach dem Hörsturz die ganzen Lieder für die neue CD geschrieben. Vier Monate danach habe ich im Theater Die Baustelle in Köln mit den neuen Songs das erste kleine Konzert gespielt, um mich auszuprobieren.

Fühlen Sie sich nun stärker als zuvor, nachdem Sie sich derart aufgerappelt haben?

BARGEL: Natürlich fühle ich mich ein bisschen stärker, aber es ist auch so, dass ich immer wieder verunsichert werde. Ich bin oft zu vorsichtig, weil mir immer noch das genügende Selbstvertrauen fehlt.

Würden Sie heute noch mal so etwas machen wie die wöchentliche Veranstaltung Talking Blues, die Sie von 1992 bis 2000 hatten?

BARGEL: Nein. Die Kraft hätte ich nicht mehr. Das war eine enorme Mühle. Das ist übrigens etwas, was viele Alkoholiker auszeichnet: Dass sie alles 200-prozentig machen, nur um ihrer Umwelt und sich selber beweisen zu können, sie sind keine Alkoholiker und sie schaffen unheimlich was.

Das Gespräch führten Peter Pauls und Horst Piegeler

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