Jürgen Becker vs. Jaques TillyWas den Kölner und Düsseldorfer Karneval unterscheidet

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Herrensitzung im Düsseldorfer Karneval.

Köln – Was unterscheidet die Städte Köln und Düsseldorf? Und was unterscheidet die Art, wie dort jeweils der Karneval gefeiert wird? Wir haben den Düsseldorfer Wagenbauer Jaques Tilly und den Kölner Kabarettisten Jürgen Becker nach ihrer Meinung gefragt:

Prollig gegen elitär - Das sagt Jaques Tilly zum Kölner Karneval

Ich habe da so eine Theorie. Ich denke, dass Städte genau wie Menschen die unterschiedlichsten Charaktermerkmale aufweisen. Alle Stadtbewohner werden geprägt von einem speziellen Kollektivgeist, der bisweilen lange Traditionslinien hat. Und die Biografien von Köln und Düsseldorf können verschiedener nicht sein. Weshalb die Differenzen zwischen den beiden Rivalen am Rhein real sind.

Während Köln schon im Hochmittelalter auf eine tausendjährige Geschichte schauen konnte, war Düsseldorf damals ein winziges Fischerdörfchen. Erst mit der Industrialisierung wuchs im Norden für die Metropole Köln ein ernsthafter Konkurrent heran. Doch der bis heute prägendste Unterschied ist folgender: Während die Kölner sich schon im Mittelalter von ihrem bischöflichen Landesherrn emanzipierten und seitdem ein freies Bürgertum in der Domstadt das Sagen hatte, stand in der Residenzstadt Düsseldorf jahrhundertelang das Stadtschloss im Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Die ganze Stadt richtete sich am Adel aus. Das wirkt bis heute. Dank der Prachtentfaltung am Hofe entwickelte sich Düsseldorf zur eleganten „Kunst- und Gartenstadt“. Reichtum wird hier bis heute nicht versteckt, sondern inszeniert.

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Die Kölner hingegen verachten alles Elitäre – oder das, was sie dafür halten. Sie sind mächtig stolz auf ihre bodenständige Volkstümlichkeit – für die die Düsseldorfer zumeist nur ein Wort haben: prollig. An Selbstbewusstsein sind die Kölner nicht zu toppen. Ihre chronische Selbstbesoffenheit ist für Außenstehende bisweilen schwer zu ertragen. Doch wer seine vermeintliche Überlegenheit so vollmundig in Szene setzt, der will möglicherweise nur seine Selbstzweifel übertönen. Vielleicht hat der Kölner einfach nur Angst, dass er vielleicht doch nicht so überlegen und beneidenswert ist, wie er vorgibt zu sein.

Ein Beispiel: Köln wirbt damit, „tolerant bis unter die Haarspitzen“ zu sein. Doch die Kölner Stadtgeschichte belehrt uns eines Besseren: Seit der Renaissance setzt Köln auf Abschottung. Hier wurden schon früh Luthers Schriften verbrannt, Protestanten wurden hingerichtet und vertrieben. Den Juden erging es nicht viel besser. Ein Heinrich Heine wäre in Köln nicht möglich gewesen. Als der 1797 in der Düsseldorfer Altstadt geboren wurde, durfte kein Jude in Köln wohnen. Diese Kölner Intoleranz war ein veritables Handelshemmnis. Die Düsseldorfer Landesherren waren schlauer. Sie bläuten ihren Untertanen die tolerante Konfessionspolitik notfalls ein. Und sie nahmen die vertriebenen Lutheraner und Calvinisten dankbar auf. Denn sie galten als innovativ und wirtschaftsstark. Nicht zuletzt deshalb konnte Düsseldorf dann im 19. Jahrhundert wirtschaftlich zum stagnierenden Köln aufschließen. In Köln-Mülheim steht heute noch ein Denkmal des Düsseldorfer Kurfürsten Jan Wellem, gestiftet von einem dankbaren Protestanten.

Schnee von gestern? Nein, ihre Abgrenzungshaltung bekommen die Kölner nicht raus. Neubürger heißen „Imis“ – schon wieder grenzt sich der Ureinwohner ab, hält sich für was Besseres. So ein Etikett gibt es bei uns in Düsseldorf nicht. Düsseldorf ist offen für alle, jeder gehört dazu. Liebe Kölner, wir Düsseldorfer helfen euch auch weiterhin gerne bei eurer Selbstfindung. Ihr wollt bloß nicht sein wie wir, so versnobt, piefig und langweilig? Keine Sorge. Ihr werdet niemals so sein wie wir.

