Bischofskonferenz tagt heuteSo rechnete Jürgen Becker an Karneval mit Woelki ab

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Jürgen Becker

Kabarettist Jürgen Becker

Köln – Ansturm der Austrittswilligen auf das Kölner Amtsgericht, Missbrauchs-Krise, Rebellion der Kirchenbasis: All das ist aktuell Thema auf der ersten Online-Vollversammlung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Die knapp 70 Oberhirten lassen sich von Expertinnen und Experten die Lage schildern.

So pointiert und bissig wie beim Kölner Kabarettisten Jürgen Becker dürfte die Analyse nicht ausfallen. Dabei wird aus Beckers (Gardinen-)Predigt im Rosenmontagsgottesdienst der Kölner Pfarrgemeinde Sankt Agnes  überdeutlich, woran es der Kirche derzeit mangelt und worauf es ankäme. Hier noch einmal Beckers Beitrag zur Meinungsbildung – für Bischöfe und alle Interessierten.

Wir danken der Medienfirma „Farhouse“, die ehrenamtlich das Streaming des Gottesdienstes ermöglicht und uns das Videomaterial zur Verfügung gestellt hat.

Alles zum Thema Rainer Maria Woelki

Das sagte Jürgen Becker an Karneval

In einer Predigt zum Rosenmontag hatte der Kölner Kabarettist Jürgen Becker die Kardinäle Joachim Meisner und Rainer Woelki aufs Korn genommen. Ein „System Meisner“ stehe für jahrzehntelanges Vertuschen von „massenhaftem sexuellem Missbrauch“, sagte Becker in einem karnevalistischen Gottesdienst in der Kölner Agneskirche, die vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ online gestreamt wurde. „Zum Glück macht Meisners Nachfolger das ganz anders“, so Becker weiter. Bei Woelki „gibt’s kein Vertuschen mehr. Der setzt mehr auf Verschweigen. Auf heiliges Verschweigen.“

Infolge der heftig umstrittenen Entscheidung Woelkis, ein Missbrauchsgutachten unter Verschluss zu nehmen und durch ein zweites Gutachten ersetzen zu lassen, träten „selbst engagierte Katholiken in Scharen aus der Kirche aus, wenn sie überhaupt einen Termin kriegen“, sagte Becker. Es sei schließlich auch ihr Geld, „das da vom Kardinal und Co. an sogenannte Spitzenanwälte und Kommunikationsagenturen überwiesen wird. Da wird die Kirchensteuer zur Gewissensfrage."

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Mittlerweile fehle „allenthalben das Allerwichtigste: Vertrauen. Immer mehr Menschen vertrauen der Kirche nicht mehr.“ Früher habe es über das Christentum geheißen: Kirche schlecht, Jesus gut. Heute sehe man „mit großem Respekt" die sozial engagierten Kirchengemeinden, die sich mit vielen Ehrenamtlichen unermüdlich für die Menschen einsetzten „und dabei schrecklich leiden unter dem erbärmlichen Bild, das so viele Geistliche und schmallippige Kirchenfürsten abgeben“. Deshalb gelte heute nicht mehr Kirche schlecht, Jesus gut, sondern vielmehr Kirche gut, Klerus schlecht.

Eindrucksvolle Liturgie

Die Predigt war Bestandteil einer von Pastoralreferent Peter Otten (St. Agnes) und Loss-mer-singe-Mitbegründer Georg Hinz (Domforum) gestalteten Liturgie, in der Gebete, eine Bibellesung, Fürbitten und kölsche Lieder abwechselten. Die Musiker Stephan Brings, Stefan Knittler sowie Matthias Bartsch, Kantor und Kirchenmusiker in St. Agnes, hatten vor allem Balladen und melancholische Stücke ausgesucht, die – wie der Brings-Sessionshit „Mir singe Alaaf“ – den Zusammenhalt und die Hoffnung auf Zukunft beschworen. Besinnlichkeit, Lebensfreude und gläubiges Vertrauen gingen eine Verbindung ein, über die sich Zuschauerinnen und Zuschauer im begleitenden Chat zum Live-Stream gerührt und dankbar zeigten.

