Jetzt rege ich mich aufWerte im Fußball, gibt es die überhaupt, liebe FC-Fans?

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Jörg Schmadke wurde beim Spiel des FC gegen Wolfsburg am Samstag von FC-Fans beleidigt.

  • Jede Woche bewertet Frank Nägele in seiner Kolumne „Jetzt rege ich mich auf” die aktuelle Nachrichtenlage oder einfach nur das, was er täglich so erlebt.
  • In dieser Folge geht es um die heiligen Werte des Fußball, die immer dann beschworen werden, wenn abseits des Rasens mal wieder Unerträgliches geschieht.
  • Seien es die rassistischen Äußerungen eines Clemens Tönnies oder die jüngsten verbalen Exzesse von FC-Fans gegen Jörg Schmadtke am Wochenende – beides Vorfälle ohne Konsequenzen.
  • Aber was für Werte sind damit eigentlich gemeint? Die Werte, die aus vielen Spielen in Deutschland Hochrisikospiele mit massiver Polizeipräsenz machen? Die Werte, die dafür sorgen, dass schwule Fußballer immer noch Angst haben müssen, sich zu outen?

Wann immer sich Menschen im Fußball massiv daneben benehmen, ist die Rede von den Werten dieses Spiels. Am Wochenende ist das wieder passiert. Die Fans des 1. FC Köln haben den Wolfsburger Sportdirektor Jörg Schmadtke beleidigt. Der war bis vor knapp zwei Jahren noch Sportdirektor des 1. FC Köln und hat in einer Phase der Abwärtsbewegung mit einer ordentlichen Abfindung das Weite gesucht. Deshalb wurde er am ersten Bundesliga-Spieltag von vielen Hundert FC-Anhängern als „Betrüger“ gescholten und musste sich während des Spiels Unflätigkeiten anhören, die an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden können. Das ist nicht schön. Der 1. FC Köln hat sich unter Hinweis auf seine Werte davon distanziert.

Unanständigkeiten wie die hier beschriebene sind im Fußball normal und bleiben im weiteren Sinne immer folgenlos. Wer auf dieser großen Bühne steht und mitspielen will, so die unausgesprochene Auffassung einer nicht zitierbaren Mehrheit, muss das abkönnen.

Was können diese Werte des Fußballs sein?

Das hat auch Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp erfahren müssen, der auf Spruchbändern in anderen Stadien regelmäßig schwer beleidigt wird und sich nicht dagegen wehren kann. Worte werden relativ, wenn sie im Umfeld des Fußballs fallen. Etwa so, als würden sie von Kindern ausgesprochen, die noch nicht wissen können, was sie da sagen. Der Skandal um Clemens Tönnies ist keine drei Wochen alt, und schon droht seine unbestreitbar rassistische Beleidigung des afrikanischen Kontinents zu einem Fall ohne Konsequenzen zu werden. Der starke Mann des FC Schalke hat sich nach seinen Auslassungen bei einer Rede vor Unternehmern eine dreimonatige Auszeit verschrieben, der Ehrenrat des Klubs hat ihn freigesprochen, der DFB hat sich vertagt und angekündigt, er werde noch Monate zur Aufklärung brauchen. Aber natürlich, so beschwören alle, seien die Werte des Fußballs heilig. Und keiner dürfe sie verletzen.

Frank Nägele ist Redakteur im Sport-Ressort. In seiner Kolumne schreibt er über alles, was (ihm) im Leben wirklich wichtig ist.

Frank Nägele ist Redakteur im Sport-Ressort. In seiner Kolumne schreibt er über alles, was (ihm) im Leben wirklich wichtig ist.

Hm. Ich frage mich: Was könnten diese Werte des Fußballs sein? Sind es die Werte der mächtigen Verbände, die aus dem weltweiten Interesse für den Volkssport mit ihrem ausgeklügelten Intrigenspiel Milliarden Dollar, Euro und Franken saugen? Sind es die Werte der Scheichs, Oligarchen und Investoren, die sich des Fußballs auf höchster Ebene bemächtigt haben, um eine Form von Beachtung und Glamour zu erreichen, die für sie auf normalem Weg unerreichbar geblieben wäre? Sind es die Werte, die aus vielen Spielen in Deutschland Hochrisikospiele machen, deren Durchführung ohne massive Polizeipräsenz unmöglich wäre?

Sind es die Werte, die Gegner generell in verachtenswerte Feinde verwandeln, die es zu schmähen, bedrohen und zu verprügeln gilt? Sind es die Werte, die konsequent verhindert haben, dass Frauen in den Gremien dieses Sports, an den Schalthebeln seiner Macht und bei der Verteilung seines immer größer werdenden Reichtums eine Rolle spielen? Sind es die Werte, die aus dem Fußball das einzige Gebiet des weltlichen Lebens gemacht haben, in dem es in unserem Land noch kein aktiv Beteiligter bis heute gewagt hat, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen? Ist es möglich, Teilnehmer an diesem vor Geld, Eitelkeit und Überbeachtung strotzenden Zirkus zu sein und sich gleichzeitig auf Respekt, Toleranz und Achtung als die wichtigsten gemeinsamen Ideale zu berufen?

Fußball ist ein Esperanto

Darüber müsste jeder, der Fußball mag, ein wenig nachdenken. Denn es gibt viele Gründe, Fußball zu mögen bis in den Bereich des Irrationalen, der diesem Faszinosum eine Wichtigkeit verleiht, hinter der objektiv viel wichtigere Dinge des Lebens verschwinden. Fußball ist ein Esperanto, das zwei Menschen, die sich zuvor nie gesehen haben, eine sofortige Unterhaltung bis in persönlichste Ebenen ermöglicht.

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Fußball kennt, wenn er gespielt wird, keine Klassenunterschiede, weshalb er seit jeher alle Schichten akzeptiert hat, im Gegensatz zu Tennis, Golf und Polo. Fußball schafft Identifikation und Anerkennung. Man muss da nicht einmal auf die Folgen des deutschen WM-Titels von 1954 verweisen.

Aber der Fußball hat, auch durch die Segnungen des Internet, alles bis zum Exzess übertrieben. Seine Allgegenwart erzeugt ein falsches Bild. Etwa ein Drittel der Deutschen interessiert sich laut einer Allensbach-Umfrage von 2019 ganz besonders für Fußball, ein knappes Drittel interessiert sich mäßig, aber nicht so sehr. Und ein gutes Drittel hat überhaupt kein Interesse an Fußball. Das ist die Gruppe, die seit 2015 am stärksten gewachsen ist. Das könnte sich noch beschleunigen, wenn der Fußball nicht begreift, zu was die Werte wirklich verpflichten, die er immer im Munde führt, wenn es ihm darum geht, von seinen dunklen Seiten abzulenken.  

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