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Moderatorin Nathalie Bergdoll„Ob der Prinz Brüste hat oder nicht, ist mir egal“

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Moderatorin Nathalie Bergdoll beim Interview.

  • Nathalie Bergdoll ist in diesem Jahr als Sitzungspräsidentin der ZDF-Mädchensitzung zu sehen.
  • Im Interview spricht sie über den Wandel des Karnevals und ihre Pläne für Weiberfastnacht.

Köln – Was bedeutet Ihnen Weiberfastnacht? Nathalie Bergdoll: Das war als Kind schon ein besonderer Tag, weil man wusste, da ist Programm im Kindergarten oder der Schule. Ab da durfte man fünf Tage lang kostümiert rumlaufen. Unser Kindergarten, Zint Jupp in Nippes, war karnevalistisch sehr aktiv und wegen Pfarrsitzung, anderer Darbietungen oder der Kostümfrage war die Anspannung schon lange vor Karneval sehr groß. An Weiberfastnacht entlud sich das, das war toll.

Sonntag, Montag, Dienstag war ich dann mit meinen Eltern bei den Zügen. So bin ich aufgewachsen und das ist so geblieben bis heute - wegen der Kinder ging man dann höchstens mal mit Kinderwagen. Und was machen Sie am aktuellen Wieverfastelovend? Bergdoll: Ich stehe in der Wassermannhalle auf der Bühne und feiere mit 750 Jecken. Volles Haus, tolles Bühnenprogramm – kaum zu glauben.

Zu Person

Nathalie Bergdoll, geboren 1976 in Köln, aufgewachsen in Nippes, wohnt in der Innenstadt und hat drei Kinder (17, 11 und 5 Jahre). Von 1993 bis 1995 war sie als „E Mädche us em Veedel“ im Karneval unterwegs. Bis 1999 moderierte Bergdoll die Jugendsitzung „Tärää!“ in der Flora, von 2003 bis 2007 gehörte sie dem Ensemble der Gloria-Sitzung an. Die studierte Germanistin arbeitet als freie Moderatorin.

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In diesem Jahr ist sie als Sitzungspräsidentin der ZDF-Mädchensitzung zu sehen am heutigen Donnerstag, 20.15 Uhr, oder in der Mediathek. (stef)

Sie moderieren dort ja schon seit einigen Wochen das von Deiters veranstaltete „Humba Tätärä“. Wie läuft das? Bergdoll: Sehr schön, weil die Leute, die kommen, sich unglaublich freuen, feiern zu können. Der Raum ist großzügig, es ist nicht zu eng. Das Publikum hört gut zu bei den Rednern und feiert tierisch ab, wenn die Bands kommen. Auch die Künstler freuen sich, wieder raus zu kommen. Die Stimmung kocht, das ist fast wie früher und flasht alle total. Ein schöner Vorgeschmack auf 2023, wo vielleicht wieder alles geht.

Und abends? Bergdoll: Dann werde ich zu Hause sein und hoffen, dass meine Tochter, die an dem Tag siebzehn wird und mit Freundinnen loszieht, wohlbehalten und geradeaus guckend zurück ist. Gemeinsam schauen wir dann die ZDF-Mädchensitzung an, die ich als Sitzungspräsidentin moderiert habe. Wie ist es dazu gekommen? Bergdoll: Ich hatte im vergangenen Mai Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn als Gast in einer Online-Talkrunde kennengelernt. Zwei Monate später rief mich dann sein Vize Joachim Wüst an, den ich schon vor 30 Jahren getroffen hatte, als ich als Teenagerin Büttenreden gehalten habe. Der hat mich dann gefragt. Ich war komplett von den Socken, auch weil ich jahrelang nichts mehr im Karneval gemacht hatte. Ein bisschen Bammel hatte ich schon, das ist ja ‘ne dicke Ehre. Was ist das wichtigste als Sitzungspräsidentin? Bergdoll: Dass alle, die da sind, eine gute Zeit haben. Das Beste draus machen, wenn mal was schief läuft. Wenn die Bands kommen, anfeuern, und vor Redner die Stimmung schön runterkochen.

