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Kasalla-Sänger Basti Campmann„Ich fühle mich als Musiker im Stich gelassen”

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Ein Bild aus Vor-Corona-Zeiten: die Kölner Band Kasalla ohne Abstand.

Köln – Das Konzert im Rhein-Energie-Stadion am 13. Juni sollte das größte Konzert in der neunjährigen Band-Karriere von Kasalla werden, 36.000 von 40.000 Karten waren bereits verkauft. Das Verbot der Bundesregierung von Großveranstaltungen (lesen Sie hier, welche Veranstaltungen in Köln noch ausfallen) bis zum 31. August bedeutet auch das Aus für das Kasalla-Konzert. Ein Gespräch mit Frontmann Bastian Campmann über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Band und für alle Künstler.

Herr Campmann, war das Verbot von Großveranstaltungen bis zum 31. August für Kasalla ein Schock?

Wir sind nicht naiv gewesen und haben schon vor Wochen nicht mehr ernsthaft geglaubt, dass unser Konzert noch stattfinden kann. Aber bis zu der definitiven Ansage hatten wir trotzdem eine Resthoffnung. Vielleicht haben wir auch an ein Wunder geglaubt. Die Entscheidung jetzt so in Stein gemeißelt vor sich zu haben, ist jedenfalls ein Schlag und tut richtig weh.

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Ist ein Nachholtermin noch in diesem Jahr denkbar – oder wird es dann doch ein Stadionkonzert zum 10. Jubiläumsjahr?

Wir sind noch in Gesprächen, darum kann ich derzeit nichts Konkretes sagen. Aber da ein Ausweichtermin im Sommer ja auch gestorben ist, scheint ein Termin im nächsten Jahr realistischer.

Vor dem Konzert sollte das neue Album erscheinen – wird auch das verschoben?

Ja, Album und Konzert waren aneinander gekoppelt.

Die Karten im Stadion werden ihre Gültigkeit behalten – ist die Verschiebung trotzdem ein finanzieller Verlust?

Auf jeden Fall. Wir hängen das nicht so riesig hoch, aber da bereits Planungen im Gange waren, trifft uns die Absage auch in der Hinsicht hart. Aber es gibt viele Künstler, denen es viel dreckiger geht. Wir und einige andere Kölner Bands hatten ja das Glück, dass sich dieser Virus erst nach Karneval dazu entschieden hat, bei uns anzukommen. Dadurch ist bei einigen noch etwas Speck am Knochen dran.

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Die vielen Konzerte bei Festivals oder Stadtfesten im Sommer brechen aber auch für Sie weg.

Klar – und das ist neben Karneval auch unser zweites Standbein. Wir haben als große Band auch einen Mitarbeiter-Stamm im Rücken, den wir nicht hängen lassen wollen, wir haben Familien, die wir ernähren müssen. Wir sind letztlich ein mittelständisches Unternehmen. Was mir aber viel mehr weh tut als das Finanzielle, ist das Gefühl als Musiker, mich im Stich gelassen zu fühlen. Der Kulturbetrieb gilt generell als nicht systemrelevant, ich halte das für einen großen Fehler. Man sieht doch, wie die Menschen auf den Kölner Straßen abends um neun Uhr singen. Dagegen zu erklären, Autohäuser seien systemrelevant, finde ich mehr als enttäuschend.

Das Nothilfeprogramm für Künstler in NRW, wo es um 2000 Euro für jeden ging, ist bereits ausgeschöpft. Haben Sie Freunde, die leer ausgegangen sind?

Ja. Darunter sind auch welche, die sich sehr früh um diese Nothilfe bemüht haben, trotzdem war der Topf schon leer. Das ist natürlich sehr bedenklich, weil absolut existenzbedrohend.

Es gibt Zweifel daran, ob das rigide Verbot bis Ende August wirklich notwendig ist. Wie sehen Sie das?

