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„Habe Glück, dass ich noch lebe“Unfall-Opfer spricht über Pferde im Rosenmontagszug

Lesezeit 9 Minuten

Am 12. Februar dieses Jahres gingen im Rosenmontagszug zwei Pferde durch, die vor eine Kutsche gespannt waren. Der Kutscher und drei Zugteilnehmer wurden dabei verletzt. Das Festkomitee geht nach einer eigenen Untersuchung des Vorfalls davon aus, dass „ein Wurfgeschoss“ ursächlich für das Verhalten der Pferde war und will auch im nächsten Jahr Reiter und Kutschen im Zug erlauben. Eine Ursache stehe „bislang noch nicht eindeutig fest“, teilt die Kölner Staatsanwaltschaft indes mit. Die Ermittlungen gegen unbekannt dauern noch an. Mit Ergebnissen sei „mittelfristig“ zu rechnen.

Die Grünen haben die vorzeitige Festlegung des Festkomitees kritisiert und angekündigt, ein Verbot im Stadtrat zur Diskussion zu stellen. Auch Bürger hatten sich mit einem ähnlichen Anliegen an den Beschwerdeausschuss gewandt. Über die Eingabe ist noch nicht entschieden, der Rat könnte aber ein Verbot der Pferde beschließen. Meinolf Arnold ist Leiter des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums und einer der schwer verletzten Teilnehmer. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ sprach mit ihm über den Unfall und die Debatte über ein Verbot von Pferden im Zug.

Zur Person

Meinolf Arnold, 61 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Söhne, leitet seit 2011 das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Vorher war er stellvertretender Schulleiter am Dreikönigsgymnasium. Er ist in Köln aufgewachsen. Arnold sucht bis heute nach einer Karnevalistin, die dort stand, wo der Unfall geschah, und sofort zu ihm eilte. Er würde sich gerne bei ihr bedanken. Er würde sich freuen, wenn sie sich bei ihm oder der Redaktion meldet. (phh)

Herr Arnold, Sie waren im Rosenmontagszug in der Fußgruppe der Treuen Husaren und wurden bei dem Unfall mit einer Kutsche schwer verletzt. War das Ihr erster Zug?

Ich bin zwar bekennender Karnevalist, aber kein Mitglied beim Treuen Husaren. Im Rosenmontagszug mitzugehen war ein langgehegter Wunsch und schließlich ein Geschenk zu meinem 60. Geburtstag. Als Lehrer und Schulleiter gehe ich seit vielen Jahren bei den Schull- un Veedelszöch mit.

Wie haben Sie den Unfall erlebt?

In der Neven-DuMont-Straße merkte ich, dass unsere Gruppe sehr weit auseinandergezogen war. Die Straße ist sehr breit, und es entstand eine große Lücke im Zug. Ich wollte meinen Gang nicht zu sehr beschleunigen, weil das zu Kettenreaktionen führt, die aus einem Zug schnell einen Lauf werden lassen. Ich ging also munter werfend weiter, hatte gerade noch einem Schüler etwas zugesteckt. Dann war ich wieder zurück auf dem Zugweg. Plötzlich merkte ich, wie ich von hinten einen Stoß erhielt und unglaublich beschleunigt wurde – ohne zu wissen, warum. Ich flog einfach nach vorne auf die Straße. Dann zog etwas über mich hinweg, ich wurde mitgerissen, losgelassen, wieder mitgerissen und wieder losgelassen. Ich wusste nicht, unter was ich da gekommen war.

Sie wurden mitgeschleift, wussten aber nicht wodurch?

Ja. Ich wusste nicht, dass hinter mir überhaupt eine Kutsche war. Eigentlich war hinter uns die ganze Zeit ein Mottowagen. (Kutschen werden im Zug nie direkt hinter Fußgruppen platziert. Sie werden hinter anderen Fahrzeugen eingereiht. Vor dem Unfall konnten die Pferde einen Wagen wohl aufgrund der Breite der Straße überholen, Anm. d. Red.) Ich dachte, wenn du unter den geraten bist, wirst du das nicht überleben. Es gibt ein Video von dem Unfall. Man sieht darin, wie die zwei anderen Opfer des Unfalls von der Kutsche überrollt werden. Mich sieht man nur kurz, bevor ich mitgeschleift wurde und wie ich danach auf der Straße liege.