Bis vor etwa 30 Jahren gab es aus heutiger Sicht in Fernsehsitzungen nur eitle, alte Männer als Präsidenten… Bergdoll: (lacht)… ja, so war der Kölner Karneval über lange Zeit. Ein Stück Eitelkeit muss sein, man muss Spaß daran haben, sich zu präsentieren. Aber ich war schon baff, wie viel sich in den letzten Jahren geändert hat. Was da für Leute agieren, wie die agieren, das hat mit früher nichts mehr zu tun. Eine Anekdote für’s Verständnis: Bei der Aufzeichnung im Tanzbrunnen wurden Fotos geschossen, unter anderem auch von Kapellmeister Markus Quodt und mir. Der fragte dann ganz höflich, ob er den Arm um mich legen dürfe für das Bild. Früher hättest du einfach die Hand am Hintern gehabt und das wäre Brauchtum gewesen. Man muss das Bild vom offiziellen Karneval eindeutig revidieren, da sind fähige, oft junge, gute Leute.

Bei der Aufzeichnung draußen im Tanzbrunnen war es sehr kalt und hat in Strömen geregnet. Bergdoll: Es war kalt, aber wir haben im Trockenen gesessen, es gab Decken für alle und die Gäste waren kostümtechnisch gut vorbereitet. Für mich als Präsidentin war das sehr gnädig, weil sich alle warmtanzen mussten, deswegen war die Stimmung super. Alle sind so froh und dankbar – das gilt übrigens auch für die Wassermannhalle -, dass man in dieser Zeit dieses Inselchen Karneval feiern kann, das hat was total Therapeutisches.

Spätestens mit den Bildern, die es an Weiberfastnacht aus der Stadt wohl geben wird, wird man in ganz Deutschland wieder den Kopf schütteln und sagen: Die sind bekloppt, die Kölner. Was würden Sie so jemand antworten? Bergdoll: Wenn er es verstünde: Jeck, loss Jeck elans! Nehmen wir die Zülpicher Straße am 11.11.. Das, was da passiert, ist ja nur eine Interpretation von Karneval. Und die von Leuten, die sonst auch feiern auf Teufel komm raus, die im Sommer nerven am Brüsseler Platz. Wenn man das möchte, kann man an Karneval immer Bilder finden, die nicht schön sind. Aber die Mehrheit der Leute wird vernünftig feiern, im Rahmen des Möglichen ein bisschen Fastelovends-mäßig aufatmen. Ich hoffe, dass man sich besinnt auf diesen Graswurzelkarneval, eher mal im Vorgarten die Musik aufzubauen und mit Nachbarn feiern anstatt in die Altstadt zu ziehen.

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Nervt Sie das nicht als Kölnerin, in die immer gleiche Ecke geschoben zu werden? Bergdoll: Brauchtum ist ja immer so ‘ne Sache. Auch in normalen, Corona-freien Jahren gibt es genügend Leute, die das nicht verstehen. Oder Kölner, die da nichts mit anfangen können und wegfahren. Ich verstehe, wenn man da keinen Draht zu hat. Ich finde einige Auswüchse auch furchtbar. Aber ich bin mit Karneval aufgewachsen und sehe all die tollen Facetten, die er hat. Allein das gemeinsame Singen, dass ja erwiesenermaßen gesund ist. Wer das nicht möchte, kann ja zu Hause bleiben. Sie haben schon als Mädchen Karneval gemacht… Bergdoll: …genau, ich bin schon in der fünften Klasse im Ursulinengymnasium als „Mädche us em Veedel“ auf der Schulsitzung aufgetreten. Ich hatte das im Kindergarten schon probiert und wollte das unbedingt wieder. Geschrieben hat die Rede damals meine Mutter. Ab Ende Mittelstufe durfte ich dann die Sitzung leiten. Wolfgang Nagel hat mich später zum Literarischen Komitee geholt.

