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Ex-Polizist zum Gladbecker Geiseldrama in Köln„Ich sagte: Mach sofort den Dom zu!“

Lesezeit 4 Minuten
Umringt von Schaulustigen und Reportern steht der Fluchtwagen in der Breite Straße.

Umringt von Schaulustigen und Reportern steht der Fluchtwagen in der Breite Straße.

Köln – Herr Granitzka, zurzeit ist in der ARD ein Zweiteiler über die Gladbecker Geiselnehmer Rösner und Degowski zu sehen. Sie waren damals der stellvertretende Einsatzleiter der Kölner Polizei und haben schlimme Erinnerungen an das bald 30 Jahre zurückliegende Drama. Der Polizeieinsatz ist damals gründlich schiefgelaufen. Geht Ihnen das heute wieder durch den Kopf?

Natürlich. Die deutsche Polizei war überhaupt nicht vorbereitet auf so eine Geschichte. Es ist unglaublich viel hin und her gegangen, auch was die Befehlsgewalten angeht. Heute liegt das in einer Hand. Wir haben damals erst anschließend dafür gesorgt, dass in Nordrhein-Westfalen spezielle Einheiten aufgestellt werden; bestimmte Stäbe, die solche Fälle übernehmen. Vorher war das fast schon desaströs.

Zur Person

Winrich Granitzka (74) war als Polizeibeamter federführend beim Kölner Einsatz zum Gladbecker Geiseldrama sowie bei den Geiselnahmen von Aachen und Deutz. 2004 wurde er in den Stadtrat gewählt, zwischen 2005 und Sommer 2014 war er CDU-Fraktionschef. Granitzka ist in zweiter Ehe verheiratet. Er hat zwei Söhne, Michael und Ulrich. (red)

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Als die Geiselnehmer in Köln waren, von wo aus wurde der Einsatz geleitet?

Wie saßen im alten Polizeipräsidium am Waidmarkt. Zuvor waren die Geiselnehmer in Münster. Ich wusste genau, in einer Stunde und 15 Minuten können die in Köln sein. Genau das habe ich dem Polizeipräsidenten Jürgen Hosse gesagt. Wir haben dann sofort den Führungsstab einberufen. Auf Veranlassung des Innenministeriums haben wir die Zuständigkeit von den Kollegen in Gelsenkirchen übernommen.

In dem Fluchtfahrzeug befanden sich Abhörwanzen.

Wir dachten anfangs, die Täter wollen ins Heilig-Geist-Krankenhaus in Longerich, um die Verletzung der Lebensgefährtin Rösners behandeln zu lassen. Deshalb haben wir mit unseren Fahrzeugen einen künstlichen Stau erzeugt, in dem wir die Geiselnehmer überwältigen wollten. Dann hörten wir, dass sie zum Dom fahren wollten. Ich habe sofort den damaligen Domkapitular angerufen, Heinrich Barlage, ein guter Freund von mir. Ich sagte, mach sofort den Dom zu! Frag bitte nicht, mach den Dom zu! Er hat zum Glück gleich reagiert.

Haben sich die Geiselnehmer im Auto unterhalten?

Sie haben miteinander gesprochen, auch mit den Geiseln. Auch die beiden Geiseln haben geredet. Sie haben teilweise gelacht, das hat uns sehr erstaunt. Die beiden haben natürlich auch die Geiselnehmer gefragt: Wann kommen wir endlich raus hier?

Der Zwischenstopp der Täter auf der Breite Straße ist ein äußerst unrühmliches Kapitel Mediengeschichte.

Der Wagen war innerhalb kurzer Zeit von Journalisten umringt, noch bevor die Polizei da war. Die Szenen sind ja zigfach beschrieben worden. Es gab Dinge, die uns entsetzt haben. Der damalige Pressesprecher Werner Schmidt, ein hervorragender Polizist, hatte sich unter die Menschen gemischt, um die Situation in dem Fluchtwagen auszuspähen und Handlungsoptionen auszuloten. Ein Kölner Journalist warnte Rösner und Degowski mit den Worten: Pass auf, das ist ein Bulle. Dann setzte sich der Zeitungsjournalist Udo Röbel auch noch von sich aus in den Wagen, damit hatten die beiden eine weitere Geisel. Als der BMW Richtung Königsforst weiterfuhr, folgte ihm ein Pulk von Medienleuten. In der Einsatzzentrale wurden wir von einem SEK-Beamten gefragt, ob sie auf die Reifen der Journalisten-Autos schießen sollten. Unsere Leute haben die Fahrzeuge der Presse dann ziemlich robust abgedrängt.

Welche Erinnerungen haben Sie an den misslungenen Zugriff auf der Autobahn bei Siegburg?

Wenn ich da heute vorbeifahre, sehe ich das Auto noch immer da stehen. Wir hatten das Fluchtfahrzeug so präpariert, dass wir den Motor ausschalten konnten. Unsere Kollegen wollten, so wie sie es tausendmal geübt hatten, den stehenden Wagen rammen, ihn damit in eine bestimmte Position bringen und dann auf die Geiselnehmer schießen. Genau in dem Moment, in dem das Auto getroffen werden sollte, ruckelte es zwei, drei Meter nach vorn und geriet so in einen andere Position. Dann begann eine Schießerei. Es war entsetzlich. Wir hörten die Schüsse über Funk. Danach Totenstille. Ich war wie versteinert. Vor mir lagen die Fotos der jungen Frauen. Ich hatte gebetet: Lieber Gott, lass die beiden, die uns anvertraut sind, überleben. Dann hörten wir einen lauten Ruf: Täter festgenommen, Geiseln befreit, niemand verletzt. Auf einmal ein Schrei: Sanitäter, Rettungswagen, Rettungswagen, die verblutet mir unter den Händen. Silke Bischof war knapp unter dem Herz getroffen worden. Das hat sich wahnsinnig eingeprägt bei uns, ich spüre das teilweise bis heute. Es ist so schwer, weil wir uns dafür verantwortlich fühlten, die Geiseln zu retten. Das ist uns nicht gelungen.

Vor einigen Wochen wurde Dieter Degowski mit unbekannter Identität auf Bewährung aus der Haft entlassen. Wie bewerten Sie die Entscheidung des Gerichts?

Ich halte das für falsch. Es geht mir nicht um Rachegedanken, aber ich bin der Meinung, resozialisiert werden kann nur, wer vorher sozialisiert war. Die beiden waren unglaublich brutal.

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