Abo

Investieren statt JammernSo trotzt ein Kölner Gastronom der Corona-Krise

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt (2)

Restaurantbesitzer Sascha Halm

  • 72 Prozent der Gastronomie- und Hotelbetriebe in NRW kämpfen ums Überleben. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbandes.
  • Auch Sascha Halm, Chef des Restaurants Alte Schule in Köln-Brück, hatte große Einbußen.
  • Doch Aufgeben war nie eine Option. Im Gegenteil, er investiert in die Zukunft. Vor allem in saubere Luft in seinen Sälchen.

Köln – In Brück läuten die Glocken. Eine Beerdigungsgesellschaft begibt sich in die Kirche. Gleich zwei Häuser weiter werden die Tische im Gasthaus „Zur Alten Schule“ gedeckt. Chef Sascha Halm hat zu tun. An diesem frühem Mittag sitzt bereits eine Familiengesellschaft in einem der schönen Sälchen in dem 200 Jahre alten Backsteinhaus, das einst die Dorfschule war. Draußen auf der idyllischen Terrasse blühen noch die Rosen – und aus dem „neuen“ Grundschulgebäude, Baujahr 1961, gleich nebenan dringt Lachen und Gemurmel nach draußen. Die Schüler haben Unterricht.

Gutbürgerlich mit Anspruch wird in der „Alten Schule“ im Kölner Osten gekocht. Auf der Mittagskarte stehen Königsberger Klopse (11,30 Euro), aber auch Ziegenfrischkäse mit Datteln und Sesamkrokant (13,50 Euro). Die Geschäfte laufen: „Wir sind noch da, weil wir den Kopf nicht in den Sand gesteckt haben“, sagt Sascha Halm (54). „Und immer voraus gedacht haben.“

Derzeit beschäftigt er sich mit den Wintermonaten. Von der Heizpilzdiskussion hält er wenig. „Die Leute wollen doch nicht in der Vorweihnachtszeit unter diesen Dingern sitzen“, ist er überzeugt. Deshalb hat er nun Lüftungsanlagen bestellt, die die Aerosol-Belastung durch die Atemluft minimieren sollen. Vier Stück braucht er für seine Räume, jede kostet 4000 bis 5000 Euro. „Außerdem werde ich noch CO2-Messgeräte aufstellen. Die Leute sollen sich absolut sicher fühlen. Wir spüren ja die Angst. Manche kommen nicht, wenn sie hören, dass draußen nichts frei ist.“

20.000 Euro für Lüftungsanlagen

Außerdem: Wenn die Lüftungen da sind, falle der Mindestabstand in den Räumen weg und somit könne er alle 60 Plätze besetzen und wirtschaftlich arbeiten. Das Weihnachtsgeschäft ist lebenswichtig für das Lokal. Bisher muss der Abstand – außer bei Familienfeiern – eingehalten werden. „Eigentlich auch ein Wahnsinn, da dürfen bis zu 150 Leute zusammen sitzen.“ Allerdings auch nur bei „herausragenden Anlässen“. „79. Geburtstag geht nicht, es muss schon ein runder sein. Die Leute vom Ordnungsamt haben wirklich keinen leichten Job, das alles zu kontrollieren.“

In diesen Zeiten 20.000 Euro in den Betrieb zu stecken, ist für viele Gastronomen utopisch. Doch Halm hat schon im Mai einen Kredit beantragt und auch bekommen. Denn er überzeugte die Bank davon, dass er jetzt investieren muss. Weil er ab Herbst kaum noch Geld mit den 40 Plätzen auf der Terrasse verdienen wird. Er rechnete vor, was er voraussichtlich in diesem Jahr an Verlust einfahren wird – das war nach dem kompletten Shutdown teilweise bis zu 60 Prozent.

Gleichzeitig konnte Halm aber seine guten Bilanzen der letzten Jahre vorlegen. „Und 2020 wäre super geworden, wir hatten Traumbuchungen.“ Die Bank gewährte den Kredit, die Rückzahlung beginnt erst in einem Jahr. Halm machte so einen Eindruck mit seinem Plan, dass die Bank das Finanzierungsmuster auch anderen Gastronomen angeboten hat.

Insolvenz macht keinen Sinn

„Eine Insolvenz macht keinen Sinn, die Last wird man nie mehr im Leben los. Aber Corona ist irgendwann vorbei.“ Mit dem Kreditpolster könne er nun wieder ruhig schlafen. Doch Betriebe, die schon vor der Krise auf wackeligen Füßen standen, kriegen natürlich kein Geld, meint Halm. „Da ist jeder auch selbst in der Verantwortung.“

Die „Alte Schule“ ist kein In-Treff, liegt nicht in einem hippen Viertel und wird von keinem Instagrammer beworben – obwohl es sich als Motiv durchaus eignen würde. Hier werden die Anwesenheitslisten noch auf Papier geführt, weil viele ältere Gäste mit einem QR-Code nicht zurechtkommen.

Aber das Gasthaus gehört ins Dorf. 25 Jahre lang führten Sascha Halms Eltern das Haus, das sie für eine Mark von der Stadt gekauft hatten. Sie sanierten das einsturzgefährdete Gebäude, unter anderem mussten alle Steine aus dem morschen Gebälk genommen, nummeriert und wieder eingefügt werden. 2016 übernahm dann Sascha Halm. „Wir sind hier der Fels in der Brandung“, sagt er. Zwei Gastronomiebetriebe gleich gegenüber stehen derzeit leer – allerdings gaben die Kollegen schon lange vor Corona auf.

Das könnte Sie auch interessieren:

Aufgeben kam für Halm aber zu keinem Zeitpunkt infrage. Auch nicht beim Lockdown. „Den 15. März vergesse ich mein Leben lang nicht.“ Nach einer kurzen Schockstarre hat er sofort mit dem Außer-Haus-Verkauf begonnen und Gutscheine angeboten. Bei der Brauerei bestellte er altmodische Siphons, um Bier außer Haus verkaufen zu können. „Wir haben kommuniziert: Bitte helft uns.“ Das Echo war überwältigend. Ein Stammkunde zahlte im Voraus 3000 Euro für die Weihnachtsfeier, von der ungewiss war, ob sie stattfinden kann. Halm senior half an den Ostertagen, die Bestellungen auszuliefern.

Stolz auf die Mitarbeiter

Stolz ist Halm auch auf seine acht Mitarbeiter. Sie sind noch in Kurzarbeit, alle sind zu flexiblen Einsätzen bereit – etwa zwei Stunden mittags und zwei Stunden abends zu den Stoßzeiten. Den Azubi hat Halm wie versprochen übernommen. Da sei er ganz Unternehmer „alter Schule“. Und für ihn selbst ist es eine ganz neue Erfahrung, abends auch mal zu Hause bleiben zu können.

Die Glocken läuten wieder. Die Beerdigungsgesellschaft aus der Kirche kommt in die „Alte Schule“. Die Schulkinder nebenan haben jetzt frei und rollern über die Terrasse nach Hause. Sascha Halm packt in der Küche mit an. „Heute Abend sind wir auch schon gut gebucht.“ Und dann muss er auch noch die neue Ausgabe seines Info-Faltblatts „Schulheft“ verschicken und mailen, in dem er die Gäste über die neue Lüftung informiert. Im Oktober soll sie laufen.

KStA abonnieren