Da habe ich mich mit einer Rede über Schule, Eltern, Freund, also Alltag, vorgestellt und hatte dann so fünfzig Auftritte pro Session. Viele fanden das toll, dass ich als junges Mädchen richtig Kölsch sprach. Mit Andrea Schönenborn und Markus Pohl habe ich dann auch einige Jahre die Tärää-Sitzung geleitet. Das war ein Riesenspaß. Warum ging das trotz des Erfolges nicht weiter? Bergdoll: Ich habe studiert, auch im Ausland. Und ich tat mich schwer mit der Rollenfindung. Für „Mädche us em Veedel“ wurde ich zu alt und irgendwas mit Studentin fand ich uncool. Anfang der Nuller Jahre bin ich dann bei der schwul-lesbischen Gloria-Sitzung gelandet – als Quotenhete. Das habe ich auch noch schwanger gemacht und mit Kind, bis die Sitzung dann eingestellt wurde. Ich war auch Aushilfssängerin bei den „Fabulösen Thekenschlampen“. Seit den Kindern haben Sie dann eher andere Sachen moderiert? Bergdoll: Die Kinder kamen peu à peu. Das war auch vorher schon ein bunter Gemischtwarenladen, den ich gemacht habe, aber ich fand das toll. Kick-Off-Veranstaltungen im Bereich Wirtschaft, Galas, Messen, ein bisschen Fernsehen beim WDR und bei Center TV. Das ist auch mit den Kindern so geblieben – Flexibilität ist der Vorteil des Freiberuflers. Und Jobs, die mich länger von meiner Familie fernhalten, lehne ich ab. Ein Buch haben Sie auch geschrieben. Bergdoll: Über die Erfahrungen in der Medienbranche. Ich hatte ein Stand-Up-Comedy-Programm geschrieben, in dem ich den Wechsel vom Mensch ohne Kind ins Muttersein dokumentiert habe. Das hat Karl-Heinz Pütz, damals bei Random House, gesehen und gefragt: „Würdest du dir auch ein Buch zutrauen? Was wäre denn der Arbeitstitel?“ Ich antwortete: „Hochgefickt“. Das passte gut zum Plot, und Pütz hat sich kaputtgelacht und das Buch gemacht. Zu der Zeit war gerade Feuchtgebiete erschienen – harmloser Titel, aber im Buch ging es total ab. Bei mir war der Titel das Krasse, aber der Inhalt echt stubenrein. Leider hat der Titel viele abgeschreckt. Aber angesprochen werde ich da heute noch drauf. Wenn sie Interesse haben: ich hätte da noch das eine oder andere Exemplar (lacht). Zurück zum Karneval. Sie haben gesagt, der habe sich verändert. Aber ist das so? Viele Frauen bemängeln, dass es Gesellschaften ohne weibliche Mitglieder oder Vorstände gebe, vom Dreigestirn gar nicht zu reden. Bergdoll: Für das Festkomitee stimmt das ja schon mal nicht. Da sind Frauen im Vorstand und das mit großer Selbstverständlichkeit. Die sind da nicht wegen der Quote, sondern weil sie kompetent und gut sind. Die machen einen großartigen Job. Das sehen die Männer da auch so. Und ansonsten sucht sich jeder seine Lücken. Lass die Traditionskorps doch, wie sie sind. Es gibt ja jetzt auch Frauengesellschaften. Und wer als Frau sagt, ich will richtig aktiv werden, sucht sich eben einen eigenen Verein. Es werden ja komplett andere Signale gesetzt als früher. Nehmen wir die Stattgarde oder eben die Frauengesellschaften. Beim FK wissen sie um die integrative Kraft des Karnevals und wollen das auch nutzen. Also ist ein weiblicher Prinz Karneval nur eine Frage der Zeit? Bergdoll: Hätten Sie mich das vor der Pandemie gefragt, hätte ich gewettet, dass die zum großen Jubiläum 2023 ein Frauendreigestirn nehmen würden. Man will ja nicht den Anschluss verpassen wie die Kirche. Ich bin da aber relativ leidenschaftslos. Ist ein Dreigestirn toller, weil es Frauen sind? Warum? Ein guter Prinz ist ein guter Prinz – ob der Brüste hat oder nicht, ist mir egal. (lacht) Das ist wie beim Theater eine feste Rolle – der Prinz. Nur weil der mit einer Frau besetzt würde, wird das ja keine Prinzessin. Da bin ich konservativ. Der Düsseldorfer Zug findet im Mai statt. Bergdoll: Kann ich nichts mit anfangen, auch mit „Jeck im Sunnesching“ nicht. Das ist wie ein Oktoberfest, was hier hingekarrt wurde. Können die machen, aber ohne mich. An Aschermittwoch ist Schluss. Ich tue mich auch mit dem 11.11. schwer, da bin ich in einem ganz anderen Modus. Sankt Martin und Adventskalender basteln, ja. Aber verkleiden? Nein! Wie geht es nach der Session weiter? Bergdoll: Da freue ich mich erstmal, dass es überhaupt so etwas wie eine Session gab. Dann kommt der Bonner Wirtschaftstalk und einige Moderationsjobs. Und Familie geht ja auch immer weiter. Mit den Kindern werden wir uns Rosenmontag erstmal die Persiflagewagen in der Stadt angucken. Und Karnevalsdienstag sind wir wie immer bei meinen Eltern in Nippes. Auch wenn der Zug ausfällt, bei denen in den Straßen wird trotzdem gefeiert. Und vielleicht darf ich nächstes Jahr die ZDF-Fernsehsitzung ja nochmal machen...

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