Auch Innenstadtpfarrer Dominik Meiering gab in seiner Begrüßung der Freude Ausdruck, dass eine so außergewöhnliche Feier am Rosenmontag in Corona-Zeiten möglich sei, in der auch die Zuwendung Gottes zu den Menschen spürbar werden solle. „Gottesdienst ist nicht etwas, was wir für Gott tun, sondern was Gott für uns tut“, sagte Meiering.

Besonders eindrucksvoll geriet ein Ritus, bei dem die (ganz überwiegend kostümierten und corona-konform mit Abstand platzierten) Gottesdienstteilnehmer Kerzen im Gedenken an die Verstorbenen aufstellen konnten, die „nie mehr Fastelovend fiere können – oder jetzt eben an anderer Stelle“.

In seiner Predigt machte sich der Kabarettist Becker auch für die Aufwertung der Frauen in der katholischen Kirche stark. Für Reformen und den notwendigen gesellschaftlichen Fortschritt in der Kirche seien Frauen in führenden Ämtern entscheidend. „Wie soll dieser Wandel in der Kirche Einzug halten, wenn kluge Frauen nichts zu sagen haben? Wer die Hälfte der Menschheit nicht in die Leitungspositionen lässt, hat doch viel zu wenig Auswahl. Da kommen dann Gestalten unter die Bischofsmütze, die diese Ämter gar nicht ausfüllen können, auch intellektuell“, sagte Becker.

Für den nächsten Kölner Erzbischof entwarf Becker ein satirisches Anforderungsprofil, bestehend aus zwei Elementen. „Er sollte auf keinen Fall katholisch sein. Sonst wird man in der Vergangenheit forschen, und dann kommen womöglich doch wieder unappetitliche Vertuschungen und übelste Vertuschungen ans Licht.“ Dieses Risiko könne die Kirche „nicht noch einmal eingehen“.

Nächster Kölner Erzbischof eine Frau

Zudem, so Becker unter lautem Applaus der Gottesdienstbesucher, sollte der nächste Kölner Erzbischof eine Frau sein. Er schlug die evangelische Ex-Bischöfin von Hannover, Margot Käßmann, vor. „Die hat Berufserfahrung, die hat Würde, das richtige Alter, die ist fromm, und die kennt sich mit Martin Luther aus.“ Der Reformator habe „dem sündigen Klerus die Stirn geboten“.

Zum Schluss seiner Predigt, die online von etwa 10.000 Menschen live verfolgt wurde, entließ Becker die Zuhörenden mit dem traditionellen Gruß „Gehet hin in Frieden“, ergänzt um „Mut und Tapferkeit, so wie diese Gemeinde hier heute bewiesen hat".

Organisator zieht Bilanz

Mitorganisator Klaus Nelißen zog im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger" eine rundum positive Bilanz. „Wir wollten dem Karneval einen bergenden Raum bieten", sagte Nelißen. Normalerweise brauche der Karneval dafür nicht die Kirche, schon gar nicht an Rosenmontag. „Aber in diesem Jahr empfanden wir es als eine echte kölsche Lösung, den Karneval in die Kirche zu holen - mit all seinen Facetten."  Dazu gehörten Traditionsgesellschaften wie „Die Große von 1823" ebenso wie die von Jürgen Becker mitbegründete „Stunksitzung". Ein Karneval, der nicht auch weh tue, sei banal und belanglos, sagte Nelißen. Kritik an den Mächtigen bis hin zum Umsturz bestehener Machtverhältnisse liege zudem in der Dynamik der christlichen Botschaft und biblischer Texte wie des für den Gottesdienst ausgewählten „Magnificat". Dort heißt es unter anderem: „Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen."

Nelißen berichtete von „überwältigendem Zuspruch" und bislang mehr als 30.000 Abrufen des Gottesdienstes im Internet. „Viele haben geschrieben, sie hätten selten einen so schönen Gottesdienst erlebt."

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