Ich bin da ambivalent. Natürlich ist jede Maßnahme gut, die Menschenleben schützt. Aber es gibt mir auch viel zu viel Ungewissheit. Wenn man drei Virologen zuhört, hat man mindestens zwei bis drei Meinungen. Dieses Leben im Ungefähren ist krass. Kulturschaffende, und zu denen zähle ich Kasalla jetzt mal auch, werden links liegen gelassen. Wir waren die ersten, die abgeschaltet wurden und sind die letzten, die wieder angeschaltet werden. Dagegen gibt es für den Einzelhandel viele Lockerungen und Sonderregeln mit willkürlichen Quadratmeter-Größen. Dass noch nicht mal versucht wird, Regularien zu finden, wie Kultur-Veranstaltungen mit Abstand möglich sein könnten, macht mich nachdenklich bis ärgerlich.

Eine Kultur-Veranstaltung mit Abstand soll am Freitagabend ja stattfinden: das Brings-Konzert im Porzer Autokino. Sind Sie da auch bereits in Gesprächen?

Super Idee war das! Die hätte man selbst gerne gehabt. Ich bin sehr gespannt, wie das ankommt. Möglicherweise planen wir da derzeit auch gerade etwas.

Ihre Band postet derzeit viele Videos, darunter auch sehr fröhliche wie die „Quarantäne-Kawaliere“. Ist die Laune also trotzdem gut oder sind Sie auch privat voll im Krisenmodus?

Diese Videos sind schon auch ein Teil dessen, wie wir uns gerade fühlen. Man muss ja auch noch lachen und gute Laune haben. Aber natürlich sorgen wir uns um die eigene Zukunft. Man hat auf das Pferd Musik gesetzt anstatt andere Berufe zu ergreifen, das ist jetzt auf Gedeih und Verderb unsere Existenz. Wenn man da quasi Berufsverbot hat wie gerade, blickt man sehr sorgenvoll in die Zukunft. Zumal ich nicht daran glaube, dass sich das in diesem Jahr noch ändern wird.

Wie stark hat sich Ihr tägliches Leben verändert?

Das steht komplett auf dem Kopf. Wir können nicht proben, versuchen Bandalltag über Videokanäle zu machen. Und weil die Kita geschlossen ist, bin ich auch Kinderbetreuer. Und auch das wird noch lange so gehen, denke ich: Denn selbst wenn die Kitas wieder aufhaben, reicht ja ein Fall, um den ganzen Laden wieder zu schließen. Ich fürchte, wir werden auch Weihnachten nicht normal feiern.

Was vermissen Sie neben dem Konzerte spielen am meisten?

Die sozialen Kontakte. Es fällt mir wahnsinnig schwer, die Maßnahmen einzuhalten, wenn ich ehrlich bin. Wie das ist, wenn man die Eltern oder engsten Freunde nicht sehen darf, habe ich total unterschätzt. Und dass Menschen vereinsamen werden, steht für mich als eine der ernsteren Auswirkungen von Corona schon jetzt fest – und diese Auswirkung ist wirklich blöd.

Sind jetzt wenigstens gute Zeiten, um Songs zu schreiben?

Bis jetzt waren wir immer noch im Notfall-Modus, mussten planen und hatten keine Sicherheit. Jetzt haben wir wenigstens einen Rahmen, um es mal positiv zu formulieren. Und dann hat man auch wieder einen Kopf für neue Songs. Natürlich muss man aufpassen, jetzt keine eremitischen Virensongs zu schreiben, sondern breiter aufgestellte und optimistisch zu sein. Wir wollen die Kreativität jetzt auf jeden Fall nach vorne bringen.

Wer sind Ihre persönlichen Corona-Helden?

Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern natürlich. Größten Respekt habe ich überall da, wo ich sehe, dass Menschen sich selbst Masken basteln müssen, obwohl wir eins der besten Gesundheitssysteme der Welt haben. Größter Respekt auch an alle Menschen, die weitgehend ohne Schutz funktionieren müssen, vom Paketzusteller bis zur Verkäuferin hinter einer selbst gezimmerten Plexiglas-Scheibe, die den Laden am Laufen halten, obwohl sie dem Dauerfeuer von Menschen ausgesetzt sind. Wir müssen nach der Krise unbedingt überdenken, ob uns solche Menschen nicht viel mehr wert sein sollten als bislang.

Für einige ist die Corona-Krise auch ein Anlass, zu reflektieren, was Ihnen persönlich wichtig ist. Geht es Ihnen auch so?