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Erinnern Sie sich an alles?

Ich habe in keiner Sekunde einen Filmriss gehabt. Ich bin, nachdem ich von der Kutsche überfahren worden bin, auf dem Bauch liegen geblieben. Ich wusste jetzt erstmal, dass ich überlebt hatte. Weil ich höllische Rückenschmerzen hatte, war der nächste Gedanke: Bitte, keine Querschnittslähmung! Ich bewegte erst meine Finger, dann meine Füße. Als ich alles bewegen konnte, war ich erst einmal beruhigt. Den Ersthelfern, die unheimlich schnell bei mir waren, habe ich nur gesagt: Nicht bewegen! Das haben die auch befolgt.

Sie erzählen das so nüchtern. Waren Sie panisch?

Nein. Ich hatte das Gefühl, ich wusste, was passiert war. Der Oberarzt der Unfallchirurgie aus der Uniklinik, ebenfalls Treuer Husar, war sofort bei mir. Ich wurde von ihm und allen anderen anschließend bestmöglich versorgt.

Ein glücklicher Zufall.

Ja. Es waren so viele Leute in der Nähe, die passende medizinische Kenntnisse hatten. Vielleicht ist der Karnevalszug einer der günstigeren Orte für einen Unfall.

Wann haben Sie denn die Kutsche gesehen?

Gar nicht – weder vorher, noch nachher. Ich lag auf dem Bauch und habe mich nicht mehr bewegt, trotz der Schmerzen.

War Ihre Familie in der Nähe?

Nein. Meine Frau hatte ich 500 Meter vorher passiert. Sie wusste von gar nichts. Meine Nachbarin, vor deren Augen der Unfall geschehen war, rief später meine Frau an und sagte ihr, was geschehen war. Ich wurde mit dem Rettungswagen in die Uniklinik gebracht und hatte mir vorgenommen: Das überlebst du.

Welche Verletzungen hatten Sie?

Auf der rechten Seite hatte mich vermutlich das Knie des Pferdes getroffen. Daher die Frakturen von mehreren Rippen und der Querfortsätze verschiedener Wirbelkörper. Und die Lunge war perforiert. Atmen konnte ich nur unter starken Schmerzen. Äußerlich blutete ich kaum. Ich hatte nur ein paar Schrammen im Gesicht. Mein Glück: Der Treue Husar trägt den Kolpak als Kopfschmuck. Er ist mit Pelz besetzt und wirkt im Grunde wie ein Helm.

Wie lange waren Sie außer Gefecht?

Ich war eine Woche im Krankenhaus, die ersten Tage auf der Intensivstation, danach drei Wochen zu Hause. Dann bin ich wieder in die Schule gegangen und habe mehr oder weniger erfolgreich versucht, die Arbeit zu reduzieren. Jetzt habe ich noch Schmerzen im Rücken, wenn ich mich anlehne oder mich bücke. Ich bin ja auch Sportlehrer, erteile seitdem aber keinen Sportunterricht.

Wie geht es Ihnen psychisch?

Komplett okay. Ich werde jetzt nicht panisch, weil sich Pferde in der Nähe befinden. Inzwischen schaue ich etwas länger, wenn ich eine Straße überquere, ob von hinten ein Fahrzeug kommen könnte.

Wie haben Sie die Diskussion um Pferde im Rosenmontagszug erlebt?

Probleme gab es ja auch vorher schon. Diese Bewegungs- und Verhaltensmuster, wenn Pferde sich problematisch verhalten, die haben wir alle schon einmal gesehen. Ich habe mich allerdings nicht so sehr mit den Reitpferden auseinandergesetzt. Mich hat mehr interessiert, wie das Zusammenspiel von Kutsche und Zugpferden funktioniert. Ich hätte nie gedacht, dass von ihnen eine solche Gefahr ausgeht.

Das heißt, Sie halten die Kutschen für das größere Problem?

Sagen wir so: Da kann ich eher etwas dazu sagen, weil ich mich damit beschäftigt habe. Ob man diese Einschätzungen generalisieren sollte? Ich persönlich denke: Ja. Für mich stellen Pferde im Rosenmontagszug heute keinen integralen Bestandteil mehr dar.