Zwischen Weltruhm und Traben-Trarbach - Das sagt Jürgen Becker zum Düsseldorfer Karneval

Düsseldorf sagt den Zug ab, Köln den Sturm“ titelten die Zeitungen, und diese Schlagzeile ist auch zwei Jahre später noch bezeichnend für das Verhältnis der beiden Rivalen am Rhein. Wir erinnern uns: Was stand hinter dem vermeintlichen Triumph der mutigen Kölner? Die Domstadt liegt bei Südwestwind ein wenig im Windschatten der Eifel und hatte da bessere Karten als Düsseldorf im Durchzug des platten Niederrheins. Doch den wahren Grund fanden wir bei den Psychologen, denn die Domstadt liegt auf der Couch. Köln kann keine Oper, keine U-Bahn, keinen Hubschrauberlandeplatz und erst recht keine Verwaltung – Köln kann Karneval. Folgerichtig musste der Zug trotz Sturmwarnung gehen. Was wäre sonst noch auf der Habenseite geblieben?

Die Karnevalisten haben zu recht hoch gepokert und damit die kölsche Seele halbwegs gerettet. Doch nun das Verblüffende: Der Düsseldorfer Rosenmontagszug machte ausgefallen mehr Wirbel als der Kölner gegangen. Die türkische Generalkonsulin verließ das Rathaus, der polnische Außenminister protestierte in Berlin. „Besorgte Bürger“ echauffierten sich über einen Wagen zur AfD. Der Düsseldorfer Zug legt seinen Finger stets treffsicher in die Wunden der Zeit. Insofern könnte man sagen: Besser pointiert gestanden als langweilig gegangen. Und im zweiten Anlauf hat Düsseldorf doch noch einen nahezu perfekten Rosenmontagszug erlebt.

Wagenbauer Jacques Tilly hatte die Zeit genutzt, neue geniale Motive zu entwerfen. Doch hier liegt der wunde Punkt. Was macht Düsseldorf eigentlich, wenn ihnen dieser große Meister einmal von der Fahne geht? Dann schmilzt der weltweite Ruhm der Niederrheiner Narren wie die Polkappen in der Erderwärmung. Nur schneller! Das weltweite Renommee der mutigen Figurenbauer um Jaques Tilly und die damit einhergehende nachhaltige Werbung für Düsseldorf rund um den Globus scheinen für Köln unerreichbar. Zu verquast sind die Motive, zu wirr die Botschaften, zu stümperhaft die Umsetzung.

Denn es stimmt: Den Kölnern sind die Wagen eigentlich egal. Sie feiern gern sich selbst, die Stimmung am Zugweg ist ein ausgelassenes Inferno des rheinischen Frohsinns. Auch fünf Kilometer Rote Funken bringen das Feuer Kölscher Feierfreude am Zugweg nicht zum erlöschen; das nächste Pittermännchen ist schon im Anschlag.

Das ist in Düsseldorf nicht der Fall. Ohne die präzisen Entwürfe Tillys wäre das Spektakel auf dem Niveau des Umzugs von Traben-Trarbach. Die zusammengeschnorrten Ackerschlepper im XXL-Format sind unverkleidet und erschlagen in ihrer Monstrosität die angehängten Wagen, als würde beim Trauerzug der Sarg mit einem Bulldozer zur letzten Ruhestätte gefahren. Da spürt man, dass in Köln lange ein Bestatter für den Zug zuständig war. Doch rheinabwärts fehlt nicht nur beim Equipment der Sinn für Qualität. Obendrein ist in Düsseldorf musikalisch tote Hose! Heimatsound alla Brings oder Kasalla hat man nicht drauf. So greifen die Karnevalisten bei der Beschallung des Zugweges in die unterste Schublade des Schunkelrambazambas. „Bin ich im Wald hier? Hier gibt’s ja kein Altbier!“ wird da zur Perle der Playlist. Da muss man durch, denn Ohropax gehört leider nicht zum Wurfmaterial. Man kann die musikalische Geisterbahn aber auch positiv sehen: Der Düsseldorfer nimmt halt den Karneval nicht so ernst!

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