Wenn ich abends in der Nachbarschaft stehe und singe, denke ich manchmal darüber nach, dass ich hier zwar schon länger wohne, aber eigentlich gar nicht so viel von meinen Nachbarn weiß. Wir müssen ja nicht gleich beste Freunde werden, aber ein bisschen mehr Wärme im Umgang miteinander, würde uns insgesamt gut zu Gesicht stehen.

Für das Video Ihrer neuen A-cappella-Version „Immer noch do“ sind Sie als Band mit Abstand in den Kirchturm des Kölner Doms gestiegen. Ist Glaube in der Band ein Thema – und jetzt sogar verstärkt?

Das ist bei uns in der Band sehr unterschiedlich. Wenn man fünf Menschen aus der Gesellschaft nähme, hätte man ja auch eine Bandbreite von gläubig bis agnostisch. Der Glaube beschäftigt uns jedenfalls schon, so wie er für viele Menschen ein Halt und ein Anker ist. Vielen hilft es zu wissen, dass da jemand über uns wacht und uns durch die Krise leitet. Wenn man im Glockenturm steht, überkommt einen dieses Gefühl definitiv. Ich habe mich nicht mehr so ganz in der Welt beheimatet gefühlt da oben.

Die Kurve in Köln flacht ab – sind Sie stolz auf die Kölner?

Mich freut, dass die meisten Menschen verstanden haben, wie wichtig Abstand ist. Obwohl ich natürlich leider auch Beispiele im Kopf habe von Menschen, die ohne Maske ganz dicht im Supermarkt an einem vorbeigehen oder die am Aachener Weiher demonstrieren, dass ihnen die Regeln scheißegal sind.

In einer Videobotschaft an die Kölner OB Henriette Reker haben Sie mit vielen anderen Musiker-Kollegen wie Peter Brings jüngst dafür plädiert, dass Köln Flüchtlinge aus Lesbos in Köln aufnimmt. Wie kam es zu der Videobotschaft?

Das war eine Initiative von Annenmaykantereit, die uns gefragt haben. Ich war sehr gerne dabei. Denn bei allem Unglück, das wir gerade erleben und trotz vieler persönlicher Schicksale: Wir sitzen immer noch im Elfenbeinturm. Wir dürfen nicht diejenigen vergessen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen – und das schon vor der Coronavirus-Zeit.

Können Sie nachvollziehen, dass manche Menschen sagen: Wir haben gerade andere Probleme, als uns um Flüchtlinge zu kümmern?

Wenn jemand gerade in Kurzarbeit gesetzt wurde oder alleinerziehend zuhause sitzt, geht es demjenigen natürlich auch schlecht, keine Frage. Aber das schließt doch nicht aus, den Blick über den Tellerrand schweifen zu lassen und Menschen in den Fokus zu rücken, denen es noch dreckiger geht. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und behaupte: Niemandem geht es in Deutschland so dreckig wie jemandem, der unter den elendsten Umständen im Flüchtlingslager in Lesbos sitzt.

Nun steht fest, dass 50 minderjährige Flüchtlinge in ganz Deutschland aufgenommen werden sollen. Viele Kritiker regt das auf, auch im Vergleich dazu, dass 40.000 rumänische Spargelhelfer aus Rumänien eingeflogen. Finden Sie das verhältnismäßig?

Ich finde es total schwierig, beides zusammenzubringen. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Spargelhelfer haben auch ihre Berechtigung. So ein Vergleich bietet nur Futter für scharfmachende Aussagen, auch von rechts. Aber natürlich ist es ein trauriger Witz, dass so wenige minderjährige Flüchtlinge kommen dürfen. Das ist noch weniger als ein Signal, das ist ein Stinkefinger.

Wenn sämtliche Lockerungen wieder aufgehoben sind, worauf freuen Sie sich am meisten?

Auf ein Kölsch in der Kneipe, mit so vielen Freunden wie möglich.

Ihr erstes Wunsch-Konzert nach der langen Konzertpause?

Ein geschmeidiger Auftritt von den Foo Fighters im Londoner Wembley-Stadion.

Nicht im Rhein-Energie-Stadion?

Nein! Nichts gegen Köln, aber wenn, dann will ich auch reisen.

Das Gespräch führte Sarah Brasack

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