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Frau Höpker„Zusammen zu singen bedeutet getragen sein in einer Gemeinschaft“

Lesezeit 6 Minuten
„Wer singt, macht sich glücklich“, findet Katrin Höpker.

„Wer singt, macht sich glücklich“, findet Katrin Höpker.

Köln – Frau Höpker, es heißt zwar oft, die Augen seien der Spiegel der Seele. Aber ist es nicht eher die Stimme, mit der wir sprechen, flüstern, kreischen, wispern und singen?

Ja, jedes Element, jedes Körperteil hat seinen eigenen Ausdruck. Aber die Stimme ist das Intimste im Außen, das wir haben.

Singen soll mitunter wie ein Antidepressivum wirken. Ist das die Erklärung dafür, dass das Singen wieder so populär ist?

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Singen ist total gesund. Wer singt, hilft sich selber, aktiviert sein Immunsystem, macht sich glücklich durch jede Menge Botenstoffe, die er selber produziert und ausschüttet. Und die andere Seite ist: Gemeinschaftliches Singen bedeutet aufgehoben und getragen zu sein in einer Gemeinschaft. Das ist gesellschaftlich total wichtig – zurzeit mehr denn je.

Eine von fünf Töchtern

Katrin Höpker kam im westfälischen Wulfen als eine von fünf Töchtern in einem Pfarrershaushalt zur Welt. Sie studierte Musik und evangelische Religionslehrer und ist seit 1992 Ehrenfelderin mit Herz und Seele. Seit zehn Jahren gibt es ihre Veranstaltung „Frau Höpker bittet zum Gesang“. (she)

Die Stimme zu erheben, birgt auch die Gefahr, einen Missklang zu erzeugen; erst recht wenn man singt. Viele Menschen haben in ihrer Jugend beschämende Erfahrungen gemacht und sich danach nie mehr getraut. Hören Sie das öfter?

Ja. Definitiv. Auch von vielen Männern, die aus dem Schulchor verbannt wurden oder deren Schulnote nach dem Vorsingen erstellt wurde. Ganze Generationen wurden da traumatisiert. Jungen vor die Klasse zu stellen, die im Stimmbruch sind, ist eine pädagogische Katastrophe.

Sie sind eine Pfarrerstocher. Wie erging es Ihnen in frühen Jahren?

Bei uns wurde ganz viel gesungen und musiziert. Ich habe es immer geliebt, weil es mir einen zusätzlichen Lebensausdruck ermöglicht hat mit allen Facetten und Emotionen.

Für manchen hatte das Singen in der Gruppe möglicherweise lange einen unangenehmen Beigeschmack.

Man kann Musik generell instrumentalisieren. Aber man kann auch alles ins Gegenteil bringen.

 „Frau Höpker bittet zum Gesang“ gibt es seit zehn Jahren

Kennen die Kinder heute noch die klassischen Volkslieder?

Die Frage ist nicht nur, ob sie sie kennen, sondern ob sie sie heute noch verstehen würden. Nehmen Sie „Im Märzen der Bauer“. In diesem Lied wird der bäuerliche Jahreskalender beschrieben. Aber welches Kind weiß heute noch, was eine Egge ist? Ich finde trotzdem, dass wir diese Lieder weiter singen sollten, weil sie ihren Sitz in unserem Land haben und zu unserer Kultur gehören. Vielleicht kommt dann ein Kind und fragt, was eine Egge ist. Die Mama weiß es auch nicht. Dann kann man zum Glück schnell bei Wikipedia nachschauen.

Seit zehn Jahren gibt es die Mitsingveranstaltung „Frau Höpker bittet zum Gesang“. Was hat sich im Laufe dieser Zeit verändert?

Heute ist eine größere Aufmerksamkeit da. Dadurch ist es für mich leichter auszuloten, was die Gruppe kann und das Programm entsprechend abzustimmen. Denn die Programmzusammenstellung entsteht immer am Abend selbst.

Das heißt, es ist ähnlich wie bei mir, wenn ich abends heimkomme, den Kühlschrank öffne und mir dann aus dem, was ich vorfinde, etwas koche?

Richtig, nur dass mein Kühlschrank aktuell mit 193 Titeln gefüllt ist. Und ich habe noch 1.300 weitere in meinem Vorratsraum. Schließlich möchte ich, dass jeder musikalisch satt wird.

Das gelingt?

Ich gebe mir bei der Zusammenstellung sehr viel Mühe. Ich möchte die Leute an musikalische Plätze in ihrer eigenen Biografie bringen, denn das bringt sie mit sich selbst wieder in Kontakt.