Das heißt, dem Zoch würde ohne Pferde nichts Wesentliches fehlen?

Die Idee des Karnevals ist es, sich auch über sich selbst lustig zu machen. Das kann ich bei der Beteiligung von Pferden nicht erkennen. Es gibt mittlerweile übergroße Pferdefiguren auf Rädern oder Steckenpferde im Zug. Das finde ich viel lustiger und karnevalistischer.

Aber Sie differenzieren.

Ja, denn ich bin ja nicht das Opfer eines Reitpferdes geworden, sondern das Opfer einer Kutsche.

Pferde sind Teil der Tradition, so argumentiert das Festkomitee. Würden Sie das anders sehen?

Nein, das ist so. Dass man früher alles mit dem Pferd gezogen hat, ist zwar richtig. Es gab ja aber keine Alternative. Heute werden die großen Wagen von Traktoren gezogen. Und hier bemüht auch keiner die Tradition. Aber wenn man heute neue Erkenntnisse über die Gefahren hat, muss man Traditionen auch aufgeben, um die Karnevalisten zu schützen. Die Massenveranstaltung heute ist weitaus anstrengender für die Tiere als früher. Ein Verwandter, der viele Pferde besitzt, sagte mir: Das Besondere an einem Pferd ist, dass es sich reiten lässt und Kutschen zieht. Dieses Verhalten unter solchen extremen Umständen zu erwarten, ist eine völlige Überforderung.

Wen würden Sie für Ihren Unfall verantwortlich machen?

Man hat ja die ganze Zeit einen Schuldigen gesucht und auch gehofft, jemanden zu finden. Aber es gibt keinen. Dass Sachen geworfen worden sein sollen, halte ich für fragwürdig.

Waren Sie in die Ermittlungen involviert?

Ich habe Anzeige erstattet und einen Anwalt eingeschaltet, denn ich war ein Opfer dieses Unfalls. Die Staatsanwaltschaft hat aber bislang keinen Schuldigen ausmachen können. Daraus muss ich doch folgern, dass die Umstände des Zugs, nämlich überhaupt Pferde mitzunehmen, verantwortlich sind. Die konkrete Situation, dass auf einmal soviel Platz war, dass die Kutsche derart beschleunigen konnte, hat dann direkt zu dem ersten Unfall geführt. Ich habe den Eindruck, dass vielen gar nicht klar ist, dass wir, die Betroffenen und der Kölner Karneval, totales Glück gehabt haben.

Was meinen Sie?

Ich persönlich habe richtiges Glück gehabt, dass ich überhaupt noch lebe. Und was viele nicht wissen: Nach dem ersten Unfall standen die Pferde für circa zehn Minuten still. Dann gingen sie ein zweites Mal durch – ohne Einwirkung von außen, und prallten mit der Kutsche vor einen Lkw. Dass vor diesem in dem Moment niemand stand, war ein unglaubliches Glück. Kurz vorher hatten dort noch viele Kinder den Zug angeschaut. Nicht auszudenken, was da alles hätte passieren können. Wäre tatsächlich jemand gestorben, würde heute kein Mensch mehr über Pferde im Karnevalszug nachdenken. Dass es nicht so gekommen ist, liegt nicht an den Vorkehrungen durch das Festkomitee.

Sollten Kutschen verboten werden? Christoph Kuckelkorn hat genau diese Entscheidung in Düsseldorf als „impulsiv“ kritisiert.

Diese Pferde, Kaltblüter, sind derart stark, dass sie große gefällte Bäume wegschleppen können. Eine gebremste Kutsche ziehen sie fast genauso schnell weiter, als wäre sie ungebremst. Der Kutscher kann nur lenken, eventuell ein bisschen bremsen. Nicht ohne Grund sitzt auf der Kutsche der englischen Königin nicht nur ein Kutscher, sondern auf dem ersten Pferd auch ein Reiter, der im Zweifelsfall eingreifen kann, wenn die Pferde durchgehen.

Würden Sie noch einmal mitlaufen?

Es kann sein, dass mir die Husaren das Angebot machen, um doch einmal den ganzen Zugweg gegangen zu sein. Ich würde annehmen, wenn sie als ein Zeichen auf Kutschen im Rosenmontagszug verzichten würden.

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