Sie haben regelmäßige Auftritte – etwa einmal im Monat im Herbrand’s oder im Henkelsaal in Düsseldorf. Gibt es auch regelmäßige Gäste?

Es gibt Leute, die kommen wie zur Yogastunde seit zehn Jahren zu meinen Veranstaltungen. Vom Studenten bis zur Seniorin sind alle Altersgruppen vertreten. Es kommen aber auch viele Kranke, die die Erfahrung machen: „Ich kann es mir da selber gutgehen lassen“.

Unterscheidet sich das Kölner Publikum von dem in anderen Städten?

Im Bremen sag ich: „Der Kölner ist in 1,5 Sekunden eingehakt.“ In der Hansestadt dauert es ’n büschen länger.

Gibt es einen Song, den Sie langsam nicht mehr hören können?

Von denen, die ich spiele, gibt es keinen, den ich mir müde gehört habe. Aber es gibt sehr viele, die nicht ins Programm reinkommen.

Welche zum Beispiel?

Alle, die man musikalisch am Klavier solo nicht gut darstellen kann.

Die Kölner feiern sehr gerne

Gibt es außer dem Publikum Kriterien, die für die Auswahl des Programms relevant sind?

Ich orientiere mich auch an dem, was gerade in der Welt passiert und versuche, das jeweilige Gefühl aufzugreifen. Wenn ein Flugzeug über den Alpen zerschellt, werde ich nicht „Über den Wolken“ spielen. Nach dem Tod von George Michael habe ich ein Michael-Medley gespielt, damit wir uns musikalisch bedanken und verabschieden können. Ähnlich war es bei Udo Jürgens. Und zum 90. Geburtstag von Gotthilf Fischer haben wir ein Fischer-Medley gesungen.

Erreichen Sie damit denn auch junge Gäste?

Absolut. Die jungen Leute Ende 20 sind total offen. Die wollen genau dieses Repertoire. Das ist nicht altbacken. Die singen auch „Schuld war nur der Bossa Nova“.

Aber wird es in Zukunft nicht immer schwieriger für Sie werden, den gemeinsamen Nennen zu finden?

Ja, weil sich jeder nur noch die Musik streamt, auf die er Bock hat. Aber in Köln arbeitet man dagegen. Gegen dieses Vergessen. Weil man die kölsche Sprache pflegt. Die Kölner haben einen gigantischen Liederfundus. Diese Stadt hat eine musikalische Identität und eine musikalische Geschichte. Das gibt es in Berlin nicht, in München nicht, das gibt es nur in Köln.

Allerdings ist an Karneval in den Kneipen und auf der Straße der Übergang zwischen Singen und Grölen mitunter fließend. Können Sie auch dieser Form der kollektiven Tonabgabe was abgewinnen?

Die Kölner feiern sehr gerne, und es gibt ganz handfeste wirtschaftliche Interessen, das weiter zu befeuern. „Jeck im Sunnesching“ ist eine Variante. Es gibt immer mehr Bands, auch gute Bands, und alle wollen spielen und ihre Auftritte machen. Ich frage mich nur, ob es irgendwann mal so was wie eine Übersättigung gibt.

Bei Ihren Abenden liegen Zettel aus, auf denen Wünsche notiert werden können. Was kommt häufig vor?

Klassiker. Abba, Beatles, Reinhard Mey. Aber auch Cat Ballou.

Was spielen Sie von Cat Ballou?

Zurzeit gar nichts, weil ich der Meinung bin, dass man die Songs überall und zudem regelmäßig bei den unzähligen Auftritten des Originals mitsingen kann.

Wie schaffen Sie es auch nach zehn Jahren, immer wieder mit so viel Elan in einen Abend zu gehen?

Wenn ich in der Garderobe sitze und über das Programm für den Abend nachdenke, bin ich eigentlich immer gut drauf. Ich weiß nicht, was passiert, weiß nicht, was mich erwartet und muss mit allen Sinnen bei der Sache sein.

Wer unterstützt Sie bei der Arbeit?

An erster Stelle mein Mann. So eine Aufgabe stemmen Sie nur im Team. Was ich auf der Bühne mache, das erledigt er im Saal. Er kümmert sich um alle Gäste, damit jeder Senior, der einen Sitzplatz benötigt, einen bekommt, aber auch um alle anderen Belange.

Was bedeutet Musik für Sie?

Ich wusste schon als Kind, wie viel Energie und Kraft in der Musik liegt. Wenn man liebevoll und behutsam damit umgeht, kann man sehr viele Menschen erreichen und glücklich machen. Das ist, glaube ich, meine Aufgabe in dieser Welt.

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